
Das Sommerinterview mit der AfD-Chefin markierte einen vorläufigen Tiefpunkt der politischen Debattenkultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aus der Abneigung gegen Alice Weidel wurde kein Hehl gemacht.
Wer sich von dem Sommerinterview der ARD auch nur ein Minimum an Fairness erhofft hatte, wurde am Sonntag bitter enttäuscht: Selbst von den lautstarken Störgeräuschen, die von der Tontechnik nicht herausgefiltert wurden, abgesehen, hat sich das öffentlich-rechtliche Bezahlfernsehen einmal mehr bis auf die Knochen blamiert.
Dass man dort mit den Vertretern der größten Oppositionspartei anders umgeht als mit rot-rot-grünen Politikern, ist nichts Neues. Vorausgesetzt, man lädt sie überhaupt ein, was eher selten vorkommt, werden sie mit auffälliger Feindseligkeit behandelt. Was den Hauptstadtjournalisten sonst an kritischer Distanz zum politischen Establishment fehlt, machen sie, wenn sie es mit der AfD zu tun haben, durch besondere Aggressivität wett. Nicht einmal den Anschein von professionellem Bestreben nach Erkenntnisgewinn will man sich im ÖRR geben. Allein, sie überhaupt einmal zum Gespräch zu bitten, soll der Zuschauer wohl als eine Art unverdienten Gnadenakt betrachten.
Tiefpunkt der Polit-Berichterstattung: das Sommerinterview mit Alice Weidel.
Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, leitete das Interview so ein:„Sie ist die Partei, die in Deutschland für Emotionen sorgt wie keine zweite. Bei einigen Wählern gilt die AfD als Hoffnungsträgerin, als Belebung unserer Demokratie. Noch viel mehr Menschen macht die gleiche Partei eher Angst. Wir sprechen mit der AfD, die manche eben als eine Gefahr für die Demokratie sehen. Wir wollen beides erkunden: wie die AfD die Probleme unseres Landes lösen will, die sie immer wieder lautstark beklagt, oder aber ob sie selbst eins ist.“
Dass Letzteres der Fall ist, davon ist man im Ersten überzeugt. Preiß konfrontierte Weidel mit allerlei negativen Zuschreibungen, fiel ihr im anschließenden interaktiven Part („tagesschau together“) immer wieder ins Wort: „Frau Weidel … Frau Weidel …!“ Flankierend kamen Einspieler hinzu, in denen etwa behauptet wurde: „In sozialen Medien hetzt die Partei gegen Ausländer“, verbreite „rassistische und völkische Aussagen – dazu eine Szene, in der ein AfD-Politiker sagt: „Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur eine Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben“. Danach noch Weidel, die von „Menschen aus gewaltbereiten Kulturen“ und Messerkriminalität spricht. Und das soll Rassismus belegen?
In einem neuen Verhaltenskodex verspreche die Partei zwar, gemäßigt aufzutreten, doch blieben „Zwischenrufe und Schmähungen im Parlament an der Tagesordnung“ – als sei dies ein Alleinstellungsmerkmal der Oppositionspartei.
In einem anderen Einspieler heißt es: „Das Ziel ist klar: Die AfD will an die Macht. Ins Kanzleramt. Nachzulesen in einem vertraulichen Strategiepapier.“ Was für eine Enthüllung. Die Partei wolle „einen Keil treiben zwischen Union und SPD, neue Wähler erreichen, das eigene Image aufpolieren …“ Was offenbar unstatthaft ist. Die Glaubwürdigkeit der Union infrage stellen – ist das nicht gerade die Aufgabe der Opposition?
Es wird auch behauptet, die AfD suche den „Kulturkampf mit dem linken Lager“, dazu organisiere man „Protest, am besten überall“. Warum das nur im Fall der AfD kritikwürdig ist, müsste jemand mal dem Wähler erklären. Und wurde der Kulturkampf nicht vom linken Lager angestoßen, sodass die Annahme nur eine natürliche Reaktion ist? Nein, das bedeute Spaltung, so Markus Preiß: „Was wird in Deutschland besser, wenn das Land gespalten ist?“ Als könnten nicht Massenmigration, Corona-Politik, Energiewende und „Kampf gegen Rechts“ die Gesellschaft gespalten haben.
Sagen wir, wie es ist: Das Interview war eine veritable Zumutung, wie auch „tagesschau together“ mit „Fragen der Community“. Auf Weidels Verweis auf die vor allem migrationsbedingte Überlastung der Sozialsysteme, die steigenden Kriminalitätsraten und das erodierende Sicherheitsgefühl gerade von Frauen in Freibädern und U-Bahnen bekam sie von Preiß' weiblichem Sidekick nur ein „Ich habe nie Angst im öffentlichen Nahverkehr“ zu hören.Diese behauptete auch: „Fast alle Klimawissenschaftler einig, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt“, und Preiß fragte inquisitorisch nach: „Bezweifeln Sie die wissenschaftliche Erkenntnis?“ Wenn Weidel konkrete Zahlen nannte, sagten die Interviewer: „Das sind jetzt ganz viele Zahlen, die werden alle später im Faktencheck geprüft.“
Um Weidel eine Falschaussage anzuhängen, nimmt die ARD sogar Merz einmal in Schutz.
Der, natürlich gewohnt einseitige, „Faktencheck“ – auch so ein Instrument, das man anderen Politikern erspart. Dort ist dann allen Ernstes zu lesen, dass Friedrich Merz, anders als von Weidel behauptet, „nicht alle Wahlversprechen gebrochen hat“. Es ist wirklich ein Elend. Zu den forcierten Einbürgerungen etwa in Berlin haben die ARD-Leute dann nichts zu sagen – nur, wie Preiß, dass das Staatsvolk nicht „umgebaut“ werde. Kurzum: Das Interview hatte, wie Thomas Tuma vom Focus schrieb, „mit Journalismus nur noch so viel zu tun wie eine Kirmes, bei der sich ein eigens eingeladener Gast plötzlich als Hau-den-Lukas-Objekt für die Dorfschläger wiederfindet.“
Später meinte Preiß in der Tagesschau zum Lärm im Hintergrund: „Da fließt natürlich die Spree vorbei, da gibt's immer mal Geräusche oder Rufe.“ Und in Bild wird Preiß zitiert, aus journalistischer Sicht sei es „schade, dass einige Fragen, die wir der AfD gern noch gestellt hätten, dem Lärm zum Opfer gefallen sind“.
Viel verpasst hat der Zuschauer da zwar nicht, aber dafür stimmte Markus Preiß immerhin nicht in die „Scheiß AfD“-Gesänge des Chors ein. So viel simulierte Seriosität muss selbst beim Ersten sein.
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