
Man ist es leid, über die Fehler und Versäumnisse der Politik zu lamentieren. Nur ein aktueller Fall, der für das Systemversagen der deutschen Politik steht. Demnächst werden die Kühltürme des Kernkraftwerks Gundremmingen gesprengt. Damit es nie, nie wieder ans Netz gehen kann – ohne Kühlung keine Stromproduktion.
Gundremmingen in Bayern war eines der leistungsfähigsten Stromwerke, das 5,5 Millionen Haushalte, also halb Bayern zuverlässig und preiswert mit Strom versorgt hat. Die letzte Genehmigung für die Sprengung der Kühltürme erteilte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Der zuständige Minister ist der auch in Bayern weithin unbekannte Thorsten Glauber, nicht direkt von der CSU, sondern von den ihr ergebenen Freien Wählern.
Das ist dieses Grüppchen um Hubert Aiwanger. Der schwingt in Bierzelten gerne populistische Reden, kuscht im Kabinett vor Söder, weiht jubelnd jedes Windrad ein, das den bayerischen Forst zubetoniert. Markus Söder forderte seinerzeit ultimativ die Abschaltung des Kraftwerkes, dann wieder dessen Inbetriebnahme und finalisiert jetzt den Abriss.
Um dem Bauerntheater eine letzt Pointe zu verpassen, entsteht in Gundremmingen eine Monsterbatterie. Aha. Kinder wissen sehr früh, dass Batterien zwar Strom abgeben, aber keinen erzeugen. Die maximale Speicherkapazität liegt weit unterhalb des Promillebereichs des ursprünglichen Kraftwerks. Insofern kommt die Bildungsmisere der Politik entgegen. Logik und gar Größenordnungen werden nicht mehr vermittelt in den Schulen. Haltung ersetzt Verstand. Grün ist die Zukunft auch in Bayern.
Woher kommt diese Politik gegen die Bevölkerung, die dann auch noch für dumm verkauft wird? Aufmerksame Leser werden aufmerken, dass es Bevölkerung heißt und nicht „Volk“. Wer heute Volk sagt, gilt als verfassungsfeindlich, weil er einem angeblich ethnisch-nationalistischen Volksbegriff anhängen soll, der neuerdings als „verfassungsfeindlich“ gilt, denn das deutsche Volk darf es nicht mehr geben und wer es benennt, ist böse. Dass der Satz „Dem deutschen Volke“ unter dem Giebelfries der Reichstagskuppel nicht längst abgenommen wurde, liegt vermutlich daran, dass Berlin ein Gerüst für diese Höhe nicht mehr zur Verfügung steht. Im Übrigen diskutierte man im Kaiserreich mit bemerkenswerter Offenheit rund 20 Jahre über den Inhalt des Spruchbandes.
Die Leipziger Volkszeitung schlug um die Jahrhundertwende damals vor, man möge draufschreiben „Achtung Taschendiebe“. Das heute zu fordern, würde vermutlich eine konzertierte Aktion unter Leitung der zuständigen Sondereinheit des Bundeskriminalamts auslösen, koordiniert durch den Bundesverfassungsschutz und ausgeführt von einem maskierten Überfallkommando mit anschließender Untersuchungshaft von mindestens neun Monaten. Eine andere Alternative verlangte damals die Inschrift „Eintritt verboten“, was angesichts des aktuell errichteten Burggrabens um den Reichstag eine bemerkenswerte Modernität der damaligen Debatte beweist.
Aber woher kommt dieser Verfall der Vernunft, dem wir mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind? Es lohnt, zu Hans Herbert von Arnim zurückzublättern. Er war in den 1980er- und 1990er-Jahren wohl der schärfste Kritiker des deutschen Parteienstaates. Als Staatsrechtler und Politikwissenschaftler sezierte er schon frühzeitig die Funktionsweise der Bundesrepublik, deren vorläufiges Ende wir 40 Jahre später erleben. Seiner Grundkritik von den Parteien, die sich den Staat zur Beute machen, schloss sich der späte Richard von Weizsäcker öffentlich an.
Von Arnim sah die Bundesrepublik nicht als neutrale Demokratie, in der ein Wettbewerb der Ideen um bessere Lösungen konkurriert, sondern als von Parteien dominierte Republik der institutionellen Lähmung.
Besonders hart griff er die staatliche Parteienfinanzierung an.
Nach der Finanzkrise, in der zwar hauptsächlich öffentlich-rechtliche Banken wie die satt Steuergeld fressenden Landesbanken verwickelt waren, nahmen Bürokratie- und Parteienherrschaft erst so richtig Schwung auf. Die Überlegenheit staatlicher Lenkung und Planung schien damit zwei Jahrzehnte nach dem Ende der staatlich in den Untergang gelenkten DDR bewiesen.
Folgt man von Arnim, dann haben sich die Parteien als Lehmschicht zwischen Volk (es geht nicht anders, als es so zu nennen) und Parlament geschoben. Sie nehmen nicht an der „Willensbildung des Volkes teil“, wie Artikel 21 Grundgesetz formuliert, sondern sie sind der Willensbildungsprozess am Volk vorbei. Sie verändern das Grundgesetz nach ihrem Belieben – informell oder durch Änderung des Grundgesetzes. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wird durch Kuhhandel herbeigeführt; so hat Friedrich Merz seine Auflösung der Schuldenbremse mit Hilfe der LINKEN durchgesetzt – die dafür ihren Preis einfordern darf. Die Wähler? Werden lieber nicht gefragt. Parteien schlagen sich – und vertragen sich bestens, wenn es sich lohnt.
Halt! Da gibt es noch Einschränkungen, weswegen die 16-Prozent-Partei SPD zwei Richterinnen für das Bundesverfassungsgericht bestellen lassen will, die astreine Gebetsmühlenantreiberinnen ihrer Partei sind. Die Aufregung ist groß, die SPD und Markus Söder fordern prompt, die Wahl der Richterinnen durch den Bundestag abzuschaffen oder zumindest zu erleichtern. Das Parlament soll also noch weiter entmachtet werden und wehrt sich. Erstmals. Einmalig. Noch ist der Parteienstaat nicht ganz komplett. Auch die FDP, als faktisch nicht mehr existente Partei, darf noch ein Richter- oder Richterinnen-Pöstchen erwarten, die CDU den Rest und die AfD keinen. So ist das in „UnsererDemokratie“, die allein ihre ist. Ein peinliches Schauspiel der Demokratie-Abschaffung.
Und das geht so: Institutionelle Schranken werden übersprungen, man kennt sich, man hilft sich. Der Fall Ludwigshafen ist bemerkenswert. Dort lehnte der „Wahlausschuss“ die Kandidatur eines AfD-Mannes ab. Das Oberverwaltungsgericht Neustadt: „Mit Schreiben vom 29. Juli 2025 übersandte die Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Inneren und für Sport der Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen am Rhein die aus dortiger Sicht relevanten offenen und gerichtsverwertbaren (!!!) Erkenntnisse zum Antragsteller.“
Da stellen sich Fragen: Auf welcher Rechtsgrundlage fordert die frühere SPD-Bürgermeisterin beim SPD-Minister ein Dossier an? Die Stadt Ludwigshafen und ihr OB haben kein Recht, etwas für den Wahlausschuss anzufordern. Das müsste, wenn überhaupt, der Wahlleiter für den Wahlausschuss tun. Und wieso entscheidet der Wahlausschuss und nicht ein Gericht über „gerichtsverwertbare“ Angeblichkeiten? Denn im Wahlausschuss sitzen die Vertreter der dortigen Parteien, die also über einen Konkurrenten befinden.
Der Wahlleiter informierte seine Kollegen im Wahlausschuss erst in der einzigen öffentlichen Sitzung in dieser Sache; die Mitglieder fanden das Dossier vor und stimmten sofort ab. Es ging ja darum, den Konkurrenten zu beseitigen. Da ist man sich schnell einig. Und der Wahlleiter, was treibt den? Die Antwort ist frappierend: „Vorsitzender jedes Wahlausschusses ist der jeweilige ehrenamtliche Wahlleiter. Der wird nicht gewählt, sondern vom Landeswahlleiter ernannt. Der Landeswahlleiter wiederum wird vom Innenminister des betreffenden Landes ernannt.“ In Rheinland-Pfalz also durchgehend SPD, bis hinein in die Verwaltungsgerichte. Möglicherweise interessiert sich nicht jeder so intensiv für die Vorgänge in der sozialdemokratisch beispielhaft herabgewirtschafteten Pleitestadt am Rhein, die früher dank Gewerbesteuer von BASF eine der reichsten Deutschlands war.
Der Fall ist wichtig, denn: Es wird nicht mal mehr der Schein von Gewaltenteilung aufrechterhalten. Die Partei, oder die zu einem Block zusammenwachsenden Parteien CDU, SPD, Grüne mit der längst assoziierten SED-Die Linke machen sich, gemeinschaftlich handelnd, Land, Finanzen und Bürger zur Beute. Der Korrektheit halber: In Bayern muss man noch die Freien Wähler dazu rechnen. In ihrer formellen und informellen großen Koalition verschleppen sie Entscheidungsprozesse. Ohne neue Impulse blockieren sie sich gegenseitig, weil das oberste Gebot lautet: Zusammenhalten gegen alles, was einem der Partner nicht passt.
So bleibt das Heizungsgesetz der Ampel-Koalition unter der CDU-geführten Koalition unangetastet, das Gleichstellungsgesetz sowieso, und die CDU löst mit Hilfe der Gesamtkoalition die Schuldenbremse auf, um die Zustimmung der SPD für einen Kanzler Friedrich Merz herauszuschlagen. Und deshalb stört die AfD so sehr. Die will das auflösen, und zur ewigen Opposition verdammt handelt sie wie eine solche. Deckt Schummeleien und Verschwendung auf. Das darf nicht sein. Das muss weg. Die Brandmauer allein reicht nicht, weil die hinter die Brandmauer Verdammten nicht mitspielen, sondern sich einmischen.
Doch das System läuft zunehmend leer. Fehlentscheidungen und Friedhofsruhe statt Reformen sind die Folge, wobei die unheimliche Stille als rasender, tobender Stillstand inszeniert wird – viel Lärm um nichts, das ist Politik in Deutschland
Politik ist nicht mehr Berufung, sondern Beruf. Ein Anlernberuf. Mit Angelernten, die sich als Lehrer und Vormund über ihre Wähler aufschwingen und jedes Detail auch der privatesten Lebensführung kontrollieren wollen: Wer den Müll wegbringt, was auf den Teller kommt, wie getankt werden darf. Den Beruf des bevormundenden Abkassierers übt man am ungestörtesten aus, wenn man für Neueinsteiger Hürden errichtet und sich innerhalb des Kartells nicht anfasst. Parteien in Deutschland handeln nach dem Lehrbuch der Kartellbildung: Wettbewerb ausschließen, Pfründe untereinander sichern. Das funktioniert nur, wenn man sich gegenseitig nicht weh tut. Gelegentliche Schaukämpfe für die Wähler sind erlaubt, ernsthafte Auseinandersetzungen nicht. Der Kitt, der das Kartell zusammenhält, ist der Extra-Profit. Politik ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für jene, die sonst kein Auskommen fänden.
Parteien verteilen politische Mandate; allein in NRW sind es bei den kommenden Kommunalwahlen 11.000 Posten und Pöstchen; vom bescheidenen Gemeinderat bis zum Großstadt-Oberbürgermeister. Dazu kommen Chefposten beim Wasserwerk, den Verkehrsbetrieben, in Rheinland-Pfalz die Geschäftsführer der Krankenkassen. Es locken die Verbände der Wirtschaft, Kommunen und Sozialeinrichtungen, die allesamt parteipolitisiert sind, dazu Rundfunkräte und Redakteursstellen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Hochlukrativ sind Aufsichtsratsmandate in der Großindustrie wie bei VW, aber auch Sessel in Stiftungen sind bequem, selbst bei den Sozialverbänden gibt es Spitzengehälter. Noch mehr zahlen Förderbanken und staatlich kontrollierte Banken. Das Parteibuch ist lohnender als eine Lehre als Bankkaufmann oder Studium. Und nirgndwo wird Qualifikation und Können verlangt, es reichen Parteibuch, Parteitreue und Quote. Davon nicht zu knapp. So durchdringt das Netz der Parteien immer weitere Bereiche der Gesellschaft und sorgt dafür, dass statt Problemlösungen und Profit nur Mehrwert bei den Parteien bleibt. Das Netz ist reißfest, undurchsichtig, beengend für die, die nicht dazu gehören, was wiederum den Anreiz bildet, sich dort einzunisten. Mit dem richtigen Parteibuch geht’s schnell voran.
Die unheimliche Macht der Parteibuchbesitzer bleibt, solange der Wettbewerb von denen ausgeschlossen wird, die davon profitieren.
Die richtigen Maßnahmen dagegen liegen auf der Hand, sind bekannt, diskutiert und offensichtlich:
Aus sich heraus allerdings ist das System nicht reformierbar. Außer, die Lage wird so unhandhabbar, dass sich eine Minderheitsregierung der Vernünftigen bildet, die die unheimliche Macht der Parteibuchinhaber bricht, und wenn es mit der Kettensäge ist.
Nur darin liegt die Chance: Im Bundestag findet sich über Parteigrenzen hinweg eine Allianz der Reformer mit der genannten Agenda, um den kompletten Absturz und letztlich ein gewaltsames Ende der politisierten Misswirtschaft zu verhindern. Vielleicht findet sich sogar in der SPD noch der eine oder andere Vernünftige aus der früher großen Geschichte der Partei. Von den Grünen ist nichts zu erwarten; keine andere Partei ist so auf Postenbesetzung und Quotendurchdringung aus wie diese Partei der organisierten Unqualifizierten. Aber wer stellt sich an die Spitze? Dieser Job ist undankbar und – anders als bei Posten und Pöstchen – ist spätere Vollversorgung und Luxuspension nicht vorgesehen.