Gehen Sie in ihre Stammkneipe, solange es noch geht

vor 10 Monaten

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Die „kleine Kneipe in unserer Straße“ gibt es schon lange nicht mehr, jedenfalls nicht so, wie sie einst der große Peter Alexander besungen hat (die Älteren werden sich erinnern): „Die kleine Kneipe in unserer Straße, da wo das Leben noch lebenswert ist. Dort in der Kneipe in unserer Straße, da fragt dich keiner, was du hast oder bist…“

Es gibt immer weniger Kneipen – kleine wie große. Es gibt überhaupt immer weniger Gaststätten und Restaurants.

„Wir beobachten Gastronomiesterben, wie wir es noch nie hatten“, sagt Anja Karliczek, tourismuspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag der Rheinischen Post. „Restaurants, Cafés sind wesentliche Eckpfeiler des sozialen und gesellschaftlichen Lebens gerade auf dem Land.“

Leer gefegt: Experten fürchten, dass künftig weniger Menschen sich das Essen im Restaurant leisten können

Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal in einem solchen Eckpfeiler gewesen sind, liebe Leser. Ich kann nur sagen: Selbst in einer Stadt wie Berlin werden die Kneipen immer rarer, jedenfalls die, in denen man es sicher früher so gerne gemütlich machte. Früher – damit meine ich nicht Peter Alexanders selige Zeiten. Ich meine damit ungefähr fünf Jahre, also vor Corona. In den Jahren 2020 und 2021 gab es laut Branchenverband DEHOGA einen „historischen Verlust“ von 36.000 steuerpflichtigen Unternehmen im Gastgewerbe, bundesweit gebe es nur noch rund 186.600 Betriebe.

Zutritt nur für Geimpfte oder frisch Genesene – über Monate Alltag in Deutschland

Besonders hart traf es Nordrhein-Westfalen, wo allein 6000 Gaststätten pleite gingen, weil zu wenig Gäste kamen und es zu wenig Personal gab. „Wir könnten sofort drei oder vier Köche einstellen“, meint Gastronomin Kerstin Rapp-Schwan, die fünf Restaurants für moderne deutsche Küche betreibt. Das Handelsblatt zitiert die Werbung eines der Restaurants (Düsseldorfer Schwan-Restaurant): „Ob Experte, Neuling, Quereinsteiger – jeder mit Leidenschaft für gutes Essen ist willkommen.“

Fachkräftemangel gab es in der deutschen Gastronomie schon vor Corona. Doch nun klagen Gastwirte über eine nie dagewesene Personalnot. Die Burgerkette McDonald's, Deutschlands größter Gastro-Betrieb, hat momentan 8000 unbesetzte Stellen. Sternekoch Alexander Herrmann bestätigt: „In der ganzen Branche herrscht akute Not, Stellen zu besetzen.“ Sein Nürnberger Restaurant „Imperial“ hat er deshalb auf eine Viertagewoche umstellen müssen. Vier von zehn Betrieben mussten ihre Öffnungszeiten aus Personalnot bereits reduzieren, zeigt eine neue Umfrage von DEHOGA: immer kürzere Speisekarten, immer längere Wartezeiten. Und manchmal fahren Servier-Roboter durch das Restaurant, weil Servierhilfen fehlen.

Ich will sie nicht weiter mit Zahlen langweilen. Sie sind sowieso irgendwie gleich in Deutschland: Immer weniger Lokale, immer weniger Gäste, immer weniger Personal. Und es stimmt schon: Das Gastronomie-Gewerbe zahlt nicht gut, und die Leute müssen lange arbeiten und das auch bis spät in die Nacht. Anderswo werden sie besser bezahlt, haben attraktivere Arbeitszeiten und eine verlässliche Planung. Die Folgen: Restaurants brauchen mehr Personal für dasselbe Arbeitspensum. Angelernte leisten weniger als routinierte Köche oder Kellner. „Immer mehr Restaurants verwenden vorgefertigte Convenience-Produkte“, sagt DEHOGA-Chef Guido Zeitler. „Zum Aufwärmen braucht es keinen ausgebildeten Koch. Der Trend geht außerdem zur Systemgastronomie. In Ketten arbeiten immer schon viele Angelernte.“

Diese neue Gastro-Welt hat auch mit neuen Verordnungen zu tun, natürlich. Seit Einführung des Mindestlohns 2015 muss die Branche Arbeitszeiten dokumentieren. Seitdem die Arbeitszeiten genau erfasst werden, braucht man mehr Arbeitskräfte – logisch. Und das wiederum lohnt sich für viele Gaststätten nicht mehr.

Irgendwie schließt sich hier der Kreis. Es wird nicht besser. Wer ein bisschen von dem will, was einst ein wichtiger Teil unseres Lebens war, hier noch ein paar Zeilen aus Peter Alexanders wunderbaren Kneipen-Lied:

„Die Postkarten dort an der Wand in der Ecke,

das Foto vom Fußballverein,

das Stimmengewirr,

die Musik aus der Jukebox,

all das ist ein Stückchen Daheim

und stehst mit dem Pils in der Hand an der Theke

und bist gleich mit jedem per du.“

Das Cover aus dem Jahr 1976

Ja, das ist es – das Stammkneipen-Feeling. Hoffentlich bleibt es uns noch ein wenig erhalten.

Schauen Sie auch das Interview von NIUS-Politikchef Ralf Schuler mit Christian Rach, der sagt: „Die Gastronomie hat jahrzehntelang Schindluder mit Mitarbeitern getrieben“

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