Geheime Medikamenten-Rabatte: Hat ein US-Pharma-Konzern eine deutsche Gesetzesänderung gekauft?

vor 6 Monaten

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Schwere Vorwürfe kratzen an der Glaubwürdigkeit unserer Regierung: Recherchen von WDR, NDR, SZ und Investigate Europe legen den Verdacht nahe, dass der US-Pharmakonzern „Eli Lilly“ eine Milliardeninvestition in Rheinland-Pfalz genutzt haben soll, um die Bundesregierung zu einer Gesetzesänderung zu drängen. Dabei geht es um die Geheimhaltung von Arzneimittelpreisen. Der US-Konzern bestreitet die Vorwürfe. Interne Dokumente aus dem Gesundheitsministerium zeichnen laut den Recherchen jedoch ein anderes Bild.

Der Fall: Am 8. April 2024 posierten unter anderem Kanzler Olaf Scholz (66, SPD), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (61, SPD) und die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (63, SPD) in deren Bundesland Rheinland-Pfalz vor der Presse. Anlass: Spatenstich für den Bau eines hochmodernen Pharmawerks des US-Konzerns „Eli Lilly“ mit rund 1000 Arbeitsplätzen in Alzey. Scholz sagte bei dem Termin: „Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun.“

Dieser Satz kriegt nun im Nachhinein einen anderen Klang: Laut den Recherchen könnte der Konzern die Ansiedlung in Rheinland-Pfalz an eine Gesetzesänderung geknüpft haben. Und zwar folgende: Wenn in Deutschland ein neues Medikament auf den Markt kommt, können Pharmakonzerne den Preis erstmal frei wählen. Ein Jahr später bewertet ein Gremium (Ärzte, Krankenkassen, Kliniken) den Wert. Wenn dabei herauskommt, dass das Medikament keinen Zusatznutzen gegenüber verfügbaren Therapien hat, muss der Hersteller mit dem Preis runtergehen. Der Rabatt beträgt häufig mehr als 50 Prozent.

Nun kommt’s: Den deutschen Rabattpreis kann man bislang öffentlich einsehen. Mit der Folge, dass andere europäische Länder denselben Rabatt einfordern. „Eli Lilly“ will die Rabatte künftig geheim halten dürfen. Der Konzern auf Anfrage des Rechercheteams: „In den meisten Staaten der EU werden getroffene Rabattverhandlungen vertraulich behandelt.“ Und weiter: „Das sollte unserer Meinung nach auch für Deutschland gelten.“

Spatenstich in Alzey (Rheinland-Pfalz)

Brisant: Der Leiter der wichtigen Abteilung für Arzneimittel im Gesundheitsministerium soll nach einem Treffen mit „Eli Lilly“-Firmenvertretern am 30. August 2023 notiert haben, dass Eli Lilly eine Investition „im niedrigen einstelligen Milliardenbereich“ in Rheinland-Pfalz plane. Und weiter: „‚Eli Lilly‘ knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung, vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen.“

Doch das ist nicht alles: Laut den Recherchen hat Jörg Kukies (56, Staatssekretär im Bundeskanzleramt) Anfang 2023 dreimal mit „Eli Lilly“-Boss David Ricks über die Pharmapolitik und die Einführung geheimer Arzneimittelpreise in Deutschland gesprochen. Am 16. Februar soll Kanzler Scholz selbst mit Ricks telefoniert haben. In einem weiteren Aktenvermerk aus dem Ministerium zwei Monate später heißt es: „Befürworter einer solchen Regelung ist insbesondere die Firma ‚Lilly‘, die ihre Investitionsentscheidung in Alzey an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte.“ An anderer Stelle steht demnach: „Dem CEO von ‚Eli Lilly‘ kann mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von ‚Eli Lilly‘ nachkommt.“

Der US-Pharmakonzern dementiert: „Unser Unternehmen hat zu keiner Zeit die Investitionsentscheidung in Rheinland-Pfalz an eine derartige Zusage von Seiten der Bundesregierung geknüpft.“ „Eli Lilly“ sei nur „im Zuge des Bekanntwerdens“ der Eckpunkte des Medizinforschungsgesetzes „darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Gesundheitsministerium die Einführung von vertraulichen Erstattungsbeträgen positiv geprüft“ habe. Die Entscheidung über die Investition in Rheinland-Pfalz sei bereits zuvor getroffen und bekannt gemacht worden.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums dazu: „Minister Lauterbach sind keine Vermerke bekannt, in denen er sich ‚Eli Lilly‘ gegenüber zu diesem Thema geäußert hätte. Für ihn persönlich hat die Haltung von ‚Eli Lilly‘ keine Rolle bei der Entwicklung der Pharmastrategie gespielt.“

Übrigens: Bundestag und Bundesrat haben die Geheimpreise als Teil des Medizinforschungsgesetzes mittlerweile beschlossen. Wenn es verkündet wird, kann es in Kraft treten. Experten halten das für schädlich: Die Geheimhaltung führe zu höheren Preisen.

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