Gericht wollte verhindern, dass Pflegerin sich gegen Baerbock wehrt

vor 5 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Eine Kinderpflegerin aus Bayern, die in erster Instanz zu einer 6000-Euro-Strafe verurteilt worden war, weil sie Außenministerin Baerbock als „Hohlbratze“ bezeichnet hatte, wurde am Montag von einem Landgericht freigesprochen. Brisant: Kurz nach ihrer Verurteilung im vergangenen Jahr hatte das Gericht sie davor gewarnt, in Berufung zu gehen.

„Es wird höchst vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Berufung nach Aktenlage wenig aussichtsreich erscheint“, heißt es in einem Brief von Ende 2023, der NIUS vorliegt. Man warnte sie: „Erhebliche Kosten“ seien zu erwarten.

Auch auf die Kosten, die eine erneute Anwesenheit eines Gutachters bedeuten würden, wies man die Frau hin. Zum Hintergrund: Der Strafverteidiger, der die Frau in der ersten Verhandlung vertrat, hatte der Frau geraten, auf eine Schuldunfähigkeit zu setzen. Deshalb war auch in der Berufungsverhandlung am Montag ein Gutachter anwesend.„Mich hat das Schreiben im ersten Moment sehr schockiert“, erzählt die freigesprochene Pflegerin. „Da stockt einem schon der Atem, wenn einem damit gedroht wird, dass hohen Kosten auf einen zukommen“. Trotzdem legte ihr Anwalt Berufung ein – genau die richtige Entscheidung, wie sich am Montag zeigte.

In einer Antwort auf eine NIUS-Anfrage erklärt das Gericht, es habe sich bei dem Schreiben nicht um eine Warnung gehandelt, sondern um eine „vorläufige Würdigung, die dem Angeklagten mitgeteilt wird, um insbesondere auch das Kostenrisiko besser bewerten zu können.“

Dass die Hauptverhandlung ein anderes Ergebnis erbracht habe als die Überprüfung nach Aktenlage sei nicht ungewöhnlich: „Die Verurteilung des Angeklagten darf ausschließlich auf Erkenntnisse gestützt werden, die in der Hauptverhandlung gewonnen wurden.“

Außenministerin Annalena Baerbock stellte Strafantrag gegen die Kinderpflegerin, weil diese sie auf X als „Hohlbratze“ bezeichnet hatte.

Der Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke hält das Vorgehen für „hochproblematisch“, auch wenn es inzwischen eine „übliche und weit verbreitete Praxis“ sei. „Solche Warnungen verbreiten Angst – Angst vor angeblich unvermeidlichen Kosten für einen Aufwand, der sich angeblich nicht lohnt. Es ist zweifellos richtig, über mögliche Kosten aufzuklären, aber es ist in einem Rechtsstaat falsch und fatal, eine Drohkulisse aufzubauen, die geeignet ist, Rechtssuchende davon abzuhalten, rechtsstaatliche Garantien wahrzunehmen. Dazu gehört die Beschreitung des Rechts- und Instanzenwegs“, erklärt der Strafrechtler gegenüber NIUS.

Der Rechtswissenschaftler Holm Putzke, hier 2012 im Talk bei Anne Will.

Darüber hinaus sei es bedenklich, wenn ein Richter sich schon eine Überzeugung verschaffe, bevor die Hauptverhandlung überhaupt stattgefunden und alle Beweise eingeführt sowie unbefangen bewertet wurden. „Jeder Profi weiß, dass die Aktenlage oftmals nur die halbe Wahrheit enthält und nach einer Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung alles plötzlich ganz anders aussehen kann. Akten sind statisch, eine Hauptverhandlung ist dynamisch“.

Der inflationäre Gebrauch des Zusatzes in gerichtlichen Schreiben sei ein Indiz dafür, dass es gar nicht um den Einzelfall und paternalistische Fürsorge gehe, sondern darum, den eigenen Arbeitsaufwand zu minimieren.

Weiteres brisantes Vorkommnis im Prozess: Bereits zu Beginn der Berufungsverhandlung bot die Richterin eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Spende von 1000 Euro an eine Kindereinrichtung an. Die Staatsanwältin lehnte dies nach Rücksprache mit einem Vorgesetzten ab.

Begründung: Die Bekämpfung von „Hass im Netz“ sei ein wichtiges Anliegen der bayerischen Justiz. Man habe einen eigenen Beauftragten für Hatespeech und werde die Strafverfolgung entsprechend weiter aufrechterhalten.

Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich.

Tatsächlich kämpft Bayern mit besonderer Härte gegen die angebliche Zunahme von „Hass“ im Netz. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) erklärte im Juli anlässlich eines Aktionstags: „Bayern führt den Kampf gegen strafbare Hatespeech entschlossen und konsequent.“

Bereits im September 2020 wurde zu diesem Zweck ein „Hatespeech-Beauftragter“ bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) benannt, die wiederum bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt ist.

Ein Portal ermöglicht es Politikern – vom Kommunal- bis hin zum Bundespolitiker – „Hass im Netz“ schnell und unkompliziert anzuzeigen. Diese Anzeigen wiederum werden dann auf höchster Ebene von der Generalstaatsanwaltschaft bearbeitet.

„Hatespeech ist ein Begriff, den es im deutschen Recht überhaupt nicht gibt. Hass und Hetze sind keine Rechtsbegriffe“, sagt der Augsburger Universitätsprofessor Josef Franz Lindner. „Die strafrechtlich relevanten Tatbestände im Deutschen Recht sind beispielsweise Beleidigung, Bedrohung, Verleumdung oder üble Nachrede.“

Im Gespräch mit NIUS spricht die Kinderpflegerin über die Verhandlung:

Mehr NIUS: Baerbock stellt Strafantrag gegen Kinderpflegerin wegen „Hohlbratze“: Zunächst 6000 Euro, nun Freispruch

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