
Das Verwaltungsgericht Münster erlaubt es der Stadtbibliothek des Ortes, Bücher mit dem Aufkleber „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ zu versehen. Der Autor Gerhard Wisnewski, dessen Buch „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ betroffen war, hatte zuvor einen Antrag auf einstweilige gerichtliche Anordnung gestellt, dass der Sticker entfernt wird.
Am 11. April entschied das Gericht, dass der Antrag abgelehnt wird, weil er unbegründet sei. In der Stadtbücherei stehen zwei Exemplare des Buches. „Zwar ist ein Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers gegeben. Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, sodass kein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde“, heißt es in dem Urteil.
Zwar sei „eine solche negativ konnotierte Äußerung über ein Buch“ seitens einer öffentlichen Bibliothek „geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Autors in der Öffentlichkeit auszuwirken.“ Das Gericht sieht diesen Eingriff in das Recht des Autors jedoch als gerechtfertigt an, weil die Aussage der Bibliothek „von der Aufgabenzuweisung für öffentliche Bibliotheken“ in Nordrhein-Westfalen gedeckt sei.
Das Verwaltungsgericht argumentiert, dass öffentliche Bibliotheken gemäß Paragraf 48 Absatz 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW die „demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe“ ermöglichen. Eine öffentliche Bibliothek dürfe deshalb inhaltlich zu den Werken Stellung nehmen, die sie zur Ausleihe zur Verfügung stellt. Bibliotheken können Bücher sowohl in positiver Form wie durch Leseempfehlungen bewerten, „aber auch in negativer Hinsicht in Form von kritischen Hinweisen.“
Und weiter: „Mit dem gesetzlichen Auftrag wäre es hingegen nicht vereinbar, eine öffentliche Bibliothek darauf zu beschränken, Medien allein passiv zur Ausleihe bereitzustellen (sog. reine Ausleihbibliothek)“. Weiter argumentiert das Gericht, dass der Sticker in der Wortwahl sachlich und nicht reißerisch formuliert sei.
In einer ersten Version war der Text des Stickers noch drastischer gewesen: „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt“. Der Inhalt sei „unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar“ (Apollo News berichtete).
Die Kosten des Verfahrens belaufen sich auf 5.000 Euro und müssen vom Autor bezahlt werden. Der Bibliotheksverband NRW hat das Urteil des Verwaltungsgerichts in einem Newsletter begrüßt: „Das Urteil unterstreicht, dass Bibliotheken keine zur Neutralität verpflichteten, passiven Ausleihbetriebe sind. Vielmehr haben sie eine aktive, vermittelnde Rolle, indem sie die Inhalte ihrer Medien für ihre Kundinnen und Kunden einordnen.“
Die Bibliotheksmitarbeiterin Sabine Pint zitiert in einem offenen Brief an den Bibliotheksverband NRW dessen Reaktion: Das Urteil zeige „einmal mehr die große Relevanz und Verantwortung von Bibliotheken als mitdenkende und mithandelnde Akteure in der demokratischen Zivilgesellschaft“. In der Auffassung des Verbandes und des Gerichts scheint der Leser demnach nicht mündig zu sein, sich seinen „demokratischen Willen“ selbst und ohne Warnhinweise zu bilden.