Gewitter-Alarm beim Koalitionsausschuss: Das sind die großen Streitpunkte von Schwarz-Rot

vor 3 Tagen

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Bildquelle: NiUS

„Alles, aber kein Streit“, lautet die Devise der neuen Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) – die Ampel-Regierung hatte als abschreckendes Beispiel gedient, wie es genau nicht laufen soll. Nach einigen Wochen Regierungszeit scheint sich der Friedenspakt zwischen Union und SPD so langsam zu verflüchtigen.

Denn nach großspurigen Antrittsinterviews der Minister und zahlreichen Auftritten des Bundeskanzlers auf der Weltbühne ist so langsam das Butter-und-Brot-Geschäft in Deutschland angesagt. Der Bundeshaushalt muss beschlossen werden und sobald es ums Geld geht, beginnen in der Regel die Zankereien. Aber mehr noch: Es geht um Wahlversprechen, Klimaschutz und auch ein AfD-Verbotsverfahren.

NIUS erklärt die zentralen Streitpunkte der schwarz-roten Bundesregierung, die beim Koalitionsausschuss am Mittwoch für Ärger sorgen dürften:

Merz und Klingbeil scheinen sich recht einig zu sein – die Parteien sind nicht nur happy.

Das sogenannte Bürgergeld ist zu einem gigantischen Kostenfaktor geworden – 42,6 Milliarden Euro hat Schwarz-Rot im Haushalt für das laufende Jahr 2025 eingeplant, die für Beitragssätze und Unterkünfte ausgezahlt werden sollen. Das sind 4,3 Milliarden Euro weniger als im letzten Jahr. Dabei zeigt die Tendenz der Ausgaben für das Bürgergeld seit Jahren nach oben.

Deshalb will die Union einen Sparkurs – und mehr Sanktionen für Unwillige!

„Wir brauchen deutliche Einsparungen, zum Beispiel durch den Systemwechsel vom Bürgergeld zur neuen Grundsicherung, um andere wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen zu können“, fordert der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann, bei NIUS. Auch CDU-General Carsten Linnemann fordert eine Reform, wie sie eigentlich auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist: „Wir müssen wirklich an die Substanz des Systems gehen. Wir können nicht wie in den vergangenen Jahren einfach nur irgendwelche neuen Sanktionen ankündigen, die dann in den Jobcentern vor Ort nicht umgesetzt werden können.“ Wer wiederholt zumutbare Arbeit ablehnt, soll das Bürgergeld komplett gestrichen bekommen können – so steht es im Koalitionsvertrag.

Bei der SPD scheint man diese Passagen vergessen zu haben. Das Interesse, das Herzensprojekt des eigenen, ehemaligen Arbeitsministers Hubertus Heil mit einer drastischen Reform als gescheitert zu bestätigen, scheint gering. Schon der Name „Bürgergeld“ ist irreführend, nachdem knapp die Hälfte der Empfänger gar keine Bürger Deutschlands sind. Die zuständige Ministerin und neue Co-Parteivorsitzende Bärbel Bas hält sich bisher bedeckt. Sie sagte lediglich: „Einen sozialen Kahlschlag wird es mit mir nicht geben.“

Die neue SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas bremst beim Bürgergeld.

Wie Bild berichtet, ist für das kommende Jahr immerhin eine Einsparung von 1,5 Milliarden Euro (2,9 Prozent) im Gespräch – durch die genannten verschärften Sanktionen bei Nichtmitwirkung und mit dem Versuch, Sozialbetrug stärker zu bekämpfen. Ab 2027 sollen jährlich drei Milliarden Euro Einsparung möglich sein.

Streitpotenzial: Das Bürgergeld ist nicht nur eine relevante Geldfrage mit Blick auf die Staatsausgaben. Aus gesellschaftlicher Sicht ist es vor allem eine große Gerechtigkeitsfrage: Wird Fleiß in Deutschland noch belohnt? Menschen, die jeden Morgen früh aufstehen und für kleine Löhne arbeiten, stehen nicht sonderlich viel besser da als die Menschen, die vom Bürgergeld leben. Ein Thema, das die Union im Wahlkampf ins Schaufenster gestellt hat. Die SPD-Blockade hat also Knall-Potenzial.

Den unerbittlichsten Kampf zieht wohl Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder durch: Sein Wunsch-Projekt, die sogenannte Mütterrente, muss kommen, so jedenfalls Söders Sicht. Rund 4,5 Milliarden Euro würde es kosten, Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zu ermöglichen, volle drei Jahre Erziehungszeit auf die Rente angerechnet zu bekommen. Für Söder handelt es sich um „eine zentrale Frage der sozialen Gerechtigkeit“ – und sein Kern-Wahlversprechen.

Da versteht er keinen Spaß: Markus Söder bei der Mütterrente

Auch hier steht die zuständige Arbeitsministerin Bärbel Bas auf der Bremse: Wie NIUS aus Koalitionskreisen erfuhr, verdächtigt die Union die neue SPD-Chefin, die Chefin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, vorzuschieben. Diese hatte erklärt, dass eine Einführung des Söder-Wunschprojekts aus technischen Gründen nicht vor 2028 zu realisieren sei.

Streitpotenzial: Söder drängt auf eine schnelle Umsetzung seines Lieblingsprojektes, SPD-Chefin Bärbel Bas scheint das Gegenteil erreichen zu wollen – das dürfte knallen!

„Wortbruch“ titelten Zeitungen und Medien landauf, landab. Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat verkünden müssen, dass die versprochene Senkung der Stromsteuer eben nicht für alle – die gesamte Wirtschaft ebenso wie Privathaushalte, wie im Koalitionsvertrag versprochen – vollzogen wird, sondern lediglich für Industrie- und Agrarbetriebe. „Hier trifft dann sozusagen Koalitionsvertrag auf finanzielle Möglichkeit und Wirklichkeit“, hatte Reiche gesagt.

5,4 Milliarden würden es kosten, alle Bürger wie versrochen zu entlasten. Es sei nicht genug Geld im Bundeshaushalt da, so die Begründung – also müsse priorisiert werden. Eine Erklärung, die angesichts von Rekordschulden in Höhe von 847 Milliarden Euro in nur vier Jahren für viel Ärger gesorgt hatte.

Inzwischen ist nahezu die komplette Union auf Konfrontationskurs, fordert die Senkung der Stromsteuer für alle und widerspricht damit sogar Bundeskanzler Friedrich Merz. Unions-Fraktionschef Jens Spahn etwa fordert die „zügige Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß für alle Unternehmen sowie alle Verbraucherinnen und Verbraucher“. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hatte SPD-Finanzminister Lars Klingbeil vor einem Bruch des Koalitionsvertrages gewarnt. CSU-Chef Söder bringt das Thema direkt mit den steigenden Kosten beim Bürgergeld in Verbindung: „Es kann nicht sein, dass wir beim Bürgergeld Rekordausgaben haben und deswegen andere wichtige Anliegen wie Entlastungen bei der Stromsteuer aufschieben müssen.“ Im Interview bei Maischberger hat dann sogar Merz die Tür aufgemacht, gesagt: „Wir schauen uns das mit gutem Willen an.“

Die SPD hingegen zeigt sich genervt: Die neue Parteichefin Bärbel Bas betonte im Deutschlandfunk, dass es sich um eine gemeinsame Entscheidung von Union und SPD gehandelt habe. „Der Beschluss zur Stromsteuer ist ein gemeinsamer Beschluss der Koalition, abgestimmt zwischen Kanzleramt, Bundeswirtschaftsministerin und Bundesfinanzminister“, sagte Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, dem RND.

Streitpotenzial: CDU und CSU scheint langsam zu dämmern, was bei Friedrich Merz noch nicht gänzlich angekommen zu sein scheint: Der Wortbruch bei der Stromsteuer kann einen gigantischen Vertrauensverlust auslösen. Vielen Menschen dürfte es nicht allein um die bis zu 200 Euro gehen, die eine Familie pro Jahr sparen könnte. Friedrich Merz ist mit einem noch viel größeren Wortbruch in der Schuldenfrage in seine Regierungsbildung gestartet. Irgendwann ist das Maß voll, was nicht eingehaltene Versprechen angeht. Es droht also nicht nur Krach zwischen beiden Koalitionspartnern, der Bundeskanzler selbst könnte ins Visier der eigenen Parteienfamilie geraten.

Obwohl die Grünen nicht in der Regierung sind, macht auch das Thema Klimaschutz Probleme: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche rüttelt nämlich am deutschen Klimaziel, schon 2045 klimaneutral werden zu wollen, das es inzwischen sogar ins Grundgesetz geschafft hat – fünf Jahre früher als der Rest der Europäischen Union.

Eine Harmonisierung mit den EU-Zielen wäre gut, so die CDU-Politikerin. Deutschland habe ein „völlig überzogenes Erneuerbaren-Ziel“ und viel zu hohe Netzentgelte. Weiter sagte sie: „Ich weiß nicht, ob sich das jemand wirklich durchgerechnet hat.“ Der Klimaschutz sei bei der Energieversorgung in den vergangenen Jahren „überbetont“ gewesen. „Wir müssen anerkennen, dass der Strom allein aus erneuerbaren Quellen keine günstige Stromversorgung, schon gar nicht für energieintensive Unternehmen, erreicht. Wir brauchen neue Gaskraftwerke.“

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche rüttelt am Klimaziel 2045.

Alles Aussagen, die von Ökonomen mit Wohlwollen wahrgenommen werden, bei Carsten Schneider, dem Umweltminister der SPD, jedoch auf Widerstand stoßen. Schneider räumte Reiches Vorstoß in aller Deutlichkeit ab: „Unsere gemeinsame Geschäftsgrundlage ist doch klar: An den nationalen Klimazielen wird nicht gerüttelt.“ Darüber gebe es auch keinen Streit in der Bundesregierung, so Schneider weiter.

Streitpotenzial: Mit Katherina Reiche ist ein marktwirtschaftlicher Wind ins Wirtschaftsministerium und somit auch in die Klima- und Energiepolitik eingezogen. Allein das kann bei ideologisch festgefahrenen Energiewende-Befürwortern für Ärger und Streit sorgen. Die Reaktionen von Umweltminister Schneider deuten jedenfalls stark in diese Richtung.

Es betrifft zwar nicht die tagesaktuelle Politik und doch geht auch ein Graben im Umgang mit der AfD durch die schwarz-rote Bundesregierung. Die SPD hat bei ihrem Parteitag am Wochenende mehrheitlich beschlossen, ein AfD-Verbotsverfahren einzuleiten. Parteichef Klingbeil sprach von einer „historischen Aufgabe“.

In der Union ist das nur eine Einzelmeinung.

Prominente Politiker, darunter der Bundeskanzler Friedrich Merz und Innenminister Alexander Dobrindt, haben sich mehrfach gegen ein Verbotsverfahren ausgesprochen. Man müsse die Partei mit guter Politik ihrer Argumente berauben, um so Wählerstimmen zurückzugewinnen, lautet die Marschroute bei den meisten in CDU und CSU. Spitzenpolitiker wie Fraktionschef Jens Spahn hatten sich dafür ausgesprochen, die AfD in parlamentarischen Prozessen und mit Blick auf Ausschussvorsitzende wie jede andere Partei auch zu behandeln – dafür erntete Spahn heftige Kritik auch aus der SPD.

Streitpotenzial: Die Frage um den Umgang mit der AfD hat kein akutes Knall-Potenzial, dafür jedoch ein dauerhaftes. In der SPD gibt es nicht wenige Politiker, die die Rechts-Partei für eine Wiederkehr der NS-Zeit halten. In der Union gibt es gerade im Osten der Republik erste Versuche, eine Zusammenarbeit mit der Partei anzubahnen. Ob sich diese Differenzen auch auf das Regierungshandeln auswirken werden, ist jedoch offen.

Mehr NIUS: Sozialsystem vor dem Kollaps! Schon bald muss sich der Staat entscheiden, ob er Bürgergeld oder Rente auszahlt

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