Gavdos unter Druck: Wie Griechenlands südlichste Insel zur neuen Frontlinie der Migration wurde

vor etwa 5 Stunden

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Seit etwa einem Jahr landet eine stetig wachsende Zahl von Migranten auf Gavdos, einem abgelegenen Eiland zwischen Kreta und Nordafrika. Es sind vor allem junge Männer aus Sudan, Eritrea, Ägypten, dem Jemen und Bangladesch. Ihre Schleuser starten in Libyen und geben den Auftrag, Ausweisdokumente noch auf See oder kurz nach Ankunft zu vernichten. Was auf Gavdos anlandet, ist ein blinder Passagierstrom, völlig unregistriert und faktisch unkontrolliert.

Die Route über mehr als 150 Seemeilen von Tobruk nach Gavdos gilt inzwischen als eine der gefährlichsten im Mittelmeerraum. Über 2.200 Menschen kamen allein 2024 hier ums Leben, mehr als 1.000 gelten als vermisst. Während man im Osten der Ägäis Frontex-Patrouillen und EU-Augen zählt, herrscht auf Gavdos stille Katastrophenroutine. Protothema berichtet seit mehreren Jahren zu den Krisenzuständen auf Gavdos.

Vor Ort kämpfen zwei überlastete Küstenwächter ohne Patrouillenboot, ohne funktionierendes Fahrzeug, ohne Internetverbindung. Der Staat ist faktisch abwesend. Die Zusammenarbeit mit Frontex gilt als gestört, wenn nicht gescheitert. Die Versorgungslage ist prekär. Ein einziger provisorischer Auffangpunkt existiert, untergebracht in Agia auf Kreta. Die Boote, die dort anlanden, bringen täglich im Schnitt 200 Menschen. Und mit jedem neuen Tag werden es mehr.

Die Reaktion der griechischen Regierung ist bislang diplomatisch: Man prüft Gespräche mit Libyen, nach italienischem Vorbild. Doch ein funktionierendes Abkommen mit einem zerrissenen Staat wie Libyen bleibt Illusion. Ohne europäische Unterstützung und koordinierte Strategie dürfte Gavdos bald nicht nur überfordert, sondern dauerhaft destabilisiert sein.

Der Öffentlichkeit ist diese neue Route weitgehend unbekannt. Und auch Brüssel schweigt. Dabei ist Gavdos EU-Außengrenze. Was dort passiert, betrifft nicht nur Griechenland, sondern Europa insgesamt. Doch die politische Kommunikation konzentriert sich weiter auf vergangene Brennpunkte, auf Programme und Quoten, nicht auf reale Bewegungen.

Die Migration über Gavdos ist ein Lehrstück für das systemische Versagen europäischer Grenz- und Asylpolitik. Sie zeigt: Wo das Licht der Öffentlichkeit fehlt, gedeiht eine Schattenwelt aus Schleppernetzwerken, informellem Notbetrieb und moralischer Erpressbarkeit. Die Insel mag klein sein, die Lektion ist es nicht.

Gavdos ist nicht Lampedusa, aber vielleicht der Vorbote eines nächsten Lampedusa. Nur ohne Kameras, ohne Debatte, ohne Plan. Es ist die stille Front eines lautlosen Scheiterns. Während in Athen oder Rom vielleicht parteipolitische Debatten über „Seenotrettung“ geführt werden, liegt vor Gavdos die Verantwortung zuletzt auf den Schultern isolierter Küstenwächter und überforderten Bewohnern.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel