
Zehntausende Demonstranten ziehen aktuell durch die Straßen, um gegen die größten Parteien zu demonstrieren, die sie für rechts und ultrarechts halten. Die Plakate, die sie mit sich führen, offenbaren einen beklagenswerten Mangel an historischem Wissen – und legen den infantilen Charakter der Proteste bloß.
Eigentlich hatten von der Regierung finanziell gut ausgepolsterte Aktivisten der wie zum Hohn „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) genannten linken Gruppen im Lande genügend Zeit, sich auf den Lagerwahlkampf vorzubereiten. Übermäßig Originelles ist trotz viel Tagesfreizeit nicht dabei herausgekommen.
Stunden und Tage grübelten die Berufsdemonstranten über knackige Parolen für die Kameras ihrer Brüder und Schwestern im Geiste bei den öffentlich-rechtlichen Medien, doch die Ergebnisse spiegeln dann doch nur ihren trüben Geisteszustand wider. So naheliegend wie abgedroschen sind Wortspiele à la „Iden des Merz“, aber März und Merz, das geht immer: „Nicht jeder Merz bringt Frühlingsgefühle“, „Für einen März ohne Merz“ oder „Kein Merz im Februar“ (ehrlicherweise gleich mit dem Bekenntnis „Auch sonst nicht …“ garniert).
Wenn sich Frühlingsgefühle nur bei Robert Habeck einstellen ...
Für Feinschmecker hingegen: die Verballhornung des Volks- und Kinderliedes „Im Märzen der Bauer“: „Im Merzen der Friedrich den roten Teppich ausrollt (und zwar „AfD, Faschos, Nazis – zur Demontage der Demokratie da lang“), der Unions-Kanzlerkandidat von einem mäßig talentierten Absolventen eines Kunst-Workshops mit dem linken Fuß gezeichnet.
Wer für die (und sogar mit der) Regierung gegen die Opposition demonstriert, bedient sich auch gleich der Wortwahl des Kanzlers Olaf Scholz, der seinen Kontrahenten kürzlich „Fritze Merz“ nannte, der „Tünnkram“ erzähle: „Fritze Merz fischt frische Faschos. Frische Faschos fischt Fritze Merz.“ Inhaltlich erschließt sich der Slogan nicht, aber darauf kommt es nicht an, schließlich ist sich die Menge der linken Demonstranten einig, dass rechts von ihr nur Faschisten und Nazis stehen können.
Einige von ihnen verspüren „(Weltsch-)Merz“, also sie bedrückende Melancholie, Traurigkeit, Leiden an der Welt und ihrer Unzulänglichkeit, wobei diese den wenigsten Demonstranten anzusehen ist – eher eine ordentliche Dosis Hass auf andere Meinungen. Aber Merz reimt sich auf Schmerz, also: „SchMERZgrenze überschritten“. Auch schon gesichtet: „Bunt statt SchMERZhAFD“, da hat wohl jemand seine Lieblingsfeinde etwas umständlich in einem Wort untergebracht. So manchem würde eher die Hand verdorren, bevor er derart dumme Sprüche aufs Plakat pinselt, aber nun denn.
Sehr beliebt bei Vokalleugnern sind seit langem „FCK NZS“ und „FCK AFD“; „FCK HBK“ war noch nie irgendwo zu lesen. „FCK MRZ“ jetzt natürlich schon.
Zur Abwechslung darf es auch mal der Vorname sein; „Lieber friedlich statt Friedrich“.
Seit Altbundeskanzlerin Angela Merkel ihrer Partei in den Rücken fiel, fühlen sich einige im linken Lager, die Merz schon immer verabscheuten, bemüßigt, ihm den eher ungünstigen Rat „Hör auf Mutti“ zu erteilen.
Die zweite Kategorie neben der platten Wortspiele aus der Hölle ist weniger unfreiwillig komisch als geschichtsvergessen, gefährlich und verhetzend: historische Vergleiche respektive Gleichsetzungen, die jeder Grundlage entbehren. Hier treten die offensichtlichen Defizite des Geschichtsunterrichts in unseren Schulen auf bestürzende Weise zutage. Nachdem seit mehr als einem Jahrzehnt die AfD als Wiedergänger der Nationalsozialisten geframt wurden, sind manche Leute – und die aus dem radikal bis extrem linken Spektrum sowieso – inzwischen bereit, eine offene Abstimmung im Bundestag, bei der im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung ein Entschließungsantrag verabschiedet wurde, mit der Kollaboration mit Nazis und Faschisten gleichzusetzen. Wer Alice Weidel für eine Wiedergängerin Adolf Hitlers hält, muss sich auch zwangsläufig einbilden, dass das Vierte Reich vor der Tür steht.
Am beliebtesten also bei den rot-dunkelrot-grünen Aktivisten: Friedrich Merz als „Steigbügelhalter“ der neuen Nazis darzustellen. Die schräge Analogie: den CDU-Chef mit Franz von Papen zu vergleichen, der 1932, gegen Ende der Weimarer Republik, kurzzeitig Reichskanzler war und mit Hitler, den er kontrollieren zu können glaubte („In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“), die Bildung einer Koalitionsregierung zwischen der nationalkonservativen DNVP und der NSDAP aushandelte.
Andere, die ebenfalls während des Geschichtsunterrichts geschlafen, Papierflieger gebastelt oder auf irgendwo gegen irgendwas demonstriert haben, sehen die historische Parallele eher bei Kaiser Wilhelm II: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, sagte der Monarch in seiner Reichstagsansprache vom 4. August 1914, eine Woche nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und es bleibt offen, was die Demonstranten uns mit dem verkürzten Zitat „Ich kenne nur noch Deutsche“ sagen wollen: Dass Merz sich ein ausländerfreies Land wünscht? Man weiß es nicht, aber den Mann, der voraussichtlich recht bald Bundeskanzler wird, mit Pickelhabe abzubilden und damit als „ewiggestrig“, finden die Ewigmorgigen wohl lustig.
Merz als Wilhelm Zwo, gleich daneben fühlt sich jemand an Hitler erinnert.
Nicht ganz so weit in die Geschichte zurück gehen die linken Merz-Feinde, die einige Protagonisten der Union in Anlehnung an die Baader-Meinhof-Bande als „Merz/Linnemann-Bande“ auf einem Fahndungsplakat darstellen, wie sie zur Zeit der Fahndung nach mörderischen RAF-Terroristen gestaltet waren. „Populisten“, Terroristen – wo soll schon der Unterschied sein?
Kurz: Was sich da in aller Öffentlichkeit an Geschichtsvergessenheit, ungebrochenem Nazi-Fimmel und schlichter Dummheit offenbart, gibt zu größten Bedenken Anlass. Wenn das die Leute sind, die die „demokratische Mitte“ verkörpern sollen und „unsere Demokratie“ retten, dürfte sich der eine oder andere Normalbürger demnächst nach einem gütigen König sehnen ...
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