„Haldenwang war befangen“: So bewerten Juristen den Wechsel des Ex-Verfassungsschutzpräsidenten in den Bundestag

vor 6 Monaten

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Gestern noch Verfassungsschutzpräsident, morgen schon CDU-Kandidat: Die politischen Ambitionen von Thomas Haldenwang lassen Zweifel an der Unabhängigkeit des Inlandsgeheimdienstes aufkommen.

Am Mittwoch hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz abgesägt: Ein Sprecher erklärte, die Ministerin habe den Innenausschuss des Bundestags darüber informiert, dass Haldenwang die Amtsgeschäfte ab sofort nicht mehr wahrnehme. Am Dienstag war bekannt geworden, dass Haldenwang bei der Bundestagswahl als Direktkandidat für die CDU im Wahlkreis Wuppertal antreten möchte.

Als Verfassungsschutzpräsident hatte Haldenwang wiederholt Zweifel daran geweckt, ob er die Macht des Geheimdienstes ausschließlich dafür einsetzte, Gefahren für die Demokratie abzuwehren – oder ob er sein Amt missbrauchte, um Politik zu machen. So sagte er 2023 im ZDF-heute journal: „Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“ Eine Überschreitung seiner Kompetenzen, denn der Inlandsgeheimdienst darf sich nicht in den parteipolitischen Wettbewerb einmischen.

Faeser sägte Haldenwang ab.

Auch hatte Haldenwang den Kampf von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gegen Rechtsextremismus stets unterstützt, dabei immer wieder die Grenze zwischen strafbarem und nicht strafbarem Verhalten verwischt. So erklärte Haldenwang im Februar 2024 mit Blick auf Rechtsextremismus: „Wir müssen aufpassen, dass sich entsprechende Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache einnisten.“ Auch sagte er: „Wir dürfen nicht den Fehler machen, im Rechtsextremismus nur auf Gewaltbereitschaft zu achten, denn es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebung.“

Dass Haldenwang nun in die Politik wechselt, hat unmittelbare Implikationen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes. Dieser stuft den größten politischen Konkurrenten von Haldenwangs CDU, die AfD, als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein und darf die Partei darum auch mit nachrichtendienstlichen Mittel observieren. Die Unterlagen, die dafür gesammelt werden, würde das Verfassungsgericht auch in einem möglichen Verbotsverfahren auswerten. Diese Unterlagen sind aber nur nutzbar, wenn die Unabhängigkeit des Geheimdienstes gewährleistet ist.

Gleichzeitig laufen im Bundestag parteiübergreifende Bestrebungen, trotz des Ampel-Aus noch in dieser Legislatur einen AfD-Verbotsantrag durch das Parlament zu bringen. Am Mittwoch brachten Abgeordnete einen entsprechenden Antrag ein. Doch schon einmal war es der Verfassungsschutz, an dem ein Partei-Verbotsverfahren scheiterte: 2003, als die NPD verboten werden sollte. Das Bundesverfassungsgericht urteilte damals, dass zu viele V-Leute in der Partei seien und darum nicht eindeutig zu erkennen sein, ob die verfassungsfeindlichen Bestrebungen tatsächlich von der Partei stammen oder doch vom Staat.

Verfassungsrechtler Boehme-Neßler erklärt dazu: „Wenn der Verfassungsschutz nicht mit Bedacht vorgeht, kann er ein Verbotsverfahren gefährden.“ Könnte die Kandidatur von Haldenwang also Auswirkungen auf ein AfD-Verbotsverfahren haben? Boehme-Neßler meint: „Stellt das Verfassungsgericht eine parteiische Färbung des Bundesamtes für Verfassungsschutz fest, dann wird es dessen eingereichte Belege nicht verwenden. Es wertet zwar noch immer auch eigene Hinweise und Unterlagen aus, könnte aber ohne die Materialien des Verfassungsschutzes zu wenige Indizien für ein Verbot sehen.“

Boehme-Neßler kritisiert die Kandidatur von Haldenwang grundsätzlich: „Beamte dürfen zwar Mitglied einer Partei sein – alles andere verstieße gegen ihr Recht auf Meinungsfreiheit – aber sie sind zu Neutralität und Mäßigung verpflichtet, sollten also nicht aktiv für eine Partei eintreten. Das Prüfungsverfahren, ob die AfD gesichert rechtsextrem ist, richtet sich gegen einen politischen Konkurrenten seiner Partei. Genau das aber sieht das Grundgesetz nicht vor: Der Verfassungsschutz soll nicht genutzt werden, um politische Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.“

Haldenwangs Einsatz richtete sich vor allem gegen die AfD.

Der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner sagt: „Die Beweise sammelt zwar nicht Haldenwang selbst, sondern seine Mitarbeiter. Als Präsident des Verfassungsschutzes kann er jedoch maßgeblichen Einfluss nehmen auf die Materialsammlung und auch auf die Einstufung der Partei. Nach allgemein verwaltungsrechtlichen Maßstäben war Haldenwang durch die Erklärung seiner Kandidatur meiner Ansicht nach als befangen einzustufen.“

Einen rückwirkenden Einfluss der Kandidatur auf seine Arbeit als Verfassungsschutzpräsident erkennt Lindner nicht: „Die Materialien, die Haldenwang in der Vergangenheit sammeln ließ, und die Entscheidungen, die er traf, hätten in einem potenziellen AfD-Verbotsverfahren vor Gericht weiterhin bestand.“

Boehme-Neßler widerspricht: „Wenn Haldenwang nun für die CDU antritt, dann liegt der Verdacht nahe, dass er sich auch in der Vergangenheit nicht an das Mäßigungsgebot gehalten hat, denn ohne vorherige Gespräche und Abmachungen bekommt man keine Kandidatur. Spätestens am Tag des Bekanntwerdens seiner Kandidatur hätte Haldenwang also seinen Rücktritt als Präsident des Verfassungsschutzes erklären müssen.“

Seit wann befand sich Haldenwang mit dem Wuppertaler Kreisverband oder anderen Verantwortlichen in der CDU über eine Kandidatur im Austausch? Gab es bereits im Sommer Gespräche? Dazu wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber Welt keine Stellung nehmen. Tatsächlich aber ist diese Frage relevant, um zu klären, inwiefern Haldenwang politische Interessen mit seinem Amt vermengte.

Anwalt Christian Conrad, der für die Kanzlei Höcker die AfD bereits mehrmals vor Gericht vertrat, erklärt: „Es verwundert, dass sich Frau Faeser offenbar erst nach öffentlichem Druck von Haldenwang trennte und nicht bereits zu dem Zeitpunkt, als Haldenwang sie über seine Pläne informierte. Es stellt sich zudem die Frage, wie lange Haldenwang die Kandidatur bereits plante – und seit wann Frau Faeser davon Kenntnis hat.“ Als Präsident einer Behörde, die auch Oppositionsparteien beobachtet, müsse man stets neutral sein – gerade wenn noch Gerichtsverfahren andauerten, in denen mangelnde Unabhängigkeit bzw. politische Motivation ein Thema sind. „Jeder Anschein einer politischen Vereinnahmung muss vermieden werden“, so Conrad, „sonst wird auch das eigene Amt beschädigt. Haldenwangs Arbeit schien jedoch von Beginn an parteipolitisch gefärbt.“

Auch der Jurist Ulrich Vosgerau, der die AfD ebenfalls vor Gericht vertrat, findet: „In früheren Zeiten wäre es völlig unüblich gewesen, dass ein Verfassungsschutzpräsident für ein politisches Amt kandidiert. Nun verkündete Haldenwang sogar seine Kandidatur in einer laufenden Amtszeit. Dies belegt nochmals, dass er als Behördenpräsident niemals neutral war und immer als Politiker agierte. Wenn das Bundesverfassungsgericht alle fünf Sinne beisammen hat, dann wird ihm in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren auffallen, dass Haldenwang zu keinem Zeitpunkt ein neutraler Amtswalter war.“

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