
Bereits jetzt ist absehbar, dass sowohl die Gesundheit als auch die Pflege dem Bundeskanzler auf die Füße fallen können. Und Friedrich Merz dürfte wissen: Man kann mit dem Thema Gesundheit keine Wahlen gewinnen, aber man kann damit Wahlen verlieren.
Als erste gesetzliche Maßnahme wird nunmehr ein Vorschaltgesetz zur Ausgabenbegrenzung für die nächsten 15 Monate erwartet. Dort werden die üblichen Verdächtigen aus dem Instrumentenkasten der Kostendämpfung vertreten sein, von der Anhebung des Arzneimittel-Herstellerrabatts bis zur Variation von Patienten-Zuzahlungen.
Doch danach stehen erhebliche Strukturreformen in der Kranken- und Pflegeversicherung an. Dabei wird es darauf ankommen, über die bisherigen Paradigmen und Stellschrauben, wie etwa dem schon seit 40 Jahren beschworenen Mantra einer besseren „Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung“, hinauszudenken, also vor ganz neuen Wegen nicht zurückzuschrecken und dabei auch die bislang von Lobbygruppen aufgestellten Tabus zu ignorieren.
Schon mit den heute verfügbaren KI-Anwendungen kann ein Großteil der Patientenanliegen gut gelöst werden, mit häufig größerer Patientenzufriedenheit als bei einem tatsächlichen Praxiskontakt. Die Vision, dass bereits in naher Zukunft durch den flächendeckenden Einsatz der Künstlichen Intelligenz den Patienten schneller, besser und kostengünstiger als bisher geholfen wird bei gleichzeitiger Entlastung der „Ressource Arzt“, ist keineswegs mehr Utopie, sondern berechtigte Hoffnung. Deutschland muss allerdings in Sachen digitaler Entwicklung einen massiven Rückstand gegenüber anderen Nationen aufholen, der durch die jahrelange systematische Vernachlässigung dieses Themas entstanden ist.
Statt ganz auf solche innovativen Problemlösungsansätze zu setzen, droht sich die Koalition an der Einführung eines „verbindlichen Primärarztsystems“ zu verheben. Zwar soll der Direktzugang zu Frauenärztinnen und Augenärzten weiter offenstehen, aber für alle übrigen Facharztgruppen, erstaunlicherweise einschließlich der Psychotherapie, soll die Überweisung durch einen „Primärarzt“, also einen Haus- oder Kinderarzt, verbindlich vorgeschrieben werden.
Nun ist es richtig, dass derzeit etwa 60% der Facharztbesuche ungesteuert erfolgen, also ohne Koordination durch eine den Versicherten ganzheitlich betreuende Anlaufstelle. Und es ist auch richtig, dass dadurch viele Versicherte wie Flipperkugeln im Gesundheitssystem herumirren. Aber dennoch bleibt fraglich, ob ein solches „Gatekeeping“, also Türsteher-Prinzip, wie es in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Großbritannien und in Skandinavien eingeführt wurde, heute überhaupt noch zur Verbesserung der Versorgung oder zur Kostensenkung beitragen kann.
Zumal die Koalition offenbar plant, zur maximalen Verwirrung aller Beteiligten auch noch zwei verschiedene Primärarztsysteme bundesweit gegeneinander antreten zu lassen, nämlich einerseits ein im Norden der Republik dominierendes System der Kassenärztlichen Vereinigungen und andererseits das im Süden bereits etablierte System des Hausärzteverbands.
Es spricht jedenfalls vieles dafür, dass ein verbindliches Primärarztsystem mit Gatekeeping heute für die Patientensteuerung nicht mehr angemessen ist und auch massive Widerstände bei den Versicherten erzeugen würde. Und zwar erstens wegen des erheblichen medizinischen und digitalen Fortschritts, der von vielen Hausärzten nicht mehr überblickt werden kann, zweitens wegen der evidenten Mehrbelastung der bereits heute überlasteten Hausarztpraxen und drittens wegen der Vernachlässigung der datenbezogenen Steuerungskompetenz der Krankenkassen, die bei zahlreichen Anliegen den Patienten auf der Grundlage ihrer Daten besser durch das System schleusen könnten als ein Hausarzt.
Eine Lösung, die begrenzten ärztlichen Ressourcen, begrenzten Finanzmitteln und Patientenwünschen gleichermaßen gerecht wird, könnte in einem Mix verschiedener Ansätze liegen, wie etwa eine Kombination aus einem vorgeschalteten digitalen Assessment, wobei dem Patienten per Telefon oder Internet durch einen KI-Assistenten ein ärztlicher Ansprechpartner für sein Problem vermittelt wird, einer vermehrten Einbeziehung aufgewerteter nicht-ärztlicher Assistenzberufe in die Beratung und Versorgung von Patienten oder einem finanziellen Anreiz zur Einschreibung in ein freiwilliges Primärarztsystem.
In jedem Fall ist die Akzeptanz eines Primärarztsystems ein langfristiges Problem der kulturellen Veränderung, wie es auch bei der elektronischen Patientenakte (ePA) und der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) der Fall sein wird. Und eines muss auch klar sein: Wenn Politik, Kassen und Ärzteverbände mit ihren Steuerungsangeboten keinen Erfolg haben, dann werden die Versicherten selbst dafür sorgen, dass privatwirtschaftliche Plattformökonomien wie Doctolib die Patientensteuerung vollends übernehmen.
Eine umfassende Reform der Krankenversicherung darf im Übrigen auch vor der radikalen Kappung verschwenderischen Wildwuchses nicht zurückschrecken. Ein Beispiel ist der über viele Jahre von den Profiteuren einer „Gesundheitssystemforschung“ gefeierte „Innovationsfonds“ der gesetzlichen Krankenkassen. Seit 2015 wurden dort mehr als 1,7 Milliarden Euro an Kassenbeiträgen für über 700 „Innovationsprojekte“ versenkt – ohne jeden zählbaren Nutzen für die Patientenversorgung. Denn kein einziger dieser Ansätze mit kreativen Projektnamen wie „ABSCHaLoM“ oder „MAMBO“ hat jemals das eigentliche Ziel erreicht, nämlich die flächendeckende Verbesserung der Patientenversorgung durch Ausrollung eines Projekts in die bundesweite Anwendung.
Wie Pilze im warmen Regen sind dagegen Institute und Agenturen aus dem Boden geschossen, die für die „wissenschaftliche Begleitung“ dieser Projekte fürstlich aus Versichertenbeiträgen bedient werden, ohne dass sich für die Versorgung der Patienten auf Bundesebene auch nur der geringste Fortschritt ergeben hätte. Im Gegenteil werden durch dieses ebenso muntere wie kontraproduktive Treiben zusätzliche finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen aus der Versorgung abgezogen, so dass das gesamte Projektwesen die Versorgung der Patienten nicht etwa verbessert, sondern tendenziell eher verschlechtert hat.
Der grundsätzliche Denkfehler, der ein solches Chaos hervorbringt, ist die Verknüpfung von Innovationsprojekten mit dem Kassenwettbewerb. Da alle gesetzlichen Krankenkassen dasselbe Leistungsangebot aufweisen, wollen sie sich in Projekten mit originell klingenden Namen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Aber wenn sich ein solches Projekt tatsächlich einmal auf regionaler Ebene oder für eine einzelne Kasse bewährt haben sollte, will es natürlich die andere Region oder die konkurrierende Kasse auf keinen Fall übernehmen, sondern versucht vielmehr, mit eigenen Projekten eigene Werbe-Schlagzeilen zu produzieren.
Donald Trump hat gezeigt, dass ein derart in sich pervertiertes System nur geheilt werden kann, indem man auf rigorose Weise den finanziellen Stecker zieht. Denn mit dem Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) brechen die absurden Weltregierungsphantasien dieser komplett dysfunktionalen Truppe wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Das mondäne Genf wird es überleben, wenn dort deswegen bald Tausende von hochdotierten Stellen abgebaut und ein paar Ferraris weniger die Straßen kreuzen werden. Und der WHO wird durch die erzwungene Radikalschrumpfung die Möglichkeit gegeben, als einfache technische Agentur der UNO zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Und auch in einem anderen Bereich wird sich die Kappung finanzieller Mittel segensreich für die gesamte Weltgemeinschaft auswirken.
Denn Donald Trump und Robert F. Kennedy entziehen auch der gefährlichen Gain-of-Function-Forschung in den USA das Geld. Während überall noch diskutiert wird, ob diese „Forschung“, was die wahrscheinlichste These ist, durch einen Labor-Unfall in Wuhan die Katastrophe der Corona-Pandemie ausgelöst hat, wurden durch die Trump-Administration einfach Fakten geschaffen, damit ein vergleichbares weltweites Armageddon sich nicht wiederholen kann.
Diese Art entschlossenen politischen Handelns sollte auch in Deutschland Schule machen. Zum Beispiel indem man dem seit Jahren staatlich geförderten NGO-Wildwuchs, der unter dem Deckmantel angeblicher „Demokratie-Förderung“ tatsächlich einem links-grünen Vernichtungsfeldzug gegen Meinungsfreiheit und Demokratie dient, sofort jegliche finanzielle Unterstützung entzieht.
Denn wenn die Zehntausende staatlich finanzierter NGO-Aktivisten keine Zeit mehr haben, im Auftrag der Regierung auf den Straßen eine „Zivilgesellschaft“ im Kampf gegen die parlamentarische Opposition zu simulieren, sondern einer geregelten Tätigkeit nachgehen müssen, würde das nicht nur die Demokratie stärken und den Staatshaushalt entlasten, sondern auch die Beitragseinnahmen der Krankenkassen erhöhen.
Dr. med. Lothar Krimmel, Facharzt für Allgemeinmedizin, war von 1992 bis 2000 Geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.