Zwischen Playstation und Eucharistie

vor 8 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Darf ein Heiliger die Simpsons schauen? Diskussionen wie diese sind vielleicht neu für katholische Kanonisierungsverfahren, aber nicht in der katholischen Social-Media-Welt. Carlo Acutis (1991-2006) ist einer von gleich zwei Jugendlichen, die von Papst Leo XIV. am Sonntag zur Ehre der Altäre erhoben werden. Er starb bereits mit 15 Jahren an Leukämie. Der andere ist Pier Giorgio Frassati (1901-1925). Auch er wurde lediglich 24 Jahre alt.

Insbesondere Acutis besitzt unter Gläubigen Kult-Charakter. Er wurde 1991 geboren – und gehört damit in die Kategorie der „Generation Benedikt“, die gegenüber den „Reformern“ der 1960er und 1970er Jahren wieder deutlich konservativer tickt, die alte Messe wiederentdeckt hat und die Weltjugendtage füllt. Die Medien haben das Narrativ schon seit Monaten begierig aufgenommen: Ein Junge mit Hoodie, der wie seine Altersgenossen Playstation und Nintendo gezockt, Fußball gespielt und Webseiten programmiert hat. Man hat ihn daher mehrfach als „Cyber-Apostel“ oder „Influencer Gottes“ bezeichnet. Sein konservierter Leichnam liegt heute in einer gläsernen Vitrine in Assisi – mit gut sichtbaren Nike-Schuhen.

Acutis wuchs in Mailand auf. Er vereint den Lebensweg eines typischen Jugendlichen der 90er und 2000er Jahre mit einer Heiligenvita. Während seine Eltern kaum zur Kirche gingen, wollte der junge Carlo die Erstkommunion möglichst früh erhalten. Er ging täglich zur Messe, engagierte sich ehrenamtlich, half Obdachlosen und inspirierte Mitschüler mit seinem Glauben. Mit 7 Jahren erhielt er seinen ersten Computer. Im jungen Web sammelte und dokumentierte er Marienerscheinungen und Eucharistischen Wunder. Eines seiner bekanntesten Zitate: „Alle werden als Originale geboren, aber viele sterben als Fotokopie.“

Die Diskussionen um die Heiligsprechung des jungen Italieners mehrten sich schon vor der Seligsprechung im Jahr 2020. Acutis war nur vierzehn Jahre zuvor an Leukämie gestorben. Die Kirche betreibe Politik, indem sie sich darauf verlege, mit jungen Seligen – und nun auch einem Heiligen – junge Leute anzusprechen. Dabei profitiere vom Acutis-Hype nicht nur die Pilgerstätte in Assisi. Die Kirche erscheine modern und jung. Alles also Propaganda?

Dass die Heiligsprechung „im Akkord“ verlief, ist tatsächlich auffällig. Selbst bei Pater Pio, dem beliebtesten italienischen Heiligen des 20. Jahrhunderts, vergingen 35 Jahre zwischen Tod und Heiligsprechung. Einige große Männer und Frauen der Katholischen Kirche warten immer noch auf die Kanonisierung.

Richtig ist allerdings, dass eine Heiligsprechung nicht besser ist, nur, weil sie lange dauert. Die Kirche „erklärt“ nicht Menschen zu Heiligen, sondern stellt deren Heiligkeit fest. Das historische Verfahren hat eher exklusiven als inklusiven Charakter. Bis ins Mittelalter hinein führten Volksfrömmigkeit und bischöfliche Dekrete dazu, dass mit Selig- und Heiligsprechung wenig gegeizt wurde. Rom musste die Sache in die Hand nehmen, um allzu zweifelhafte Kanonisierungen zu unterbinden.

Obwohl das Kanonisierungsverfahren demgemäß eine durchregulierte Angelegenheit ist, hat Volkes Stimme über die Jahrhunderte für erheblichen Druck gesorgt. Antonius von Padua wurde im 13. Jahrhundert innerhalb von 11 Monaten heiliggesprochen – vox populi, vox dei! In der jüngeren Geschichte hatten Gläubige nach dem Tode von Johannes Paul II. den Vatikan mit „Santo subito!“-Rufen umzingelt. Selig- und Heiligsprechungen nehmen Fahrt auf, wenn im Heimatbistum ein Verstorbener verehrt wird. Im Zeitalter von tagesaktueller Kommunikation verbreiten sich Wunderbrichte schneller.

Neben den beiden offiziellen Wundern reiht sich da die für katholisch sensible Persönlichkeiten bekannte Geschichte hinzu, dass Carlos Mutter nach dem frühen Tod ihres einzigen Kindes Zwillinge auf die Welt gebracht hat. Mit 44 Jahren. Die gewaltige Popularität des jungen Carlo erinnert in Italien bereits jetzt an die Volksheiligen. Um auf die Simpsons zurückzukommen: Katholizismus zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in der Welt bewegt. Carlo hat mittlerweile Millionen bewegt. Weil Heiligkeit nichts ist, was nur Nonnen und Mönchen vorbehalten ist. Von Philipp Neri, dem lächelnden Heiligen, ist bekannt, dass er dem Wein zugeneigt war und singend durch die römischen Straßen zog. Aus dieser Dynamik beziehen auch literarische-katholische Figuren wie Don Camillo ihren Charme: jemand, der fest im Glauben ist, aber zutiefst menschlich (und auch seine Schwächen besitzt).

Überdies steht Acutis für einen aktuellen Trend. Schon die letzte Osternacht hat es weltweit in die Schlagzeilen geschafft. Überall berichteten katholische Gemeinde im säkularen Westen von Zulauf und einer gesteigerten Zahl von Taufen. Die Vatikanum-II-Generation ist alt geworden. Die liberale Gemeinschaft aus Pfarrgemeinderäten, Damen mit grauer Kurzschnittfrisur und Synodalen Weggehern ist zwar medial und finanziell in Deutschland gut aufgestellt – Nachfolger bleiben spärlich. Dort, wo tatsächlich die Musik spielt, nämlich im Internet, verbreiten sich dagegen immer mehr Videos von jungen Leuten, die traditionell in die katholische Kirche aufgenommen werden wollen.

Acutis ist der erste Heilige der Millennial-Generation. Damit gibt es einen Generationensprung: Es gibt Selige aus der Boomer- und X-Generation, aber keine Heiligen. Acutis ist nicht der einzige junge Mann, der als Kandidat für eine mögliche Kanonisierung im Raum steht: Akash Bashir, ein pakistanischer Katholik, hinderte einen Selbstmordattentäter am Eintritt in die Johanneskirche von Lahore. Er bezahlte dafür mit dem eigenen Leben, verhinderte jedoch ein Massaker an Christen während einer Sonntagsmesse. Bashir wurde 2015 zum Märtyrer, er war nur 20 Jahre alt.

Pier Giorgio Frassati musste länger als Acutis warten. Es gibt jedoch eine Verbindung, die bisher nur von wenigen Medien ins Spiel gebracht wurde. Acutis wie Frassati werden von dem neuen Pontifex Leo XIV. heiliggesprochen. Ein Papst, der angekündigt hat, sich verstärkt mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz zu befassen, um eine katholische Antwort auf die Herausforderungen der Zeit zu geben. Bevor er in den Augustinerorden eintrat, studierte Robert Prevost Mathematik. Das ist die Assoziation zu Acutis.

Zugleich wird sich Leo aber in seiner Anthropologie an der Sozialenzyklika Rerum Novarum ausrichten, die sein großer Vorgänger Leo XIII. verfasst hat. Sie ist Grundlage der katholischen Soziallehre. Die Kirche muss modern und jung sein – sie muss aber zugleich Kirche der Armen sein.

Hier führt die Linie zu Frassati, einem Turiner Junge aus gutem Elternhaus – sein Vater war Mitbegründer der Tageszeitung La Stampa und Botschafter in Berlin. Er nutzte seinen sozialen Status zur Armenfürsorge – manchmal sogar hinter dem Rücken der Eltern. Frassati war Anhänger der katholischen Soziallehre und Parteimitglied des Partito Popolare Italiano, der katholischen Volkspartei, die die Ideen Leos XIII. propagierte. „Barmherzigkeit ist nicht genug, es braucht eine soziale Reform“, sagte er. Frassati studierte Ingenieurswesen, um den Bergarbeitern das Leben zu erleichtern – als Dienst an Christus. Er gab den Bedürftigen Nahrung und Kleidung, spendierte Bustickets oder engagierte sich in den Armenvierteln.

Frassati war aber nicht nur ein Befürworter der Soziallehre, Gegner Mussolinis und persönlich fromm – als leidenschaftlicher Bergsteiger und Cineast war er in vielen Belangen der sympathische Kommilitone, mit dem man abends um die Häuser zog oder Billard spielte. Dass seine Kanonisierung so lange dauerte, hing deswegen auch mit übler Nachrede zusammen, er hätte sich „nicht in guter Gesellschaft“ befunden. Nachforschungen ergaben aber die Falschheit solcher Vorwürfe. Frassati starb 1925 an einer Polio-Erkrankung. Zur Verwunderung seiner Eltern nahmen bei seiner Beerdigung tausende Menschen teil, denen er in seinem kurzen Leben geholfen hatte.

Frassati ist vor hundert Jahren verstorben, doch seine Vita bleibt aktuell. Bereits seine Generation stand im Zwiespalt zwischen den Ideologien und musste einer säkulareren und materialistischeren Welt trotzen. Ähnlich wie die Eltern von Acutis hatten schon Frassatis Eltern kaum Bezug zum Glauben. Sein Verlangen nach der täglichen Messe stieß sogar auf Widerstand bei der freigeistig-künstlerischen Mutter. Er errang sich den Glauben gegen eine Umwelt, die den Glauben längst aufgegeben hatte. André Malrauxs Prophezeiung „Das 21. Jahrhundert wird religiös sein, oder es wird nicht sein“ gilt eben nicht nur für den Islam.

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