Schluss mit „föderalen Eitelkeiten“: Hendrik Wüst fordert grundlegende Staatsreform

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Dass der Club „Freunde der DDR“ e.V. im Rotationsverfahren von Daniel Günther und Hendrik Wüst geführt wird, dürfte inzwischen niemand mehr ernsthaft in Zweifel ziehen. Gefühlt vergeht keine Woche, in der Daniel Günther nicht versucht, unter Blockflötenklängen die CDU wie der Fakir die Schlange zu beschwören, sich der SED, die sich im Moment die Partei Die Linke nennt, unterzuordnen. Klappte doch vierzig Jahre im Osten sehr gut. Wie gern würde Günther mit Bodo Ramelow in Berlin eine WG aufmachen, man könnte sie zur Abwechslung ja auch SEW nennen. Karin Prien hat Günther zumindest als Gesellschaftsministerin, was früher noch Volksbildungsministerin hieß, was man aber nicht mehr sagen darf, weil, wie NGOs wissen, wer Volk sagt, völkisch meint, nach Berlin geschickt.

Doch wo Daniel Günther, der allerdings gerade versucht, den Verlust von 300 Millionen Euro vor den Schleswig-Holsteinern geheimzuhalten, voranstürmt, kann der Blockfreund Hendrik Wüst, Ministerpräsident von NRW, nicht zurückstehen. Eine ganz große Staatsreform hat der CDU-Politiker vor, die zwar ihm selbst, aber niemandem im Osten als neu vorkommt. Bis 1952 existierten nämlich in der DDR 5 Länder: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie wurden 1952 aufgelöst und zum Zwecke des strafferen und zentralistischen Durchregierens in 15 Bezirke umgewandelt. Schließlich musste endlich mal „Schluss sein mit föderalen Eitelkeiten“, fand die SED 1952 – und findet auch Hendrik Wüst heute.

Der NRW-Ministerpräsident will eine grundlegende Staatsreform zur Neuausrichtung des Verhältnisses von Bund und Ländern. Das Land brauche „Standardisierung und Zentralisierung“. Man muss den Mann verstehen, es kann ja nicht sein, dass die 100.000 Meldestellen, in der DDR BV oder KV, also Bezirksverwaltung oder Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit genannt, uneinheitlich arbeiten und vielleicht noch von „föderalen Eitelkeiten“ blockiert werden. Obwohl so ganz uneinheitlich arbeiten sie nun wiederum auch nicht. Der Bundestag beschloss in einer nostalgischen Stunde das neue Hinweisgeberschutzgesetz, in dem es heißt: „Die Personen, die in einer Meldestelle für die Entgegennahme von Meldungen zuständig sind, dokumentieren alle eingehenden Meldungen in dauerhaft abrufbarer Weise unter Beachtung des Vertraulichkeitsgebots.“

Natürlich spricht Wüst nicht von den Meldestellen, sondern „zum Beispiel“ von der „Digitalisierung“. Natürlich will niemand eine Mauer bauen und natürlich fällt niemand hierzu die digitale Zensur unter dem hübschen Titel Digital Services Act ein. Hendrik Wüst will doch nur die „Digitalisierung effizient nutzen“. Wo doch ein einzelnes Bundesland die Beschlüsse der Genossen und Blockfreunde „zum Wohle der Menschen“ einfach blockieren könnte, aus reiner föderaler Eitelkeit etwa – nicht etwa, weil die Bürger es in ihrem Bundesland, in ihren Städten, in ihren Gemeinden anders wünschen, als es die neuen Aristokraten in Berlin-Mitte (Wahlspruch: L’État, c’est moi) „zum Wohle der Menschen“ dekretiert haben. „Ich bin deshalb“, sagt Wüst, „ausdrücklich dazu bereit, dass bestimmte Standards mit einer Mehrheit im Bundesrat gesetzt werden. Dann muss jeder akzeptieren, dass er auch einmal überstimmt wird. Und das wäre auch ein völlig neues Verfahren.“

Nur, dass dieses neue Verfahren ein sehr altes ist und mit Demokratie, Gewaltenteilung und Föderalismus nichts mehr zu tun hat, ficht Wüst nicht an. Denn die Gewaltenteilung wird in Deutschlands Postdemokratie ohnehin aufgelöst, erst durch das Infektionsschutzgesetz, dann durch Merkels Konferenz der Ministerpräsidenten, durch die Wahlrechtsreform, durch die Sondersitzung des alten Bundestages zur Schleifung der Schuldenbremse, dadurch, dass die Exekutive immer stärker die Legislative aufsaugt und mithilfe einer Rechtsauslegung und der Schaffung zweifelhafter Rechte die Parlamente und die Freiheitsrechte der Bürger ausgehebelt werden. In Deutschland kann man immer weniger ernsthaft von einer Gewaltenteilung sprechen, in der übrigens zu den bekannten drei Säulen (Legislative, Judikative und Exekutive) noch der Föderalismus als vierte Säule hinzutritt.

Hendrik Wüst mag sich nicht unbedingt mit historischem Wissen belasten wollen. Täte er es, müsste er wissen, dass in den Zeiten, in denen der Föderalismus aufgelöst wurde, in der Weimarer Republik durch Preußenschlag, Notverordnung und Präsidialkabinette, gleichzeitig der Weg in die Diktatur geebnet wurde – und dass es ein Wesensmerkmal der Diktaturen war, durch Führerprinzip oder durch die Bildung der Bezirke den Föderalismus durch Zentralismus auszuhebeln oder abzuschaffen. Doch der Föderalismus ist eine Säule der Freiheit in Deutschland, in der Zeit der Konfessionskriege und des Westfälischen Friedens als „Deutsche Libertet“ bekannt. Mit dem Hinweis auf die Bildungspolitik springt Wüst dem Blockfreund Günther bei, denn was ist schon ein Volksbildungsministerium wert, wenn es nicht über die zentralistische Machtfülle verfügt, wie das weiland von Margot Honecker geführte?

Zu dem passt geradezu aus dem Ei gepellt Wüsts Forderung, dass die Bundesregierung ihre gepumpten Milliarden auch ja schnell an die Länder, also an NRW verteilt, denn Wüst braucht Geld, wie dts berichtet: „Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) drängt die Bundesregierung zu einer möglichst schnellen Auszahlung der für die Länder vorgesehenen 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Infrastruktur und warnt dabei vor weitgehenden Kontrollen des Bundes.“ So lebt es sich natürlich schön als Ministerpräsident, als kleiner Sonnenkönig in Düsseldorf: Weisungen und Geld kommen aus Berlin, während sich Hendrik Wüst von seinen Untertanen huldigen lässt. Verantwortung war gestern. Und Schuld an der Finanzmisere in Düsseldorf, im schönen Westen ist ohnehin der böse Ossi. Für Wüst steht fest: „Jetzt ist der Westen mal dran.“ Nur: Das war er eigentlich schon immer, Wüst wollte es wohl nicht bemerken.

Dass Wüst Ostdeutschland in westdeutscher Arroganz zu hassen scheint, vermag er nur schlecht zu verbergen, wo die im Osten sich doch erdreistet hatten, die SED zu stürzen und die Mauer niederzureißen. Und weil wir schon bei Hendrik Wüsts historischen Kenntnissen sind, bei seinem markigen Satz mit Blick auf die gepumpten Milliarden: „Jetzt ist der Westen mal dran“, sei erwähnt, dass der Aufbau Ost zu einem kleinen Wirtschaftswunder West wurde, dass der Soli nicht nur im Westen, sondern genauso im Osten bezahlt wurde. Vorschlag an Wüst: Er kann die ganzen gepumpten Milliarden für NRW haben, wenn NRW auch den Schuldendienst übernimmt, die Zinsen und die Rückzahlungen. Was der Herr aus Düsseldorf nicht wissen will, ist, dass die Ostdeutschen mehrfach betrogen worden sind:

1) Sie haben den Sozialismus nicht gewählt, sondern die Russen haben ihn mithilfe ihrer Panzer installiert.

2) Die Ostdeutschen erlebten keinen Marshall-Plan, dafür den Abbau von Maschinen; ganze Fabriken wurden auf Züge verladen und in die Sowjetunion gebracht. Und jetzt für Herrn Wüst zum Abschreiben: Im Großen und Ganzen leistete Ostdeutschland bis 1948 Reparationen an die Sowjetunion durch Werksausrüstungen, zudem wurden 11.800 Kilometer Eisenbahnschienen demontiert und ebenfalls in die Sowjetunion verschickt. Das entsprach der Reduzierung des ostdeutschen Schienennetzes um fast die Hälfte, um 48 Prozent. Wirtschaftshistoriker errechneten Reparationsleistungen, die die Sowjetische Besatzungszone erbrachte, von ca. 14 Milliarden Dollar oder 54 Milliarden Reichsmark (Stand 1938). Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die SBZ/DDR die höchsten Reparationsleistungen im 20. Jahrhundert erbrachten. Siegfried Wenzel, einst stellvertretender Planungschef der DDR, errechnete, dass Ostdeutschland 97 Prozent der Reparationslast Gesamtdeutschlands ableistete. In der Aktion „Aktion Ossawakim“ wurden in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1946 über 2500 zuvor ausgewählte ostdeutsche Spezialisten mit ihren Familienmitgliedern zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Wie sagt doch Hendrik Wüst: „Jetzt ist der Westen mal dran.“

3) Nachdem sich die Ostdeutschen selbst befreiten, wurden sie deklassiert. Sogenannte Alteigentümer oder deren Erben kamen aus dem Westen und vertrieben Ostdeutsche aus ihren Häusern, nur weil man in der DDR sich nicht in das Grundbuch eintragen lassen konnte. Sie hatten die Häuser bezahlt, ausgebaut, den Wert erhalten, und nun durften sie das Ränzlein schnüren. Wie sagt doch Wüst: „Jetzt ist der Westen mal dran.“

4) Fabriken wurden gekauft für 1 D-Mark, nur, um sobald es ging, sie zu schließen; an den Universitäten, im Rundfunk, im Fernsehen, in der Verwaltung wurden Stellen freigegauckt, um auch den Mediokeren, der nie und nimmer im Westen eine Professur bekommen hätte, einen Lehrstuhl im Osten zu sichern. Der MDR war schon vor Jahren in einer Doku der Frage nachgegangen, wem Ostdeutschland gehört – den Ostdeutschen sicher nicht. Wie sagt doch Hendrik Wüst: „Jetzt ist der Westen mal dran.“

5) Die Generation Erbe kommt sicher nicht aus dem Osten, weil im Osten ein über Jahrzehnte gewachsener Vermögensaufbau nicht möglich war. Wie sagte doch Hendrik Wüst gleich nochmal: „Jetzt ist der Westen mal dran.“

6) In welche Ost-Firmen sind denn die Gelder für den Aufbau Ost geflossen? Da, wie Hendrik Wüst meint, der Westen nun mal dran ist, in der Mehrzahl sicher in Ostfirmen, geführt von Ostdeutschen, eine märchenhafte Zeit übrigens für ostdeutsche Immobilienentwickler.

Die Ostdeutschen wurden zweimal betrogen, durch den sogenannten Aufbau des Sozialismus mit allen Enteignungen, die heute als Phantasien wieder en vogue sind. Auch in der Frage der Enteignungen teile ich übrigens nicht Wüsts Meinung, dass der Westen jetzt mal dran sei. Das zweite Mal bei der Wiedervereinigung, was später das hübsch-harmlose Etikett erhielt: Transformationsleistungen.

Schwamm drüber, vergessen. So ist Geschichte nun einmal. In harter Arbeit und nicht selten von vorn beginnend haben sich die Ostdeutschen, wenn auch einen überschaubaren Wohlstand aufgebaut. Jetzt aber müssen sie feststellen, dass eine dysfunktionale Elite, Leute wie Günther und Wüst, wie Habeck und Baerbock, wie Klingbeil und Bas, Wohlstandskinder aus dem Westen, Staat und Gesellschaft in ein Desaster führen. Denn von der DDR lernen, heißt schließlich siegen lernen.

Dass diesmal auch der Westen mit dran sein wird, ist allerdings kein Trost.

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