
Die „Koalition von Aufbruch und Erneuerung“ will Friedrich Merz seine angehende Koalition aus Union und SPD nennen, erklärte er gegenüber der Montagsausgabe der Bild-Zeitung. Schon wieder ein Mao-Zitat? „Aufbruch und Erneuerung“ wirkt jedenfalls sehr nach linker Propaganda-Rhetorik auf mich. Man kann sich den Schriftzug auf einem DDR-Plakat förmlich vor Augen führen. Aus Spaß googelte ich also „Aufbruch und Erneuerung SED“. Google wurde nicht ganz fündig, was es mir aber als oberstes Suchergebnis ausspuckte, war fast noch bezeichnender.
Am 20. Oktober 1998 einigte sich die SPD unter Schröder mit den Grünen auf einen Koalitionsvertrag und brachte die Grünen so zum allerersten Mal in die Bundesregierung. Der Titel des Koalitionsvertrags: „Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert“. Ich war 1998 noch Quark im Schaufenster, doch Friedrich Merz sollte sich daran eigentlich erinnern können, zumal er in der Legislaturperiode 1998 bis 2002 nicht nur im Bundestag saß, sondern auch als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Oppositionsführer wurde.
Nun will er sich mit dem damaligen Koalitionspartner der Grünen nach der damaligen Koalition benennen. Es gibt einen Punkt, da muss man sich einer Tatsache einfach endgültig stellen. Da ist die links-grüne Agenda nicht mehr „Schwäche“ oder „weggeknickt“ oder „schlecht verhandelt“, sondern einfach genau das, was Merz will. Er will den Platz seines – vermeintlich – größten Widersachers einnehmen.
Als fantasievolle, leidenschaftliche Anhängerin der Küchenpsychologie habe ich mir in den letzten Tagen viele Erklärungsversuche überlegt. Am Anfang habe ich mir die Verhandlungen noch in etwa so vorgestellt, dass SPD und Grüne da reingegangen sind, wie man eben in Verhandlungen reingeht: Mit Startforderungen, die weit über dem liegen, was man eigentlich erreichen möchte.
Als von Merz, der unter Zeitdruck und vor dem Scheitern seiner politischen Karriere stand, kein Widerstand kam, sind die Forderungen aber glatt durchgegangen. Danach haben sich SPD und Grüne einen Spaß daraus gemacht, auszutesten, was sie denn alles an absurden Traumforderungen noch durchdrücken können.
Das Maß, das Merz an linker Politik umsetzt, geht allerdings weit über das hinaus, was in seiner Lage nötig wäre. Selbst wenn man annimmt, dass er in den Verhandlungen so sehr nachgeben musste, weil er um jeden Preis Kanzler werden wollte. Das erfordert nicht, dass er sich in den Bundestag stellt und ankündigt, noch grünere Politik zu machen als die Grünen und dafür eine Mao-Formulierung zu wählen.
Nicht einmal die Astrologie kann mir noch weiterhelfen. Skorpionen wird normalerweise nachgesagt, sie seien in ihrer Willensstärke kompromisslos und hätten keine Angst vor Konflikten. Naja. Entweder irgendwer hat noch ein paar kompromittierende Fotos oder Merz will es einfach so. Wenn es Erpressung wäre, wäre es allerdings ziemlich dämlich offensichtlich.
Nein, umso länger ich darüber nachdenke und mich nicht mehr davon blenden lasse, dass Merz immer frisch rasiert ist und Krawatte trägt, desto mehr ist klar, dass Friedrich Merz eine grüne Sehnsucht in sich trägt. Wobei es das noch gar nicht trifft. Die Obsession, die man braucht, um ihre Koalition nachzuspielen und sich ihre Politik wie ein Kostüm anzuziehen, nachdem man seinen gesamten Wahlkampf darauf ausgelegt hat, diese Agenda zu bekämpfen, hat schon etwas komisch Fanatisches.
Ich versuche das bildlich in Worte zu fassen, aber mir fallen leider nur Krimis ein, mit denen ich das vergleichen könnte. Man könnte höchstens die Rivalität zwischen Antonio Salieri und Amadeus Mozart anführen, allerdings fehlt da der Zerstörungsfaktor. Bei Kain und Abel ist es nur Neid, aber die Obsession fehlt. „Der talentierte Mr. Ripley“, ein Thriller aus den 90ern mit Matt Damon, Gwyneth Paltrow und Jude Law in den Hauptrollen, kommt dem schon näher – für die Älteren: „Nur die Sonne war Zeuge“ mit Alain Delon hatte die gleiche Handlung. Wenn man hochaktuell sein will, passt auch „Saltburn“ von 2023.
Alle handeln grob gesagt von jungen Männern aus normalen bis ärmeren Familien, die sich mit attraktiven jungen Männern aus reichen Familien anfreunden, immer mehr werden wie sie, bis sie sie schlussendlich beseitigen, um ihren Platz einnehmen zu können. Es ist wohl ein bisschen von allem dabei.
Jeden Morgen zieht sich Friedrich Merz ein frisch gebügeltes Hemd an, knotet seine Krawatte und wurde noch nie ohne Anzug gesichtet. Er kommt pünktlich zur Arbeit und spricht „Christlich Demokratische Union Deutschlands“ immer vollständig aus, überhaupt macht er immer alles so, wie es sich gehört. Dienst nach Vorschrift, niemals weniger. Wie Salieri.
Und dann kommen da die Habecks um die Ecke, die sich nie die Haare machen, sich nur je nach Laune rasieren, höchstens mal ein Hemd zur Jeans anziehen, es aber nie zuknöpfen, nicht einmal passende Socken tragen und reden, wie sie wollen. Sie achten die Vorschriften nicht und haben sich auch nicht durch ein Studium gequält, so wie er. Aber sie haben all ihre Haare noch und alle mögen sie lieber als den verklemmten Merz und ihren Vorschlägen wird trotzdem zugestimmt.
Nun hat er sie zurückgedrängt, nur auf ihre Kosten gewonnen – um dann ihren Platz einzunehmen, noch besser zu sein als sie. Dieses Mal ist es nicht er, der sich aus der Politik zurückziehen muss. Jetzt hat er das, was Habeck gerne gehabt hätte, und es ist auch Habeck, der sich aus der Politik zurückziehen muss. Jetzt sind wir bei Tom Ripley.
Die letzte Stufe, die jetzt noch fehlt, wäre, dass Merz sich auch verschiedenfarbige Socken anzieht und mal die Krawatte weglässt, vielleicht sogar mit Sportschuhen oder Jeans in den Bundestag kommt. Das wäre dann aber doch der Punkt, wo man mal nachschauen müsste, ob es von Habeck noch ein Lebenszeichen gibt. Aus rechtlichen Gründen ist das übrigens eine Satire.