Bei Illner: Merz vor der Öffnung nach links

vor 2 Monaten

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

An diesem Abend sitzen Vertreter von Union, SPD und Grünen bei Maybrit Illner und sprechen über das vorläufige Ergebnis der Wahl. Es ist noch nicht sicher, ob das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Bundestag kommt. Ein Einzug des BSW würde für die Union eine Koalition mit SPD und Grünen bedeuten. Mittlerweile ist zwar klar, dass es für Schwarz-Rot reicht – das konnte aber noch keiner der Beteiligten zu dem Zeitpunkt wissen.

Die Runde liefert die Erkenntnis, dass es ein weiter Weg zu einer stabilen und handlungsfähigen Regierung sein dürfte. Denn große inhaltliche Schnittmengen gibt es zwischen den drei Parteien kaum. Einig ist man sich nur darin, dass man die AfD weit weg von politischer Verantwortung halten möchte. Ob der Kampf gegen Rechts ein vernünftiges Projekt für einen konservativen Bundeskanzler ist, darf bezweifelt werden. Aber vermutlich zwingt die Angst vor einer Teilhabe der AfD an einer Regierung das mögliche neue „Bündnis“ zusammen.

Im Fußball-Jargon würde man das Abschneiden der Union bei dieser Bundestagswahl als Arbeitssieg bezeichnen. Es reicht klar für den ersten Platz, aber ein großes Plus konnte Merz der Union nicht beschaffen. Selbst im Vergleich zu Angela Merkel ist das Ergebnis dürftig. Die ewige Bundeskanzlerin kam nie unter 30 Prozent – selbst nach 2015 und der großen Grenzöffnung nicht.

Die Miene von Generalsekretär Carsten Linnemann ist deshalb auch nicht sonderlich fröhlich, als er über den Wahlsieg der Union spricht. „Wir haben die Wahl gewonnen“, verkündet er nüchtern. Offensichtlich schlägt ihm auf den Magen, dass es wahrscheinlich auf eine schwarze Ampel als mögliche Koalition hinausläuft. „Wir haben uns auf einen Partner eingestellt“, erklärt Linnemann. Zu diesem Zeitpunkt des Abends liegt das BSW im ZDF bei genau fünf Prozent und schafft es in den Bundestag.

Für die Sozialdemokraten ist der Wahlabend eine Qual. Das Ergebnis der Genossen ist miserabel – selbst für SPD-Maßstäbe. Olaf Scholz hat der Partei keinen Erfolg gebracht. Das verwegene Manöver, auf den unbeliebtesten Politiker Deutschlands zu setzen, ist krachend gescheitert. Ministerpräsident Stephan Weil flüchtet sich in abgedroschene Phrasen. Er meint: „Wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen.“ Bei der SPD haben durch das Wahlergebnis sehr viele Personen verloren. Die Fraktion hat sich halbiert. So viele neue Sonderbeauftragte kann die neue Bundesregierung nicht kreieren, um all die arbeitslosen Abgeordneten unterzubringen. „Es ist eine Zäsur für die SPD“, muss Weil feststellen.

Bei einer Bundestagswahl sind die Sozialdemokraten noch nie Dritter geworden. Es dürfte innerparteilich zum großen Stühlerücken kommen. „Wir haben innerparteilichen Diskussionsbedarf“, meint Weil zur Situation der SPD. Der Welt-Journalist Robin Alexander sieht die Hauptschuld für das Debakel der SPD beim Kanzler. „Olaf Scholz war ein sehr unpopulärer Kanzler“, bemängelt Alexander. Aus seiner Sicht war es ein grober Fehler der Partei, dass sie Scholz die Kandidatur nicht entrissen hat.

Für die Grünen ist der Abend ebenfalls wenig erfreulich. Die Partei verliert im Vergleich zu 2021 deutlich, obwohl der Medienliebling Robert Habeck Bündniskanzlerkandidat der Wende-Partei ist. „Wir haben uns aus dem tiefsten Loch gekämpft“, erklärt Grünen-Chef Felix Banaszak. Die Schuld am schlechten Abschneiden sehen die Grünen nicht etwa bei sich selbst, sondern bei der Union und Friedrich Merz. „Die Gesprächsfähigkeit mit Merz hat uns geschadet“, vermutet Banaszak. Es war in der Rückschau nicht sonderlich clever, die Union vonseiten der Grünen unter Faschismusverdacht zu stellen. Schließlich ist die Union die einzige Machtoption der Grünen. Die Omas gegen Rechts haben am Ende lieber bei der Linkspartei ihr antifaschistisches Kreuz gemacht als bei den Grünen.

Die Alternative für Deutschland hat bei dieser Wahl ihren bundesweiten Durchbruch gefeiert. Mit über zwanzig Prozent ist die AfD mit Kandidatin Alice Weidel klar die zweite Kraft im Land. Die bundesrepublikanische Wirklichkeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird an diesem Abend bei Illner nicht abgebildet. Denn statt mit der AfD über ihren Erfolg zu sprechen, wird lediglich von anderen über die Partei gesprochen. Die Journalistin Eva Quadbeck vom Redaktionsnetzwerk Deutschland sieht Friedrich Merz in der Verantwortung für das starke Abschneiden der AfD und der Linken. „Merz’ Verhalten in der Migrationspolitik war nicht geschickt“, kritisiert Quadbeck. Aus Sicht der Journalistin war die gemeinsame Abstimmung mit der AfD ein Fehler.

Was die AfD wirklich stark gemacht hat, ist aber keine Abstimmung im Bundestag, sondern ihre Hartnäckigkeit beim Thema Migration und innere Sicherheit. Für über die Hälfte der Deutschen ist die Union hauptverantwortlich für die unbegrenzte Masseneinwanderung. Viele Bürger vernehmen die Worte von Friedrich Merz, die oft hart klingen und in die richtige Richtung weisen. Aber sie sehen, dass Merz schnell wieder zurückrudert, sobald es medialen Druck gibt. Die deutsche Politik kommt in Sachen Migration einfach nicht ins Handeln.

„Wir waren in Sachen Migration auf einem guten Weg“, findet Stephan Weil. Es habe Konsensgespräche zwischen Ampel und Union gegeben, berichtet er. Einen wirklichen Konsens habe es aber nie gegeben, korrigiert Robin Alexander. „Die Einigung von Olaf Scholz mit den Ministerpräsidenten wurde von der Grünen-Fraktion blockiert“, erläutert Alexander. Ob Bezahlkarte oder Reduzierung des Familiennachzugs – alles wird von den Grünen torpediert. Von genau jenen Grünen, die die Union womöglich für ihre Regierung brauchen könnte. „Es braucht eine Kraftanstrengung aus der Mitte heraus“, fordert Robin Alexander.

Aber was ist nach dieser Wahl überhaupt die Mitte? Die Gesellschaft verlangt nach Wandel, doch statt einer bürgerlichen Mehrheit kommt es im schlimmsten Fall zu einer linksdominierten Koalition. „Wir haben vier Jahre Zeit, die Probleme zu lösen“, mahnt Stephan Weil aus Angst vor der AfD. Ob die Parteien links der Mitte aber überhaupt verstanden haben, was die gravierendsten Probleme sind, ist zweifelhaft. Die Runde bei Illner vermittelt eher den Eindruck, dass die Union von den anderen Parteien erpresst werden wird. Der Schwanz wedelt mit dem Hund, nicht der Hund mit dem Schwanz. Solange es eine Brandmauer gibt, besteht eine linke Vorherrschaft in jeder Regierung.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel