
„Ich stelle nur Strafanzeige, wenn ein Kommentar hochdramatisch problematisch ist, dass es bis hin zu Morddrohungen geht. Beleidigungen zeige ich nicht an“. Das behauptete die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär vergangene Woche bei Hart aber fair. Nun kam raus: Ende November gab es eine Hausdurchsuchung bei einem Mann, der die Politikerin auf X als „hirnlosen Krapfen“ bezeichnet hatte.
Wie der bekannte Strafrechtler Konstantin Grubwinkler aus dem bayerischen Freilassing in seinem Video-Podcast berichtet, hat die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion selbst die Strafanzeige gegen seinen Mandanten gestellt. Der Kommentar des Mannes auf X: „Wie kann so ein hirnloser Krapfen nur stellvertretende Vorsitzende von irgendwas sein?“
Dass sein Mandant für einen derartigen Kommentar eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste, sei nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, sagt Grubwinkler. Das Gericht habe mehrfach betont: „Die Durchsuchung der Wohnung ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung. Dieser Eingriff muss in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat stehen.“
Grubwinkler weiter: „Wo ist da die Verhältnismäßigkeit? Wenn das verhältnismäßig sein soll, dann können wir uns die Sache mit der Verhältnismäßigkeit gleich sparen. Wenn das so abläuft, können wir uns den Richter-Vorbehalt auch sparen. Dass Richter so etwas unterschreiben, da fühle ich mich in Deutschland nicht zu 100 Prozent sicher. Weil du immer irgendwie die Angst haben musst, dass die Tür von der Polizei eingetreten wird, weil irgendjemand etwas angezeigt hat, was ihm nicht passt, und ein Richter das durchwinkt. Da fühle ich mich vom Rechtsstaat im Stich gelassen, in einem Land, in dem sowas möglich ist. Ermittlungsrichter sind nicht dafür da, Gehilfen der Polizei zu sein bei der Durchsuchung, sondern dafür, das Handeln der Polizei auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das ist eines der Kerngebiete des Rechtsstaates.“
Strafrechtler Konstantin Grubwinkler schildert den Fall in seinem Video-Podcast.
Als NIUS im Zuge der Berichterstattung über die Schwachkopf-Affäre beim bayerischen Justizminister Georg Eisenreich (CSU) anfragte, ob man bei Durchsuchungen wegen derartig harmloser Beleidigungen die Verhältnismäßigkeit gewahrt sehe, antwortete ein Sprecher: „Wir bitten um Verständnis, dass sich der Bayerische Staatsminister der Justiz und das Bayerische Staatsministerium der Justiz grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern. Dies ist Aufgabe der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. des zuständigen Gerichts.“
Rechtswissenschaftler Bernd Schünemann, der als Koryphäe im Strafverfahrensrecht gilt, erklärte damals gegenüber NIUS: „Das trifft im Prinzip zu. Allerdings entscheidet der Ermittlungsrichter in so gut wie allen Fällen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wobei die ihm obliegende rechtliche Kontrolle nach Erkenntnissen der Praxis nur äußerst selten zur Ablehnung des Antrages der Staatsanwaltschaft führt. Als an das Recht gebundenes Justizorgan trägt diese deshalb ebenfalls Verantwortung für die von ihr beantragten Grundrechtseingriffe.“
Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich.
Heißt: Auch, wenn die Gerichte unabhängig sind, winken sie für gewöhnlich die Anträge der Staatsanwaltschaften durch. Diese wiederum sind weisungsgebunden – und unterliegen damit sehr wohl dem Einfluss des Justizministeriums.
Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär verriet in der ARD-Sendung vom 2. Dezember mit dem Titel „Hass und Gewalt gegen Frauen: Ist Empörung genug?“ auch einen möglichen Beweggrund für ihre nun öffentlich gewordene Anzeige: „Man müsste sich viel mehr zur Wehr setzen, um ein Exempel zu statuieren und den ein oder anderen da zu treffen, wo es ihm wehtut: beim Geld. Meistens sind das ja Männer und das tut dann weh.“
Auf eine NIUS-Anfrage zu den konkreten Beweggründen ihrer Strafanzeige wegen „hirnloser Krapfen“ reagierte die Politikerin nicht.
Die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär (rechts) stößt mit dem Parteivorsitzenden Markus Söder an.
Bayern kämpft seit Jahren mit besonderer Härte gegen die angebliche Zunahme von „Hass“ im Netz. Justizminister Eisenreich erklärte im Juli anlässlich eines Aktionstags: „Bayern führt den Kampf gegen strafbare Hatespeech entschlossen und konsequent.“
Bereits im September 2020 wurde zu diesem Zweck ein „Hatespeech-Beauftragter“ bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) benannt, die wiederum bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt ist.
Ein Portal ermöglicht es Politikern – vom Kommunal- bis hin zum Bundespolitiker – „Hass im Netz“ schnell und unkompliziert anzuzeigen. Diese Anzeigen wiederum werden dann auf höchster Ebene bei der Generalstaatsanwaltschaft bearbeitet.
„Hatespeech ist ein Begriff, den es im deutschen Recht überhaupt nicht gibt. Hass und Hetze sind keine Rechtsbegriffe“, sagt der Augsburger Universitätsprofessor und Jurist Josef Franz Lindner im Gespräch mit NIUS. „Die strafrechtlich relevanten Tatbestände im deutschen Recht sind beispielsweise Beleidigung, Bedrohung, Verleumdung oder üble Nachrede.“
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