
Im Dessauer Stadtbezirk Törten war die Welt noch in Ordnung. Seit 20 Jahren veranstaltet hier der örtliche Heimatverein sein Pflaumenkuchenfest, immer im September. Seitdem freuen sich jedes Jahr ein paar hundert begeisterte Besucher auf den gemieteten Bierbänken über schwungvolle Musik auf der kleinen Bühne.
Doch in diesem Jahr wird es hier still sein.
Im Dezember 2024 war der saudische Staatsbürger Taleb A. mit einem BMW über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gerast. Der 50-Jährige tötete sechs Menschen und verletzte mehr als 300 weitere.
Offenbar unter dem Eindruck dieser Bluttat haben bundesweit die Ordnungsämter die Sicherheitsauflagen für Straßen- und Volksfeste verschärft – auch in Dessau. Hier soll der Heimatverein Törten mit seinen 77 Mitgliedern die Zugänge zum Pflaumenkuchenfest künftig mit „aufstellbaren Zufahrtssperren“ massiv absichern.
Das Amt nennt Beispiele: Möglich seien zum Beispiel mehrere 7,5-Tonnen-Lkw. Doch die gibt es hier nicht, noch nicht einmal bei der lokalen Feuerwehr. Die hat selbst nur ein einziges Einsatzfahrzeug. Anmietungen kommen finanziell nicht in Frage: „Für uns als Veranstalter ist das schlicht und ergreifend eine Nummer zu groß“, sagt der Vereinsvorstand.
Also fällt wegen der Bluttat eines Moslems in Magdeburg jetzt das deutsche Straßenfest in Törten aus.
In Sachsen-Anhalt sind die Kommunen im Wesentlichen selbst für die Sicherheit ihrer Feste verantwortlich. Das Innenministerium hat auch nach dem Magdeburg-Anschlag die Regeln nicht verändert. Städte und Gemeinden können aber in eigener Initiative die Auflagen verschärfen – und wenn im betreffenden Ordnungsamt Beamte sitzen, die vor allem selbst auf der sicheren Seite sein wollen, dann kommt halt so etwas heraus wie in Dessau-Törten.
Der Städte- und Gemeindebund macht sich längst große Sorgen. Im Interview mit der „Mitteldeutschen Zeitung“ sagt Landesgeschäftsführer Bernward Küper: „Wir müssen da höllisch aufpassen, dass es nicht des Guten zu viel wird.“ Selbst mit den allerbesten Sicherheitskonzepten gebe es keine hundertprozentige Sicherheit:
„Ich kenne Orte mit 400 Leute, die stellen Feste mit Tausenden Menschen auf die Beine. Wenn man die jetzt mit Sicherheitskonzepten überfrachtet, dann stirbt das.“
Aber das Volksfest-Sterben hat längst begonnen. Nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland:
Beispiel Baden-Württemberg Das traditionsreiche Osterbrunnenfest in Bietigheim-Bissingen wurde abgesagt. Der Gewerbeverein kann die teuren Sicherheitspoller nicht bezahlen.
Beispiel Bayern Der Bürgersteigflohmarkt in Schongau wurde abgesagt. Die geforderte Absicherung des Marienplatzes ist technisch nicht machbar und wäre für die Veranstalter auch viel zu teuer.
Beispiel Berlin Das Bölschefest im Ortsteil Friedrichshagen wurde abgesagt. Die Tramstrecke macht es unmöglich, die geforderten Schutzbarrieren aufzustellen.
Beispiel Hessen (eins) Das Frühlingsfest in Frankfurt-Sossenheim wurde abgesagt. Die Sicherheitsmaßnahmen sind nach Angaben der Stadt nicht zu stemmen.
Beispiel Hessen (zwei) Das Kirschenblütenfest in Marburg wurde abgesagt. Die Sicherheitsbehörden forderten fünf komplette Straßensperrungen. Für die Veranstalter ist das nicht nur zu kompliziert, sondern auch viel zu teuer.
Die Absagen treffen auch die Gewerbetreibenden hart. Der Deutsche Schaustellerbund warnt: „Wir haben rund 9.700 Volksfeste. Jedes ist wichtig und einzigartig für eine Stadt, ein Dorf, eine Region.“ Absagen, erst recht kurzfristige, seien für viele Betroffene akut existenzbedrohend.
Bedroht ist freilich nicht nur die Wirtschaft. Bedroht ist vor allem die Kultur des Landes – denn da gehören Volksfeste elementar dazu: als sinnstiftende Tradition, als Orte der Begegnung, des Austauschs und des gemeinsamen Feierns. Wenn solche Zusammenkünfte der Bürger eines Landes wegfallen, dann zerfällt nach und nach die Gesellschaft.
Diejenigen, die Volksfeste attackieren, wollen genau das. Leider scheinen sie damit Erfolg zu haben.