Alice Weidel zwingt Friedrich Merz auch mental nach Deutschland

vor etwa 14 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

18 Grad Celsius und Nieselregen, der auf den wild rumliegenden Sperrmüll tropft. Berlin gibt in dem heißesten Jahrhundertsommer aller Jahrtausende ein unschönes Bild ab. Wer mag Friedrich Merz (CDU) da verdenken, dass er lieber in aller Welt als in der deutschen Hauptstadt unterwegs ist. Doch so gerne er auch den Bundesaußenkanzler gibt. Merz ist Kanzler und es würde selbst für seine Verhältnisse blöd aussehen, wenn er zur Einbringung des Kanzleretats dem Parlament fernbleiben würde. Denn die zur Einbringung gehörende Generaldebatte ist grundsätzlich die wichtigste im Jahr.

Traditionell eröffnet die Generaldebatte der Oppositionsführer. Das ist in Deutschland zum ersten Mal eine Oppositionsführerin. Alice Weidel. Die Fraktionsvorsitzende der AfD. So stark ist die Alternative für Deutschland geworden, trotz zehn Jahre “Kampf gegen Rechts”. Vielleicht aber auch wegen zehn Jahre “Kampf gegen Rechts”. Weil zu diesem zehn Jahre Merkelsche Einwanderungspolitik gehören, drei Jahre Pandemiepolitik und fünf Jahre Transformation der Wirtschaft – was ein Euphemismus für systematische Zerstörung der Wirtschaft ist.

Die Oppositionsführerin hält eine scharfe Rede. Weidel attackiert Merz persönlich: “Ihre Kanzlerschaft geht als größter Wahlbetrug in die deutsche Geschichte ein.” Sein Wort sei nichts wert, sein Aufweichen der Schuldenbremse sei ein “Staatsstreich” gewesen und er lasse sich nach Lust und Laune von seinem Koalitionspartner, dem Wahlverlierer SPD, vorführen. Weidel unterstellt Merz: “Wenn es zum Schwur kommt, behaupten Sie dreist und frech, es sei kein Geld da.” Gleichzeitig kaufe Merz in den USA Waffen für die Ukraine ein. “Ich persönlich glaube, sie haben da bereits ihren nächsten Aufsichtsratsposten als Lobbyist klar gemacht”, stellt Weidel eine steile Behauptung auf.

Weidels scharfe Rede erstaunt. Eigentlich hatte sich die AfD-Fraktion am Wochenende vorgenommen, sich im Bundestag künftig gemäßigter ausdrücken zu wollen. Davon bleibt nur übrig, dass Weidel “Remigration” nun “konsequente Abschiebung” nennt. Doch ansonsten holzt die Oppositionsführerin ordentlich dazwischen. Etwa wenn sie Lars Klingbeil (SPD) nachruft, eine Antifa-Mitgliedschaft ersetze keinen Berufsabschluss. Der Finanzminister ist laut Wikipedia Magister der Politikwissenschaft.

Eins erreicht Weidel. Sie bringt Merz aus dem Konzept. Der hat offensichtlich eine Rede vorbereitet, deren Schwerpunkt wieder auf seinem liebsten und einzigen Thema liegt: der Außenpolitik. Doch Weidels Attacke holt den Kanzler auch mental nach Deutschland und zwingt ihn dazu, am Anfang seiner Rede auf die seiner Nachfolgerin als Oppositionsführerin einzugehen: “Ich weise ihre pauschale und undifferenzierte Herabwürdigung der neuen Bundesregierung mit aller Entschiedenheit zurück.”

Dann leitet Merz den Turn ein: Weidel habe eine “rein nationalistische Rede” gehalten. Aber Deutschland brauche Partner auf der Welt, womit der Bundesaußenkanzler wieder bei seinem Thema wäre, das auch diese Rede beherrscht. Wobei es Merz ebenfalls nicht an steilen Thesen fehlen lässt: Demnach halten die USA, Frankreich und Großbritannien nur noch in einem militärischen Bündnis zusammen, weil Schwarz-Rot sich selbst in Deutschland den Weg zu 850 Milliarden Euro neuen Staatsschulden freigemacht hat: “Wenn wir AfD und Linken gefolgt wären, wäre die Nato in ihrem 70. Jahr auseinander gebrochen.” Berlin ist ein Ort mit einer berühmten Tradition, die deutsche Bedeutung in der Welt zu überschätzen – Merz sollte also durchaus öfters in seiner Hauptstadt verweilen. Er hat etwas zu ihrer Geschichte beizutragen.

Doch in dieser Hauptstadt kommt der Kanzler an wirtschaftlichen und innenpolitischen Themen nicht vorbei. Daran erinnert ihn seine Oppositionsführerin. Weidel legt den Finger dorthin, wo er der CDU-CSU weh tut: Etwa, wenn es darum geht, eine “radikal linke Ideologin” ins Bundesverfassungsgericht zu berufen. Wenn Weidel das Bürgergeld “Migrantengeld” nennt, weil es fast zur Hälfte an Ausländer ginge und von der Union nicht wie versprochen reformiert werde. Stattdessen gebe Merz’ Finanzminister Klingbeil nun fünf Milliarden Euro mehr als ohnehin schon geplant fürs Bürgergeld aus. Weidel erinnert an das Loch von 12 Milliarden Euro in der Pflegeversicherung, für das der Bund nur 2 Milliarden Euro bereitstellt – und selbst das nur in Kreditform. Die häufigen Messerattacken. Die Täter, die überproportional oft aus Afghanistan oder Syrien stammten. Und das, obwohl die Fluchtursachen in Syrien längst weggefallen seien. Der deutsche Pass, den es mittlerweile für Ausländer per Klick im Internet gebe.

Weidel lässt nichts weg, was Merz und seiner Partei wehtut. Und die Oppositionsführerin erzielt Wirkung in der größten Regierungsfraktion: Sie fragt die Abgeordneten von CDU und CSU direkt: “Haben Sie dafür im Winter Wahlkampf gemacht?” Es ist ein spannender Moment. Ein Moment der Spannung. Denn statt den für die Generaldebatte üblichen Zwischenrufen tönt ein Schweigen durch den Bundestag. Das Schweigen der Christdemokraten. Es scheint so, als ob sie wirklich für einen Moment darüber nachdenken, ob sie für all das Wahlkampf gemacht haben.

Weidels Rede zwingt Merz nach Deutschland. Auch inhaltlich. Den außenpolitischen Teil reduziert er auf sieben Minuten. Knapp ein Drittel seiner gesamten Redezeit. Wenig für die Verhältnisse des Bundesaußenkanzlers. Nach der Außenpolitik geht Merz auf die Finanzpolitik seiner Regierung ein. Das eigentliche Thema der Debatte. Der Kanzler behauptet, die neuen Staatsschulden würden den Grundstein für Investitionen legen: “Damit hat die Bundesregierung die Wende in der Wirtschaftspolitik eingeleitet.”

Was Merz sagt, ist nicht wahr. Staatliche Schulden aufzunehmen und sie als Investitionspaket rauszuhauen, in der Hoffnung, dass die Wirtschaft daraufhin anspringt. Das ist exakt die Politik von Olaf “Doppelwumms” Scholz (SPD). Als Kanzler und als Finanzminister von Angela Merkel (CDU). Die Idee von Scholz hat halt nur nicht funktioniert. Merz’ Finanzpolitik bedeutet keine Wende. Sie folgt nur der Hoffnung, mit dem Gleichen etwas anderes zu erreichen – das entspricht der Definition, die Albert Einstein für Wahnsinn aufgestellt hat.

Nach 24 Minuten sagt Merz abschließend: “Wir nehmen wahr, dass die Stimmung im Land wieder besser wird.” Auch das stimmt nicht. Seine Regierung hat in den Umfragen keine Mehrheit mehr. Eine Koalition, die sich einst zurecht “große Koalition” nannte. Deren beiden Parteien zusammen auf über 80 Prozent der Stimmen kamen. Auf 90 Prozent der Sitze im Bundestag. Die Stimmung in Deutschland sei gut, nimmt Merz wahr. Da scheint ihn sein Berater auf den Flügen durch die Welt falsch zu informieren. Vielleicht sollte er öfter nach Berlin kommen – auch wenn der Jahrtausendsommer dort nur 18 Grad Celsius und Nieselregen zu bieten hat.

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