
Hubertus Knabe ist Historiker und ehemaliger Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Der Experte hat sich insbesondere mit Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt und darüber sogar ein Buch geschrieben. Bei „Schuler! Fragen, was ist“ erklärt Knabe, warum der 8. Mai 1945 nicht wirklich als „Tag der Befreiung“ gelten kann.
Besonders in Ostdeutschland sei nach dem Krieg kein Freiheitsgefühl entstanden, sondern ein Klima der Angst – geprägt von Terror, Massenvergewaltigungen und Folter unter sowjetischer Kontrolle. Laut dem Experten zementierte die DDR-Propaganda zudem ein einseitiges Geschichtsbild: Die Sowjetunion galt als alleiniger Befreier, während NS-Verstrickungen im Osten systematisch ausgeblendet wurden.
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Die Entscheidung Stalins, Berlin als Erster haben zu wollen, verlangte einen hohen Blutzoll, erklärt Knabe im Gespräch. Am Ende war es „Stalin und auch den alten Zaren schon und Herrn Putin im Grunde egal, wie viele Menschen bei so einem Krieg ums Leben kommen.“
Im Gespräch mit NIUS-Politikchef Ralf Schuler erklärt Knabe, dass der Begriff „Befreiung“ für das, was in Ostdeutschland nach 1945 passierte, unpassend sei.
Knabe kritisiert im Gespräch mit NIUS-Politikchef Ralf Schuler, dass die sowjetischen Kriegsverbrechen, wie die Massenvergewaltigungen und Internierungslager nach Kriegsende, bis heute kaum öffentlich thematisiert würden. Er fordert eine realistische Sicht auf die Historie, die sowohl deutsche als auch sowjetische Verbrechen klar benennt, ohne sie gegeneinander aufzurechnen. Er fügt hinzu: „Man kann ja nicht sagen, dass die russische und die Bevölkerung der Sowjetrepubliken nicht gelitten hätten im Zweiten Weltkrieg. Aber sie haben eben auch und in starkem Maße unter ihrem eigenen Diktator gelitten, und zwar nicht nur während des Großen Terrors, wo ja die gesamte Armeeführung erschossen wurde.“
Dass die Schreckenstaten der russischen Besatzung kaum aufgeklärt sind, ist laut dem Experten auf die DDR-Propaganda zurückzuführen.
In Knabes Buch „Tag der Befreiung“ (LMV, 25 Euro) erklärt der Experte, wie skrupellos die Rote Armee auch intern handelte: „Wenn Rotarmisten zurückwichen vor der Wehrmacht, wurden sie von Blockadeeinheiten einfach erschossen – von hinten. Weil das nicht vorgesehen war und selbst beim Führungspersonal 1941 und 1942, das schreibe ich hier an einer Stelle, wurden mehr sowjetische Generäle durch sowjetischen Terror getötet als durch deutsche militärische Maßnahmen. Und das sind eben Dinge, die in Deutschland kaum bekannt sind und in Russland systematisch unter den Teppich gekehrt werden.“
Der Historiker bezeichnet diesen Umstand vorsichtig als „unvollständiges Geschichtsbild“.
Auch zu aktueller Politik äußerte sich Hubertus Knabe: „Wer stark ist, wird nicht angegriffen. Wer schwach ist, der zieht geradezu diejenigen auf sich, die sagen: ‚Da ist eine Lücke‘.“
Während seiner Recherchen stieß Knabe auch auf Dokumente von sowjetischen Führungskräften, die sich etwa darüber beschwert haben, dass es in Deutschland nicht üblich sei, wenn jemand plötzlich verschwinde. Mit dieser Kultur müsse man sich als Besatzer erstmal abfinden. Doch „das war eben nicht die Praxis des sowjetischen Geheimdienstes in Deutschland“.
Genauso wenig Zahlen gibt es zu den Schicksalen von Frauen in der Nachkriegszeit. In der DDR herrschte diesbezüglich ein geradezu eisernes Schweigen. „Das hängt sicherlich mit diesen Massenvergewaltigungen zusammen, vor allem bei der Eroberung der späteren Ostgebiete“, erklärt Hubertus Knabe. „Also alles, was östlich der Oder lag, da wurde ja praktisch systematisch vergewaltigt, egal welchen Alters. Und ich habe in meinem Buch auch sowjetische Augenzeugen zitiert [...]. Und das ist ganz grauenhaft zu lesen, diese Quälereien. Zum Teil wurde eben nicht nur einmal vergewaltigt, sondern die Männer standen dann Schlange.“