
„Wir sind nicht zu fassen“, hieß der ORF-„Tatort“, der am Sonntag in der ARD ausgestrahlt wurde. Nicht zu fassen sind aber vor allem Drehbuch und Dialoge, die sich um eine ganz große Verschwörung libertärer Umstürzler drehten, also eine nicht zu fassende Verschwörungstheorie der Filmemacher.Schlimme Finger gehen in Wien auf sie Straße, immer wieder, rufen mit verzerrten Gesichtern schrille Hassparolen, attackieren die Polizei. Nein, keine Linken, keine Islamisten – sondern „Spaziergänger“ aus dem „Staatsverweigerermilieu“. Bei einer dieser Kundgebungen kommt ein junger Mann zu Tode, Jakob Volkmann, ein Student. Zunächst sieht es nach einem Fall von Polizeigewalt aus, einige „Kolleginnen und Kollegen“ mauern. Oder hat Jessica Plattner, 33, geschieden, Mutter zweier Kinder, „Verschwörungsideologin aus Leidenschaft“ damit zu tun, die alle Regierungsmaßnahmen kategorisch ablehnt“? Sie hat auch schon mal eine Regenbogenfahne bei einer Querdenker-Demo verbrannt, „weil des angeblich Kinderschändersymbole san“.
Im Auto führt Ermittler Moritz Eisner einen denkwürdigen Dialog mit Schubert, dem Kollegen vom österreichischen Staatsschutz:Eisner: „Fast keine Leute auf der Straße. Und die, die auf der Straße sind … Wahrscheinlich alles Helden des Widerstands. Fragt sich nur gegen was eigentlich.“ Schubert: „Gegen Bevormundung, gegen die da oben, gegen die Eliten, gegen den Mainstream.“Eisner: „Na dann.“Schubert: „Ist ja auch nicht so wichtig, Hauptsache, man ist dagegen. Dann kriegt man Aufmerksamkeit, fühlt sich einzigartig. Ist eine Art kollektiver Narzissmus, würd’ ich sagen. Ich, ich, ich. Das Gegenteil von wir.“
Interessante Einordnung! Ein Kollektiv von (selbstsüchtigen) Individualisten? Das Beharren auf grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechten soll kollektivistisch sein? Und das „Wir“ nicht? Offenbar ist ein anderes Kollektiv („Wir“) gewünscht, eines, das sich unterordnet, alle staatlichen Narrative schluckt und gehorcht. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit hingegen ist suspekt, das Ich hat sich dem Wir unterzuordnen. Vielen Dank für diesen subtilen Hinweis auch unter schmerzhaftesten logischen Verrenkungen!
Es stellt sich heraus, dass Volkmann „während Pandemie abgedriftet“ ist, er schloss sich der KAPO („Kampfbereite außerparlamentarische Opposition“) an, wo Verschwörungstheorien, Elitenhass und Staatsverachtung gepflegt werden. Sie unterwandert laut Schubert Kundgebungen, bildet sogenannte Kameradschaften und hält geheime Wehrübungen ab. Klar, dass KAPO auf der Beobachtungsliste des Staatsschutzes ganz oben steht.
Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) vereiteln nicht weniger als den globalen Umsturz.
Eisners Kollegin Bibi Fellner sucht Jessica Plattner auf und liefert sich mit der „Verschwörungsideologin aus Leidenschaft“, die die Polizei für einen „g‘schissenen Verein“ hält, ein skurriles Wortgefecht darüber, dass Plattner die Kinder mit zur Querdenker-Demo nahm. „Kann man leider ned früh genug lernen, dass der Staat seine Bürgerinnen und Bürger unterdrückt“, sagt die Querdenkerin, die sich offenbar auch schon vom generischen Maskulinum verabschiedet hat. Auf Ihr „Ham sie mir grad gedroht?“ sagt Fellner: „Ha … und die Handkamera ausnahmsweise nicht griffbereit … Blöd, oder?“ Ätsch, da hat die Bibi es der staatsfeindlichen Hetzerin aber ganz schön gegeben!
Die Schwester des Mordopfers berichtet, Jakob habe sich mit Verschwörungstheoretikern getroffen („Die reden ja vom kosmischen Endkampf zwischen Gut und Böse, von der Apokalypse“). Einer von denen wirft einen Molotow-Cocktail auf die Polizistin Meret und eine Begleiterin. Den schießt sie später nieder und entdeckt dabei eine Tätowierung mit Totenkopf – das Zeichen von „Libertariern“. Die hätten eine utopische Republik freier Geister gegründet, bisschen basisdemokratisch „und vor allem radikal libertär mit einem ziemlichen Drang zum Sozialdarwinismus und Freibeutertum“. Und „der staatsfeindliche Dreck läuft in der KAPO zusammen“, sagt ein Aussteiger.
Die Spur führt zu einer Tierärztin, die offenbar im Querdenkermilieu verkehrt und schon als Studentin radikal war. Sie ist, wie könnte es anders sein, blond und blauäugig. Der Capo di tutto capi ist allerdings ein Herr im gesetzteren Alter, ein Gejza von Rencz (62), reich, gebildet, viel gereist – und Ex-Fremdenlegionär, als solcher ein Staatsverächter. Jetzt driftet die Verschwörungsgeschichte des ORF-„Tatorts“ vollends ins Surreale ab.
Jetzt geht es sogar um eine „europäische Verschwörung. Die staatsverweigernden Herrschaften kooperieren länderübergreifend in Sachen Umsturz, Razzien in der Schweiz, Holland und Deutschland, Militärs dabei, Exekutivbeamte, ehemalige und noch aktive, eine frühere Richterin und Abgeordnete [wohl eine Anspielung auf Birgit Malsack-Winkemann, Verdächtige im Reichsbürger-Prozess, Anm. d. Red.], diverse Anwälte und Ärzte, promovierte Juristen, Stadtratsmitglieder.“
Übergabe einer Aktentasche, die brisante Informationen enthält (Szene).
Kurzum: Die bürgerliche Mittelschicht, keine Gleichstellungsbeauftragten unter den Tätern. Es handle sich, so Polizistin Meret, um eine „ernstzunehmende terroristische Bedrohung“ wie beim graumelierten Umstürzler in Cordhosen, Heinrich XIII. Prinz Reuß. Meret zitiert dann sogar noch Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels, der beschrieb, wie er sich die Demokratie zu deren Abschaffung zunutze machen wollte.
Gejza von Rencz wird nun von der Polizei in die Enge getrieben, rettet aber noch von seinem Reiterhof einige wichtige Unterlagen, unter anderem eine Liste mit seinen zukünftigen Kabinettsmitgliedern. Keiner weiß, welche Schritte der Bildung einer Regierung unter dem Ex-Fremdenlegionär vorausgehen müssen – ganz so wie im realen aktuellen Geschehen in der Bundesrepublik mit ihren abenteuerlichen Umsturz-Geschichten –, und auch der Plan des Herrn bleibt reichlich unkonkret, ist aber nicht weniger als die irrste Aktion seit der Landung der Alliierten in der Normandie:„Als Auftakt eines gesamteuropäischen, ja globalen Umsturzes werden am Tag X Spezialkommandos, unsere Elitekräfte zeitgleich in mehreren europäischen Hauptstädten die Parlamente stürmen und da ihre Aufgaben im wahrsten Sinne des Wortes erledigen. Die verrotteten Eliten werden beseitigt und die Demokratie abgeschafft.“ Polizistin Meret entgeistert: „Die ham schon ein Schattenkabinett!“
Weil der hochmütige Oberschurke von Rencz (ein Blaublüter, na klar!) das Fell des Bären schon verteilt hat, bevor er erlegt wurde. So ein globaler Umsturz ist ja eine Kleinigkeit, von „unseren Elitekräften“ mal eben so im Handumdrehen zu erledigen. Gut, dass Moritz Eisner und Bibi Fellner das spektakuläre Vorhaben noch verhindern können. Sie lassen von Rencz entkommen, damit er sie unbeabsichtigt zu seinen Mitverschwörern führt, was er natürlich nicht checkt. Sein Scheitern ist bereits besiegelt.Am Ende sinnieren Eisner und Fellner noch einmal über das gefährliche Milieu renitenter Bürger, von denen offenbleibt, ob sie auch alle potenzielle KAPO-Terroristen sind. Jedenfalls bringen solche gefährlichen individualistisch-kollektivistischen Bewegungen Ausgeburten wie den Umstürzler von Rencz hervor. Eisner: „Die ganzen Leute, die da unten gegen den Staat spazieren gehen – was soll’n wir mit denen tun?“ Seine Kollegin sagt, recht überraschend: mit denen reden. Und zitiert Churchill: Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, abgesehen von allen anderen. Und dann sind 90 Minuten als Krimi getarnte Staatsbürgerkunde aus der demokratischen Mitte auch schon herum.
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