
Die Bundestagswahl mag die Union gewinnen, langfristig stecken CDU und CSU allerdings in der AfD-Falle. In den aktuellen Umfragen liegt die Union zwischen 29 und 31 Prozent und dürfte damit auch bis zur Bundestagswahl am 23. Februar einen deutlichen Vorsprung vor ihren parteipolitischen Verfolgern (AfD 21 Prozent, SPD und Grüne 14 bzw. 15 Prozent) halten können.
Doch am Ende dieser ersten Januarwoche mit den beiden Klausuren von CSU (Kloster Seeon) und CDU (Hamburg) wird das langfristige strategische Dilemma der Union deutlich sichtbar: Eine starke AfD ist den Konservativen auf den Fersen, kommt aber als Kooperationspartner nach den Worten von CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz nicht in Betracht. Er werde nicht zulassen, dass in der CDU die „Brandmauer“ zur AfD falle, sagte Merz in den ARD-„tagesthemen“ am Freitagabend. In der Unionsspitze wird davon ausgegangen, dass die AfD in den kommenden Tagen und Wochen noch zulegen könnte.
Söder und Merz vergangene Woche im Kloster Seeon
Merz wörtlich: „Ich knüpfe mein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU“ an diese Frage. „Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält – eine Partei, die mit Russland liebäugelt und aus der Nato und aus der Europäischen Union austreten will.“ Merz fügte hinzu: „Wenn wir das machen würden, wir würden die Seele der CDU verkaufen.“ Österreich zeige, was passiere, „wenn man meint, man müsse eine solche Gruppierung, eine solche Partei durch eine solche Regierungsbeteiligung domestizieren oder irgendwo zur Vernunft bringen“, sagte Merz. „Nein, wir bringen sie nicht zur Vernunft, die machen sie immer nur stärker.“
Gleichzeitig haben die jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gezeigt, in welch schwierige Lage die Union gerät, wenn sie durch diese Festlegung zu Bündnissen mit linken Parteien gegen die AfD gezwungen ist. Hinter verschlossenen Türen machten auch hier in Hamburg mehrere CDU-Landeschefs ihrem Ärger über die anhaltende Koalitionsdebatte Luft, ob die Union sich nach der Bundestagswahl ein Bündnis nicht nur mit der SPD, sondern auch mit den Grünen offenhalten solle. Dies schade der Wählergunst sehr, hieß es. Merz nannte es ein „dämliches Thema“. In der CDU wird allgemein CSU-Chef Markus Söder dafür verantwortlich gemacht, dass diese Diskussion nicht verstummt.
Offiziell gibt sich die Union alle Mühe, mit markigen Sprachregelungen jeden Zweifel an der vollen Durchsetzungsfähigkeit ihrer Ziele nach der Wahl zu zerstreuen: „Wir kämpfen für ein starkes Ergebnis der Union“, sagt etwa Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Landeschef Daniel Peters zu NIUS. „Nur mit der CDU und der CSU wird es einen Politikwechsel geben. Sofern es einen Partner braucht, muss dieser unseren Weg mitgehen.“ Das sehen politische Partner in der Regel allerdings meist ganz anders. Pfeifen im parteipolitischen Wahlkampf-Wald. Motto: Erst einmal gewinnen, dann sehen wir weiter.
Trotz ihrer guten Aussichten bei der Bundestagswahl steckt die Union mittelfristig strategisch in einer Lose-lose-Situation: Mit der „Brandmauer“ sind Bündnisse mit SPD oder Grünen unvermeidlich, die zum weiteren Schleifen des Profils von CDU/CSU führen, weil der versprochene „Politikwechsel“ allenfalls bruchstückhaft geliefert werden kann und das Vertrauen in die bürgerliche Volkspartei weiter einer wachsenden Beliebigkeit geopfert wird. Auch die schon jetzt vernehmbaren Warnungen an die Bürger, wer AfD wähle, bekomme am Ende linke Bündnisse, dürfte enttäuschte Ex-Anhänger der Union kaum überzeugen oder gar zurückholen und wird eher als eine wenig subtile Art der Erpressung wahrgenommen.
Sahra Wagenknecht, Chefin des BSW: Wer rechts verhindert, bekommt linke Bündnisse – so gesehen in Sachsen. In der Bundespolitik wird es kaum anders laufen.
Positive oder moderate Signale in Richtung AfD wiederum dürften diese - unabhängig vom persönlichen Schicksal des Spitzenkandidaten Frierich Merz - eher stärker machen und die Union langfristig marginalisieren. Das Schicksal inzwischen fast bedeutungsloser bürgerlicher Parteien in den europäischen Nachbarländern wird hier immer wieder als warnendes Beispiel angeführt. Ganz gleich also, ob mit oder ohne AfD, der Union droht in beiden Fällen ein absehbarer Stammwählerverlust.
Hinzu kommt, dass ein Szenario wie in Österreich, das hinter den Klausur-Kulissen auch immer wieder diskutiert wurde, für Deutschland nicht denkbar sei, wie es heißt. Dort hatten Sozialdemokraten (SPD), Konservative (FPÖ) und Liberale (NEOS) ihre Koalitionsverhandlungen für ein Dreierbündnis gegen den Wahlsieger FPÖ abgebrochen, weil man sich nicht einigen konnte. Die Union könnte in einem solchen Fall aus „staatspolitischer Verantwortung“ vergleichbare Gespräche nicht scheitern lassen und müsste gegebenfalls bittere Kröten schlucken, die ihr Image weiter ruinieren würden. Auch Neuwahlen lassen sich nach der deutschen Rechtslage nicht so ohne weiteres herbeiführen.
FPÖ-Chef Herbert Kickl: Das Scheitern der Koalition in Österreich zeigt, zu welchen Entwicklungen das Ausgrenzen einer zahlenmäßig starken Partei führen kann.
Und worin sieht die Union nun den Ausweg? Auf den Klausuren von CSU und CDU wurde vor allem immer wieder die eigene Stärke beschworen. Je besser die Unionsparteien bei der Bundestagswahl abschneiden, hieß es unisono, desto mehr Politikwende könne man gegen mögliche Koalitionspartner durchsetzen. Eine Argumentation, die in diesem Punkt zweifellos schlüssig ist, aber eben auch auf alle anderen Parteien einschließlich AfD zutrifft. In Österreich hat die FPÖ im Zuge des Gezerres um ihre Ausgrenzung aus einer möglichen Regierung noch einmal deutlich zugelegt und steht in den Umfragen derzeit zwischen 35 und 37 Prozent. Bei der Wahl Ende September hatte sie 28,8 Prozent erreicht.
Ganz allgemein will die Union mit den Schlagworten Wachstum, Sicherheit und Migration punkten. Die CDU hat auf der Hamburger Vorstandsklausur eine „Agenda 2030“ beschlossen, die mittelfristig ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent pro Jahr sichern soll. Dies soll durch allgemeine Steuersenkungen, etwa bei der Körperschaftsteuer (runter auf zehn Prozent), der Stromsteuer (Preise sollen um mindestens fünf Cent pro kw/h sinken) und bei der Einkommensteuer (Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro) erreicht werden. Außerdem sind schärfere Sanktionen beim Bürgergeld vorgesehen, das künftig „Neue Grundsicherung“ heißen und zu Milliarden-Einsparungen im Haushalt führen soll.