
Umstrittene Strafrechtsreform in Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. „Für Gruppenvergewaltigungen wollen wir den Strafrahmen grundsätzlich erhöhen, insbesondere bei gemeinschaftlicher Tatbegehung, bei Vergewaltigung und bei Herbeiführung einer Schwangerschaft“, heißt es darin. Eine grundsätzlich begrüßenswerte Reform, mit dem Sexualstraftäter härter geahndet werden?
Mitnichten. Denn die Formulierung wirft mehrere juristische und rechtspolitische Fragen auf. Zuerst: Eine Erhöhung der Höchststrafe hätte kaum Auswirkungen, da Gerichte selten das volle Strafmaß ausschöpfen. Die Nennung einer Schwangerschaft als strafschärfend legt zudem nahe, dass Verhütung oder Zufall das Strafmaß beeinflussen sollen. Die Koalition kündigt eine Erweiterung des Strafrahmens an: In der Praxis hat das wenig Auswirkungen, da Gerichte innerhalb des Rahmens urteilen, jedoch nicht verpflichtet sind, ihn auszuschöpfen. Höhere Höchststrafen führen daher nicht automatisch zu härteren Urteilen.
Der Strafverteidiger Udo Vetter verweist darauf, dass der geltende Paragraf 177 des Strafgesetzbuchs schon jetzt hohe Strafrahmen vorsieht. Gegenüber NIUS sagt er: „Diese krassen Fälle, über die wir jetzt reden, sind ohnehin nach oben hin nur durch die Höchstgrenze von 15 Jahren begrenzt. Der Strafrahmen ist bisher da, also den kann man nicht erhöhen, weil 15 Jahre das Größte ist, was man erhöhen könnte.“ Vetter hält es für wahrscheinlich, dass die Erhöhung der Mindeststrafe gemeint sei, merkt aber an: „Das steht hier nicht drin. Und das ist das, was verwundert.“
Fachanwalt für Strafrecht, Udo Vetter
Die Formulierung im Koalitionsvertrag nennt die Herbeiführung einer Schwangerschaft ausdrücklich als strafschärfenden Umstand. Dies legt nahe, dass das Strafmaß unter anderem von biologischen Folgen abhängig gemacht werden soll. Ein Täter, dessen Opfer verhütet hat oder nicht schwanger wird, könnte demnach mit einer geringeren Strafe rechnen.
Vetter weist deshalb darauf hin, dass diese Lesart in der Praxis vorkommt, jedoch nicht zulässig sei: „Der große Fehler, der immer gemacht wird, auch bei der normalen Vergewaltigung, ist, dass man sagt: Oh, der Mann hat ja ein Kondom verwendet, deswegen fällt die Strafe geringer aus. Der Bundesgerichtshof hat aber gesagt: Die Verwendung eines Kondoms ist kein Strafmilderungsgrund.“
Auch Marcel Luthe, Vorsitzender der „Good Governance“-Gewerkschaft, kritisiert gegenüber NIUS die Regelung deutlich: „Der gesamte Marienkäfer-Koalitionsvertrag ist nicht nur inhaltlich grauenhaft, sondern auch sprachlich dilettantisch, halbgares Stückwerk. Nach dem Wortlaut der Regelung soll faktisch die Vergewaltigung einer Frau, die zufällig die Pille nimmt, weniger hart bestraft werden als die einer anderen Frau! Das ist rechtspolitisch völliger Irrsinn! Das Problem bei Sexual- und Gewaltdelikten ist nicht der Strafrahmen, sondern sind die fehlenden Ermittlungskapazitäten, weshalb 85 Prozent der Verfahren ohne ernsthafte Ermittlungen eingestellt werden müssen.“
Marcel Luthe, Vorsitzender der Good Governance Gewerkschaft
Im geltenden Recht ermöglicht § 177 Abs. 9 StGB eine Herabsetzung der Mindeststrafe auf ein Jahr, wenn ein „minder schwerer Fall“ angenommen wird. Dies betrifft unter Umständen auch Konstellationen mit gemeinschaftlicher Tatbegehung.
Vetter erläutert: „Wenn man Law-and-Order-Politik machen will, müsste man die minder schweren Fälle streichen. Dann wäre es brutal für die Täter. Der sogenannte minder schwere Fall – das ist das Schlupfloch. Es wird nach oben immer weiter ausgedehnt, aber das naheliegende Schlupfloch nach unten wird nicht gestopft.“
Er weist zudem darauf hin, dass dieses Schlupfloch in der gerichtlichen Praxis regelmäßig genutzt wird: „Wenn Sie das geschickt verteidigen und der Staatsanwalt nicht so schlecht drauf ist und das Gericht auch nicht – sind Sie in der Regel bei Sexualstraftaten immer jetzt schon im minderschweren Fall.“
Die geplante Reform zielt auf eine Verschärfung der Strafverfolgung bei Gruppenvergewaltigungen, bleibt dabei jedoch unklar in der Systematik und öffnet gleichzeitig neue Wertungsprobleme. Die Verbindung zwischen Schwangerschaft und Strafmaß ist aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch, da sie biologische Umstände über den Unrechtsgehalt der Tat stellt. Auch die Frage der tatsächlichen Effektivität stellt sich, solange das Einfallstor des § 177 Abs. 9 StGB bestehen bleibt.
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