Großbritannien: Asyl-Hotel wird nicht geräumt

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Protestwelle gegen die Migrationspolitik der britischen Regierung hält unvermindert an, auch trotz und wegen eines Rückschlags im Fall Epping. Der Streit entzündet sich an sogenannten Asylhotels. Die aufgeworfenen Fragen führen aber viel tiefer in die Politik des Landes hinein.

In Epping im Norden von London fanden am Wochenende erneut Proteste vor dem „Bell Hotel“ statt, nachdem ein Berufungsgericht eine einstweilige Verfügung aufgehoben hatte, die eine Räumung des Asylhotels verlangt hatte. 138 illegale Zuwanderer hätten das Hotel eigentlich in den nächsten Tagen verlassen müssen, aber das kam anders. Einer der Gründe, der zu dem Kassieren der ursprünglichen Anordnung führte, ist besonders interessant.

Laut dem nun urteilenden Richter hat unter anderem die „Unerwünschtheit von Anreizen für Proteste“ den Ausschlag gegeben, die einstweilige Verfügung aufzuheben. In die Alltagssprache übersetzt: Weil sich die herrschenden Kreise keine Proteste – auch keine friedlichen – wünschen, darf ein Gericht den Demonstranten nicht Recht geben. Womit die Relativität des Rechts auch auf der Insel erneut bewiesen wäre.

Es geht also hin und her, und der Weg, den Nigel Farage als siegreich beschrieben hat – friedliche Bürgerproteste, die eine Korrektur der Regierungspolitik herbeiführen – scheint erneut verbaut. Am Freitag wurden drei Männer am „Bell Hotel“ festgenommen, allerdings wegen ganz verschiedener Vergehen, wie die BBC berichtet: einer wegen gewalttätiger Unordnung, ein anderer wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten, ein dritter wegen Trunkenheit am Steuer. Für Sonntag wurden weitere Proteste dort erwartet – ebenso wie an vielen anderen Orten im Königreich. Ein Video zeigt die Festnahme eines angeblichen Anführers der Epping-Proteste wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“.

In Epping wollen Bürger derweil keine Kommunalsteuern mehr zahlen, bis das Ärgernis aus der Welt geräumt ist. Ebenso kündigten sie Widerstand gegen die Gebühr der BBC an – offenbar wegen einer Unausgewogenheit der Berichterstattung, wie sie auch den deutschen öffentlichen Rundfunk auszeichnet.

Bilder und Videos von den Demonstrationen, etwa vom London Standard, zeigen ganz und gar keine Schläger oder auch nur Raufbolde, sondern besorgte Bürger im besten Sinne des Wortes. Inzwischen haben sich die Proteste auf mehr als 70 Orte ausgebreitet und Zehntausende angezogen.

Die hochgehaltenen Schilder und Transparente dazu lesen sich etwa so: „Schützt unsere Frauen und Kinder, nicht unkontrollierte Illegale!“ Oder auch: „Wir sind nicht extrem rechts, aber wir liegen auch nicht extrem falsch.“

Oder: „Rettet unsere Zukunft und die unserer Kinder.“ Dazu kommen immer wieder nicht nur Union Jacks, sondern auch die englische Flagge mit dem Georgskreuz oder das schottische Andreaskreuz.

Andernorts sind die Bilder bunter, aber Gewalt steht auch hier keineswegs im Vordergrund, auch wenn BBC und Nachrichtenagenturen das Geschehen beharrlich so einrahmen.

Am Sonnabend ging es im äußersten Westen von London weiter. Zwei Gruppen von Demonstranten zogen auf das Crowne Plaza Hotel in der Nähe des Flughafens Heathrow zu. Am Ende versuchten wohl hier einige von ihnen, sich Zugang zu dem Hotel zu verschaffen. Die Polizei schritt ein und nahm fünf Personen fest. Mehrere Beamte wurden verletzt. Manche sprechen schon von einem Bürgerkrieg, der nun eben ausbreche. Aber das wäre eine sehr zahme Version.

Mehr als 32.000 Migranten sind derzeit in rund 200 Hotels im gesamten Land untergebracht, sagen Regierungszahlen. Das wäre etwa ein Drittel derer, die derzeit auf einen britischen Asylbescheid warten. Doch die Regierung selbst will angeblich aus diesem Unterkunft-Modell aussteigen – bis zum Ende der aktuellen Wahlperiode, vor allem weil die Asylhotels keine „nachhaltige Lösung“ seien. Allerdings ahnt man auch und kann wissen, worin eine nachhaltige Lösung bestehen wird. Man wird einen Haufen Sozialleistungen an jeden einzelnen Migranten auszahlen, damit er sich selbst mit einer Wohnung und allem Nötigen versorgen kann. Das wird schon jetzt praktiziert, und heißt in Großbritannien bezeichnenderweise „Universal Credit“. Die Noch-Oppositionspartei Reform UK will es, wenn nicht abschaffen, so doch beträchtlich schrumpfen.

Reform UK führt die Umfragen nun schon seit Mai klar an, derzeit mit 35 Prozent, bei aktuell 15 Punkten Vorsprung vor Labour. Die Konservativen sind auf 17 Prozent geschrumpft. Nigel Farage hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs hunderttausende illegale Migranten abschieben zu wollen.

Am Ende geht es bei den Protesten um mehr als nur das Asylsystem des Landes. Es geht um das Unbehagen der Provinz an weltfremden Entscheidungen der nationalen Politik. Sogar die regierende Labour-Partei, dem Protest eigentlich ganz und gar abhold, muss zugeben, dass dieser sich zu einer ebenso „moralischen wie politischen Angelegenheit“ ausgewachsen hat.

Das Aufhängen von England-Flaggen an Laternen und anderswo geht derweil weiter: Die Flaggen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass sich viele Bürger ein anderes, aus der Geschichte wohlbekanntes Verhältnis zum Nationalstaat und seinen Traditionen wünschen.

Doch nicht überall ist das Georgskreuz willkommen, sogar die Polizei entfernte die Flaggen, weil sie die öffentliche Ordnung stören könnten. Das ist so ähnlich wie in Leicester, wo anscheinend mehrere Muezzin-Rufe erlaubt sind, aber die Kirchenglocken wegen Ruhestörung stumm gestellt werden mussten.

Auch Elon Musk hat sich durch das Posten einer England-Flagge mit den Protesten solidarisiert. Die Aufhebung der Räumungsverfügung in Epping kommentierte er mit den Worten: „Wohin Epping geht, dahin geht ganz England.“

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