
„Einige sind größer, andere sind kleiner“, sagt Olaf Scholz (SPD) als die Techniker für seine Rede das Pult um gut ein Drittel nach unten fahren. Vor ihm hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger auf dem Deutschen Arbeitgebertag in Berlin gesprochen, ein eleganter Zwei-Meter-Mann, der im anschließenden Talk den Kanzler in geradezu beispielloser Weise zusammenfaltet.
Noch nie wurde ein Kanzler auf offener Bühne und vor Publikum so eiskalt abserviert. Im Gespräch mit n-tv-Moderatorin Corinna Wohlfeil zählt Scholz am Dienstagvormittag im Berlin Congress Centrum (BCC) auf, was seine Regierung schon alles für die Wirtschaft getan habe. Dulger, Chef des bedeutendsten Spitzenverbands der deutschen Wirtschaft, läuft sich langsam warm: „Wir sehen ja alle, dass die Erkenntnis da ist und dass auch der Wille zum politischen Handeln da ist. Das erkennen wir an.“
Doch was wie ein versöhnlicher Schulterschluss mit dem Regierungschef beginnt, wird unversehens zur brutalen Abrechnung: „Aber der Punkt ist“, sagt Dulger, „es ist bei uns in den Betrieben davon noch nicht viel angekommen, bzw. gar nichts angekommen.“ Dann legt er nach: „Beispiel Lieferkettensorgfaltskontrollgesetz. Wir haben mehrfach darum gebeten, dieses Gesetz entweder zu lockern oder außer Kraft zu setzen.“
Was dann abgeht, ist ein Dialog, wie er offener, härter, respektloser, ja aggressiver kaum sein könnte:
Dulger: „Der Wirtschaftsminister hat uns das auch mehrfach bestätigt, dass er verstanden hat, worum es geht und dass er sich an die Arbeit machen wird. Aber erreicht, geliefert, hat er nichts.“
Scholz: „Dies Jahr noch!“ Beiläufig eingeworfen, soll es die Attacke des Wirtschaftsbosses entschärfen. Verstanden, soll das heißen. Kommt demnächst. Alles gut. Nichts ist gut.
Dulger: „Ich glaube Ihnen das, wenn die Tinte trocken ist und es bei mir auf dem Lieferschein steht, bei mir im Betrieb ankommt – dann glaube ich es Ihnen.“ Nein, Sie haben sich nicht verhört, die fünfhundert Wirtschaftsleute unten im Saal: Dulger fertigt den Kanzler ab wie einen Trickbetrüger, der ihm einen rostigen Gebrauchtwagen andrehen will. Das merkt auch Scholz und unternimmt einen matten Versuch der Gegenwehr.
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Scholz: „Sie können es mir auch so glauben!“ Versuch eines Schlussworts.
In normalen Zeiten hätte die Wirtschaft an dieser Stelle guten Willen gezeigt, langsames Beidrehen, Versöhnung. Botschaft angekommen. Doch die Wirtschaft schweigt nicht mehr. Dulger: „Bei mir im Betrieb ist bisher nichts angekommen, nichts davon!“
Scholz mag der Kanzler sein, Dulger ist an diesem Tag der Abkanzler.