
Am Dienstag eröffnete Gregor Gysi den neuen Bundestag. Seine Rede erschien auf den ersten Blick bloß schwach: handwerklich misslungen, inhaltlich zerfasert, ohne Vogelperspektive und dafür mit obskuren Exkursen zur Besteuerung von Weihnachtsbäumen. Bei genauerem Hinhören offenbarte sich jedoch, was der Linken-Politiker im Bundestag entwarf: Es war eine neue historische Erzählung für ein Deutschland, in dem sich Linke und Islamisten wechselseitig die Macht sichern.
So gab sich Gysi beste Mühe, die sozialistische Diktatur in Ostdeutschland als harmlos darzustellen: Zwar hätten die „Demonstrierenden“ in der DDR „Mut bewiesen“, aber: „Auf der anderen Seite muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass damals von den bewaffneten Kräften der DDR kein einziger Schuss abgegeben wurde.“ Gysi kritisierte, die DDR sei auf „Staatssicherheit und Mauertote“ reduziert worden.
Blick von der Bösebrücke auf die Grenzanlagen an der Bornholmer Straße. Grenzanlage zwischen Ost- und West-Berlin in Richtung Gesundbrunnen.
Weitere Lobesworte fand er für die Gleichstellung, bei der „die DDR noch nicht am Ziel, aber deutlich weiter war als die damalige Bundesrepublik Deutschland“, sowie für die vermeintlich bessere Öko-Bilanz: „Und dann war die DDR schon zu diesem Zeitpunkt eine Behalte- und keine Wegwerfgesellschaft wie die Bundesrepublik. Sie war das zwar nicht aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen, aber sie war es halt.“
Tatsächlich hatte die DDR eine verheerende ökologische Bilanz mit erheblicher Umweltverschmutzung, doch um eine präzise Beschreibung der Realität geht es dem ehemaligen SED-Politiker Gysi erkennbar nicht. Wenn er die staatlich kontrollierte Mangelwirtschaft der DDR als „Behalte-Gesellschaft“ und ihre Sicherheitsbehörden als friedliebend anpreist, dann handelt es sich um eine dreiste Geschichtsklitterung zu den eigenen Gunsten.
Gysi wurde im Dezember 1989 zum Vorsitzenden der SED gewählt und blieb nach der Umbenennung der Partei in PDS bis 1993 im Amt. Bis heute ist nicht geklärt, was in diesen Jahren mit dem SED-Milliardenvermögen passierte, das in der Übergangszeit zwischen DDR und der Eingliederung in die Bundesrepublik verschwand. Auch ob Gysi als Spitzel für die Staatssicherheit tätig war, ist unklar.
Seine Geschichtsklitterung dient jedoch nicht nur der Reinwaschung der eigenen Historie, sondern trifft auf einem Land, das nur allzu gewillt ist, seine kommunistischen Verirrungen zu verdrängen. Am Leben gehalten wird vor allem die Erinnerung an den Nationalsozialismus, alles andere hat sich diesem allumfassenden Kampf „gegen Rechts“ – der vor allem linke Macht sichert – unterzuordnen.
Interessanterweise kann die Linke dabei ausgerechnet auf die muslimische Bevölkerung setzen, die ihr in besonders hoher Zahl zuneigt. Bei der Bundestagswahl wählte eine überwältigende Mehrheit der Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft linke Parteien. Die Linke landete bei ihnen auf dem ersten Platz, gefolgt von SPD, BSW und Grünen – zusammen erreichten die Parteien unter Muslimen 77 Prozent.
Hammer und Sichel neben Palästinenser-Flaggen.
In Frankreich kritisieren Beobachter unter dem Schlagwort „Islamo-Gauchisme“ schon seit Längerem die Allianz zwischen Linken und dem Islam. Auch in Deutschland bestehen seit jeher enge Bande zwischen linker und islamistischer Ideologie: Die RAF arbeitete mit palästinensischen Terrororganisationen zusammen, unterzog sich 1970 in Jordanien einer paramilitärischen Ausbildung durch die palästinensische Fatah. Die beiden RAF-Mitglieder standen auch auf der Liste der Personen, die die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ durch ihr Attentat auf die Olympischen Spiele in München 1972 freipressen wollten. In Ostberlin wiederum war der Anführer der PLO, Yassir Arafat, gern gesehener Gast. Israel hingegen galt dem DDR-Regime als Aggressor.
Seit Jahrzehnten sympathisiert der Großteil der deutschen Linken mit den Palästinensern, versteckt mitunter einen althergebrachten Antisemitismus hinter vermeintlicher Israel-Kritik. Ohne das Massaker der Hamas und den anschließenden Krieg im Gaza-Streifen wäre der jetzige Siegeszug der Linken wohl kaum denkbar gewesen.
Im Bundestag sprach Gysi zwar über die Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel, erklärte aber auch: „Wir stehen aufgrund unserer Geschichte auch den Palästinenserinnen und Palästinensern gegenüber in einer besonderen Verantwortung.“ Aus dem Holocaust leitet die deutsche Linke also eine Verpflichtung gegenüber den erklärten Feinden des jüdischen Staats ab. Im Windschatten der politischen Aktualität kann Gysi zudem die DDR von Schuld reinwaschen: Wen interessieren die Mauertoten von gestern, wenn Israel heute in Gaza einen vermeintlichen Genozid verübt? – So lautet Gysis geschichtspolitisches Kalkül, das aufgeht.
Gysi am Dienstag im Bundestag.
Auch im anti-westlichen Reflex gleichen sich Linke und Islamisten: Beide erkennen im Westen keinen Leuchtturm der Freiheit, sondern einen imperialistischen Unterdrücker. Die USA sind der Feind, der wegen seiner militärischen Interventionen für alle Verwerfungen in der islamischen Welt verantwortlich gemacht wird. Der alte linke Hass auf „den Ami“ ergänzt sich bestens mit dem Wunsch der Muslime nach einem Sündenbock für ihre scheiternden Herkunftsländer.
Der neue Klassenkampf der Linken speist sich aus einer Verachtung für den Staat, von dessen Leistungen man zugleich lebt: Auch hierin gleichen sich dekadente Akademiker und migrantische Sozialleistungs-Empfänger. In Berlin-Neukölln etwa holte der Gaza-Aktivist Ferat Koçak das erste Direktmandat für die Linke im Westen. Koçak, Mitglied der Antifa und der linksextremen Roten Hilfe, stellt seinen Hass auf die Polizei offen zur Schau, gründete die Anti-Polizei-Initiativen „Ihr seid keine Sicherheit“ und von „Kein Generalverdacht“ mit. Als der Filialleiter eines Supermarkts sich im Netz darüber beschwerte, dass Bewohner eines Asylantenheims bei ihm klauten, befand Koçak, dass sich „die Menschen nur holen, was ihnen zusteht“. Koçaks Beispiel illustriert, wie der Gesellschaftsvertrag aufgekündigt wird zugunsten einer Anspruchsmentalität, die den Staat zum reinen Dienstleister deklariert und seine Regeln zugleich missachtet.
Michel Houellebecq hat schon 2015 in seinem Roman „Unterwerfung“ beschrieben, wie Linke und Islamisten eine Allianz eingehen, von der beide Seiten profitieren. Ebendies erleben wir nun auch in Deutschland: Die Linke und ihre Wählerschaft beweisen, dass Islamismus und linke Ideologie bestens Hand in Hand gehen, allein schon wegen ihrer Nähe zur Militanz: Während linke Parteien im Wahlkampf ohne Skrupel an der Seite der Antifa „gegen Rechts“ demonstrierten, um die Opposition zu bekämpfen, überzieht der islamistische Terror in unvergleichlich schlimmerem Maße seit Jahren Europa mit Gewalt.
Es ist auch diese rohe Gewalt, die den Diskurs über Migration seit Jahren einschränkt. Alle namhaften Islam-Kritiker in Europa müssen mit Polizeischutz leben. Vielleicht ist dies auch einer der Gründe, weshalb die Union so zaghaft ist, wenn es darum geht, die Allianz aus Linken und Islamisten zu stören und ihre Macht zu beschränken. Am Dienstag bezeichnete CDU-Mann Thorsten Frei den ehemaligen SED-Funktionär Gysi als „erfahren und souverän“. Julia Klöckner, neue Bundestagspräsidentin, klatschte nach Gysis Rede. Die Reform der Schuldenbremse, auf die sich die Union mit der SPD geeinigt haben, wird ohnehin nur mit der Linken gemeinsam möglich sein, weil es eine Zweidrittelmehrheit braucht und die CDU nicht mit der AfD zusammenarbeiten will.
Der Unvereinbarkeitsbeschluss mit der SED-Nachfolgepartei ist damit hinfällig. Die Union macht jetzt schon deutlich: So, wie sie Aufstieg des Islamismus durch ihre Migrationspolitik überhaupt erst ermöglichte, ebnet sie nun auch dem links-islamistischen Bündnis den Weg. Für Deutschlands Zukunft bedeutet dies nichts Gutes. Für die Linkspartei hingegen durchaus.
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