Halbzeit für Meloni

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Das ist mal eine Meldung: Italien zieht beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf mit Frankreich gleich – und demnächst wohl auch vorbei, wie es aussieht. Zwar liegt Italien beim Gesamt-BIP von 2,1 Billionen noch deutlich hinter dem Nachbarland mit 2,9 Billionen Euro. Aber es ist eine bemerkenswerte Entwicklung für das Land, das rund ein Jahrzehnt lang eine von linken Statthaltern verwaltete EU-Provinz war. Noch vor einem Jahrzehnt lag Frankreich beim Pro-Kopf-BIP ganze zehn Prozent vor Italien.

Es ist eine Meldung, die Giorgia Melonis Halbzeit versüßt. Ende April war die Hälfte ihrer Legislaturperiode um, die im Oktober 2022 begonnen hat. Medien und Parteien links der Mitte hatten damals das Schreckensbild einer post-faschistischen Politikerin gezeichnet, die sich nie von Mussolinis Erbe distanziert hätte.

Das hat sich als doppelte Fehleinschätzung entpuppt. Einerseits weil Italien weiterhin eine funktionierende Demokratie ist. Andererseits weil nicht Italien, sondern Deutschland im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit steht – wo nichts ahnende Bürger frühmorgens aus dem Bett geklingelt werden, weil sie im Internet das falsche Meme geteilt haben.

Auch Vorwürfe, Meloni sei eine Deutschenhasserin, die ihre Politik gegen Berlin ausrichte, haben sich bis heute nicht bewahrheitet. Vielmehr hat Meloni – das wird häufig vergessen – ihren ersten bilateralen Besuch dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz abgestattet. Die Römerin umgarnte mit ihrer charmanten Art den spröden Sozialdemokraten. Während dessen Partei gegen Meloni giftete, arbeitete Scholz konstruktiv mit ihr zusammen. Melonis besonderes Talent: Sie behält ihren Stil und ihre Werte, agiert aber pragmatisch in der Sache.

Das galt nicht nur bei Scholz. Beim G7-Gipfel in Apulien verschaffte Meloni Italien wieder einen Platz auf der Weltbühne und setzte zudem durch geschickte Einladungen, etwa an Papst Franziskus und Javier Milei, besondere Akzente. Frankreich, das den Tagesordnungspunkt eines „Rechts auf Abtreibung“ verankern wollte, ließen die Italiener machiavellistisch abblitzen; andernfalls hätte es einen Eklat im Angesicht des Papstes gegeben.

Verwundert beäugen die Beobachter aller Lager auch die Frauenfreundschaft zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der italienischen Ministerpräsidentin – die sich weiterhin als „Ministerpräsident“ anreden lässt. Emmanuel Macron kämpft mit einem unregierbaren Parlament, in Deutschland regierte eine zerstrittene Ampel, in Spanien verwaltete eine unpopuläre Linksregierung das Land, in Polen tobte ein Krieg zwischen der Tusk-Regierung und der oppositionellen PiS. Ausgerechnet das chronisch instabile Italien erwies sich in dieser Zeit als der stabile Anker der EU.

Dass Meloni diese Taktik gewählt hat, begründet sich aus der Vergangenheit. Sie hat vor 15 Jahren hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn Italien zu forsch gegen Brüssel vorgeht – und Frankreich und Deutschland dagegenhalten. Im Jahr 2011 wurde der damalige Premier Silvio Berlusconi de facto durch die Europäische Zentralbank (EZB) entmachtet. EZB-Chef Jean-Claude Trichet und der Chef der italienischen Zentralbank, Mario Draghi, setzten mit einem gemeinsamen Brief die Regierung dermaßen unter Druck, dass der „Cavaliere“ die Mehrheit im Parlament verlor. Angeblich sei Berlusconi nicht fähig oder bereit, Strukturreformen durchzusetzen, hieß es.

Medien und Bevölkerung erkannten in dem Schreiben eine „EZB-Regierungsanweisung“. Der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy machte auf Berlusconi Druck, zurückzutreten. Merkel wollte den „Cavaliere“ ebenfalls loswerden. Am 12. November 2011 war es dann tatsächlich so weit: Berlusconi trat zurück. Eine technische Regierung unter dem Wirtschaftsprofessor und früheren EU-Kommissar Mario Monti übernahm das Ruder.

Monti wurde von den Italienern als „EU-Mann“ wahrgenommen. Vier Tage nach Berlusconis Rücktritt verloren sämtliche Minister ihr Amt – darunter auch die jüngste Ministerin der italienischen Geschichte, Giorgia Meloni. Die Ministerin für Jugend und Sport war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt. Geprägt hat Meloni neben diesem Erlebnis, wie Frankreich sich in die italienische Interessensphäre Libyen einmischte, am Krieg gegen Gaddafi mitwirkte und damit die Migrationskrise mit auslöste.

Aus dieser Erfahrung speisen sich unausgesprochene Prämissen der Römerin, die im Jahr 2012 Berlusconis Mitte-rechts-Partei verließ und mit den Fratelli d’Italia die Tradition der nationalkonservativen Alleanza Nazionale wiederbelebte. Ihre Partei erreichte in den ersten Jahren meistens zwischen drei und fünf Prozent.

Der neue Shootingstar der Rechten war Matteo Salvini von der Lega, der den Parteienzirkus aufmischte. Mit der Regierungsbeteiligung 2018 und seiner kurzen, aber intensiven Amtszeit als Innenminister setzte er Akzente und erzielte in Umfragen über 30 Prozent Zustimmung. Meloni spielte in dieser Zeit nur die dritte Geige hinter dem kraftmeierischen Salvini und der abgespeckten ehemaligen Volkspartei Forza Italia von Berlusconi.

In diesem Zusammenhang veröffentlichte sie Ende 2021 ihre Autobiografie: „Ich bin Giorgia“. In dieser nimmt Meloni Bezug auf den Slogan einer viral gegangenen Rede, die zum Internetphänomen wurde: „Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin.“ Von diesem Moment an etablierte sie sich als Führungsfigur der Konservativen. Ein Jahr später war sie Ministerpräsidentin.

Das Buch ist mittlerweile auf Deutsch erschienen – denn das Phänomen Meloni ist kein italienisches mehr. Mit ihren Auftritten ist sie in Europa und der ganzen Welt zu einem Symbol einer jungen, rechten Generation geworden. Sie steht für ein stabiles Land, das nach Jahren der Demütigungen mit neuem Selbstbewusstsein auf sich schaut. In der EU ist Italien zum eigentlichen Kontrapunkt Frankreichs geworden. Das Stottern des französisch-deutschen Motors hat Meloni taktisch klug genutzt, um Italien wieder als ernst zu nehmenden Faktor zu positionieren.

Die Kräfteverschiebung zeigt sich auch am Beispiel des französisch-italienischen Autokonzerns Stellantis (Peugeot und Fiat). Dessen ehemaliger Chef Carlos Tavares stand Macron nahe. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht, und der neue Stellantis-CEO Antonio Filosa ist ein Fiat-Mann.

Das sind nur Schlaglichter auf die ökonomische und politische Situation. Stärkstes Abbild der neuen italienischen Stärke ist wohl der Spread, also der Renditeabstand zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, der die Risikobewertung der Anleger widerspiegelt. Hatte er zum Höhepunkt der Finanzkrise fast sechs Prozentpunkte erreicht, liegt er heute mit einem knappen Prozentpunkt auf einem vergleichsweise niedrigen Wert.

Meloni steuert Italien also durch ruhiges Gewässer, was in einem Land mit ständigen Parteiintrigen, sklerotischem Etatismus und fest durch den ideologischen Gegner besetzten Posten in Bürokratie und Justiz bereits viel bedeutet. Anders als Berlusconi ist Meloni mehrfach abgesichert: durch ihr Taktieren mit Brüssel, durch die Schwäche Frankreichs – und durch die „special relationship“ mit den USA. Italien ist dank Donald Trump und der ideologischen Nähe im Begriff, Großbritannien zu ersetzen. Ein lang gehegter römischer Traum. Meloni hat ihn sich erfüllt.

Giorgia Meloni, Ich bin Giorgia. Meine Wurzeln, meine Vorstellungen. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 384 Seiten, 26,00 €.

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