Hubertus Knabe: „Mit Entnazifizierung hatte das wenig zu tun“

vor 29 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Tichys Einblick: Herr Knabe, Sie haben ein neues Buch veröffentlicht im Langen Müller Verlag: „Tag der Befreiung?“, mit dem wichtigen Hinweis eines Fragezeichens versehen. Und Ihre These ist, dass Ostdeutschland 1945 nicht befreit wurde, sondern nahtlos in eine andere Diktatur übergegangen ist. Wie konnte das funktionieren?

Hubertus Knabe: Ja, ich habe mich immer gewundert, wie man dazu kommen konnte, die Installierung einer neuen Diktatur als Befreiung zu kennzeichnen. Das hat die DDR zur Genüge getan. Dort war der 8. Mai ein Feiertag. Die meisten Leute empfanden das eigentlich als Zynismus pur: eine Diktatur, in der ich nicht sagen kann, was ich will, als Befreiung zu bezeichnen und die, die diese Diktatur gebracht haben, auch noch als Befreier zu feiern. Das ist das eigentliche Thema dieses Buches, wie die Zerschlagung des Nationalsozialismus nahtlos überging in die Installierung einer neuen Diktatur.

Und viele wissen eben nicht, dass das mit Entnazifizierung wenig zu tun hatte, sondern dass dieselben Methoden in Polen, der Tschechoslowakei, in der Ukraine, im Baltikum und anderswo angewandt worden sind, zur Gleichschaltung dieser Gesellschaften: Massenverhaftungen, Lager, Hinrichtungen und so weiter.

Tichys Einblick: … in großem Maßstab. Sie schreiben schon in der Einleitung von 10.000 Erschießungen, Ermordungen, 2 Millionen Vergewaltigungen, Plünderungen, hunderttausende Millionen von Deportationen; ganze Bevölkerungen wurden von Osten nach Westen vertrieben. Ist da ein entscheidender Unterschied in der Systematik zum Unrechtsregime des Dritten Reiches oder ist das Grauen in der Tat gleich?

Hubertus Knabe: Also alle Diktaturen sind irgendwo anders. Es gibt keine identische Kopie einer Diktatur. Im ehesten vielleicht noch im Ostblock. Aber selbst da gab es Unterschiede, wenn man an Ungarn denkt, Gulasch-Kommunismus und dann Ceauşescu, dieser üblen Diktatur da. Aber was, glaube ich, Stalin und Hitler sehr miteinander verbunden hat und was auch dazu geführt hat, dass Stalin Hitler im Grunde bewunderte, war diese Gnadenlosigkeit und dass man über ganze Völker einfach entscheidet und sagt, die müssen weg hier und die müssen vernichtet oder deportiert werden. Deportieren ist eigentlich schlauer, wenn man so will, weil man sie dann noch als Arbeitssklaven benutzen kann. Töten, da sind sie eben weg. Und diese Ähnlichkeit im Umgang mit Menschen, dieser Zynismus: der ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen.

Tichys Einblick: Sie beschreiben auch, wie die Sowjetübergangsregierungen von Anfang an darauf hingearbeitet haben, sowjetische Diktaturen in Ostdeutschland und in Osteuropa zu errichten. Wie genau ist man da vorgegangen? Wie war der Prozess? Oder gab es gar keinen Prozess und man hat es einfach gemacht?

Hubertus Knabe: Also es gab eine Step-by-Step-Entwicklung, die man übrigens schon in Spanien ausprobiert hatte während des Bürgerkrieges. Da hat Stalin ja die Republikaner unterstützt und praktisch eine Stalinisierung Spaniens eingeleitet. Und das war dann bei den sogenannten Volksdemokratien eben auch der Fall. Die Kommunisten haben die Schlüsselstellungen in den Sicherheitsapparaten besetzt. Die bürgerlichen Politiker dienten als Staffage, wurden noch eine gewisse Zeit geduldet und dann entweder eingesperrt oder zur Flucht gezwungen oder gleichgeschaltet, weil sie sich dann angepasst haben, und das Ganze begleitet von unglaublichen Massenverhaftungen.

Tichys Einblick: Wir stehen vor den Akten, die hier ausgestellt werden im Stasi-Archiv. Welche Warnung an die Zukunft geben sie uns?

Hubertus Knabe: Das soll jetzt nicht platt klingen, aber die Demokratie ist wirklich fragil und höchst gefährdet und ist aber außerordentlich wertvoll, weil jeder, der so leben will, wie er das möchte, ist darauf angewiesen, dass man ihn auch so leben lässt. Von daher ist das doch, finde ich, sehr wichtig aus der Vergangenheit Schlüsse zu ziehen und das bezieht sich auch auf Russland. Da ist nämlich ein interessanter Unterschied zwischen Deutschland und Russland. Deutschland hat seine Verbrechen in großem Maße aufgearbeitet, über Jahrzehnte hinweg, auch die seiner Wehrmacht …

Tichys Einblick: … auch sehr schmerzhaft …

Hubertus Knabe: … Ja, ich weiß. Der sogenannte Traditionserlass der Bundeswehr, wie lange da diskutiert wurde, ob man sich wirklich so strikt von der Wehrmacht loslösen soll. In Russland hat das nie stattgefunden.

In Russland wird immer noch die rote Armee verherrlicht. Das sind entweder Helden oder manche auch Opfer, aber nie Täter. Und dann kann man natürlich auch nicht daraus lernen und sagen, das und das geht nicht. Man kann nicht ein 13-jähriges Mädchen in Ostpreußen vergewaltigen. Egal was die Machthaber, die über ihr stehen, vorher verbrochen haben. Das geht einfach nicht. Und dieser Aufarbeitungsprozess ist eben in Russland nicht nur nie zustande gekommen, sondern wird gerade massiv zurückgefahren.

Mein Freund Roman Romanow vom Gulag-Museum in Moskau ist im Januar entlassen worden. Das Museum ist zu, daran kann man schon vieles sehen.

Tichys Einblick: Herr Knabe, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Hubertus Knabe, Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland. LMV, Klappenbroschur, 390 Seiten, 25,00 €.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel