
Die libanesische Regierung hat kürzlich einen US-Plan zur Entwaffnung der Hisbollah verabschiedet. Dieser sieht eine vollständige Entwaffnung der schiitischen Miliz bis Ende 2025 vor. Nach dem Beschluss warf die Hisbollah der Regierung vor, sich dem „Druck der USA und Israels zu beugen“. Die Gruppe beteuerte, sie werde „die Entscheidung so handhaben, als ob sie nicht existiert“.
Der US-Nahost-Sondergesandte Thomas Barrack gratulierte dem libanesischen Ministerpräsidenten Najib Mikati und Präsident Michel Aoun zu ihrer „historischen, mutigen und richtigen Entscheidung”. Die Beschlüsse des Kabinetts seien ein erster konkreter Schritt zur Umsetzung des Prinzips „ein Land, eine Armee”.
Die Hisbollah hatte bereits mehrfach erklärt, keiner Entwaffnung zuzustimmen, solange israelische Truppen weiter an Posten im Südlibanon stationiert seien. Nach dem im November letzten Jahres zwischen Israel und der Hisbollah vereinbarten Waffenstillstands hält Israel weiterhin fünf Stellungen im Libanon besetzt und greift regelmäßig Hisbollah-Ziele im Südlibanon und in der Hauptstadt Beirut an.
In den vergangenen Wochen setzten die USA und die Golfstaaten den Libanon unter Druck, die Hisbollah im Gegenzug für den Wiederaufbau des Landes zu entwaffnen. Laut einem Bloomberg-Bericht haben Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait dem libanesischen Premierminister Nawaf Salam deutlich gemacht, dass „Gelder für den Wiederaufbau und Investitionen im Libanon von einem an einen Zeitplan gebundenen Plan zur vollständigen Entwaffnung der Hisbollah abhängen”.
Hisbollah-Chef Naim Qassem hat eine erzwungene Entwaffnung seiner Organisation als Bürgerkriegsgefahr bezeichnet. Wie ernst es die vom Iran gelenkte Organisation mit ihren Drohgebärden meint, bleibt abzuwarten. Israel hat in der Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt, dass es vor harten Schlägen nicht zurückschreckt. Einen neuen Waffengang würde die bereits jetzt massiv geschwächte Hisbollah aber kaum überleben.
Nach der Niederlage im jüngsten Krieg mit Israel schwindet der Einfluss der Hisbollah. Viele ihrer Anführer sind tot. Ihr Waffenarsenal ist dezimiert. Sie hat die Kontrolle über den Flughafen von Beirut verloren. Zudem ist ihr Landkorridor zum Iran über Syrien und den Irak abgeschnitten, seit die Islamisten in Syrien an die Macht gekommen sind. In ihrer Klientel herrscht Wut über den schleppenden Wiederaufbau.
Die Regierung im Libanon scheint entschlossen, gegen die schiitische Miliz vorzugehen und damit einen neuen Staatsaufbau des von Krisen geplagten Landes zu beginnen. Entschlossen gibt sich die Regierung in Beirut auch gegenüber dem Iran, der die Hisbollah fördert und lenkt. Aus Teheran waren in letzter Zeit ebenfalls Kampfansagen gekommen.
Nach dem Regierungsbeschluss zur Entwaffnung der Hisbollah besuchte Ali Laridschani, der Generalsekretär des iranischen Nationalen Sicherheitsrates, Beirut. Laut Berichten trat der libanesische Regierungschef in dem Treffen entschlossen auf und warnte den Iran vor einer Einmischung in den Libanon. Der Besucher aus Teheran mäßigte in Beirut seinen Ton öffentlich. Der Iran werde immer fest an der Seite seiner Verbündeten im „Widerstand” gegen Israel und die Vereinigten Staaten stehen, mische sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein, so Laridschani. Vorvergangene Woche hatte Ali Akbar Velayati, ein Berater des iranischen Obersten Führers, erklärt, dass Teheran gegen eine Entwaffnung der Hisbollah sei. Dies hatte eine scharfe Reaktion des libanesischen Außenministers Youssef Ragi zur Folge, der dies als eklatante und inakzeptable Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Libanon bezeichnete.
Gerade hat Libanon einen zerstörerischen Krieg mit dem Nachbarn Israel hinter sich, da droht bereits die nächste Konfrontation. In den vergangenen Wochen drohten die USA dem Libanon mit einer Besetzung durch Syrien und Israel, sollte Beirut die Hisbollah nicht zur Entwaffnung auffordern. In einem Gespräch mit der englischsprachigen Tageszeitung The National aus Abu Dhabi betonte der US-Sondergesandte für Nahost und Botschafter in der Türkei Thomas Barrack, dass der Libanon einer existenziellen Bedrohung durch die beiden US-Verbündeten an seinen Grenzen ausgesetzt sei. In diesem Interview warnte der US-Gesandte den Libanon indirekt vor einer Besatzung durch Islamisten aus Syrien und einem neuen Krieg mit Israel. Er forderte Beirut auf, schnell zu handeln und die Hisbollah zu entwaffnen.
Viele Schiiten im Libanon befürchten, ohne den Schutz der Hisbollah der Gewalt sunnitischer Islamisten im Nachbarland ausgesetzt zu sein. Der Sturz Baschar al-Assads in Syrien durch sunnitische Islamisten hat sie verunsichert. Sie blicken auf die Massaker an den Alawiten und Drusen in Syrien und zittern.
Zwischen 1975 und 1990 erlebte der Libanon einen Bürgerkrieg. In dessen Verlauf bekämpften sich verschiedene Gruppierungen im Land in wechselnden Koalitionen. Darüber hinaus kam es zu mehreren Interventionen durch andere Staaten. Syrien intervenierte ab 1976 mit einer großen Militärpräsenz und übte starken Einfluss auf die libanesische Politik aus. Israel errichtete eine Besatzungszone im Südlibanon und kämpfte an der Seite christlicher Kräfte.
Im Libanon wurden Mitte August sechs Bombenentschärfer bei einer Explosion in einem Munitionsdepot getötet. Nach Angaben der libanesischen Armee handelte es sich um ein Lager, das von Kämpfern der militanten Hisbollah verlassen wurde. Die Ursache der Explosion wird noch untersucht. Es war der tödlichste Tag für die Armee seit dem 8. Oktober 2023, als das Land in einen regionalen Krieg verwickelt wurde.
Doch die Soldaten wurden nicht durch feindliches Feuer getötet. Unabhängig davon, ob es sich um einen Unfall handelte oder nicht, verdeutlicht dies den Willen der neuen libanesischen Regierung, mit US-Unterstützung beispiellose Schritte zu unternehmen, um den Einfluss der Hisbollah einzudämmen und die Gruppe zu entwaffnen. Doch jedes Vorgehen gegen die Miliz birgt die Gefahr, die ohnehin labile Stabilität des Landes weiter zu gefährden.
Die Hisbollah wirkt zunehmend isoliert. Ihr Verbündeter Iran ist durch die Aufarbeitung des jüngsten Kriegs mit Israel sowie die Atomverhandlungen mit dem Westen abgelenkt. Die Verweigerung seiner Entwaffnung sowie bewaffneter Auseinandersetzungen mit internen Gegnern dürfte nach hinten losgehen und die schiitische Gemeinschaft der Gewalt der Sunniten ausliefern.
Nachdem die Regierung den amerikanischen Plan bekannt gegeben hatte, zogen Hisbollah-Mitglieder durch Beirut, verbrannten Bilder des Premierministers und blockierten Straßen. Präsident Joseph Aoun wird es nicht leicht haben, sie zu entwaffnen. Doch er weiß genau, dass die USA und die Golfstaaten nicht ewig warten werden.
Es machen auch Berichte die Runde, dass die Hisbollah derzeit lediglich versucht, Druck auf die Regierung auszuüben, um eine für sie gesichtswahrende Lösung zu erwirken. Offensichtlich versucht der Iran durch diplomatische Bemühungen, Saudi-Arabien dazu zu überreden, eine geschwächte Präsenz der Hisbollah in der schiitischen Gemeinde im Südlibanon zu akzeptieren. Damit soll die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs im Libanon abgewendet werden.
Die Hisbollah ist zwar geschwächt, aber noch nicht erledigt. Die Organisation wird aber Jahre brauchen, um sich von ihrer Niederlage im November zu erholen. Der Iran, der die „Achse des Widerstands“ finanziert und mit Waffen ausstattet, hat sich zuletzt als weit schwächer erwiesen, als die Rhetorik der Ayatollahs befürchten ließ. Das Versprechen Teherans, die Gegner Israels zu schützen und zu Siegen zu führen, hat sich im November als leeres Gerede erwiesen. Schließlich wurde der Iran im Juni selbst in einen direkten Krieg mit Israel verwickelt.
Ein neuer Krieg zwischen der Hisbollah und Israel ist vorerst unwahrscheinlich. Die Reorganisation der Hisbollah wird also dauern. Israel hat nach dem Waffenstillstandsabkommen freie Hand im Nachbarland. Die USA garantieren ihm das Recht, jederzeit und überall im Libanon anzugreifen. Der Libanon wird vermutlich in einem Zustand verharren, der weder Krieg noch Frieden ist – allerdings nur, solange die Hisbollah ihre Waffen nicht gegen Gegner im eigenen Land richtet und damit einen Bürgerkrieg auslöst.