
Die Roten und Grünen haben das Wörtchen „Kulturkampf“, das nach mehr klingt, als es eigentlich ist, für sich entdeckt. Dabei ist es ein alter Hut, sozusagen der Felix Krull unter den Begriffen, den übrigens in der Gegenüberstellung von Kultur und Zivilisation Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ schon während des Ersten Weltkrieges zu Tode deklinierte. Wesentliches ist bis heute nicht mehr dazu gekommen. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass die Heroen der Grünen und die Helden der Roten mit Worten umgehen wie der Anfänger im Jonglieren, der alles, was er an Tellern in die Finger bekommt, in die Luft wirft, um schließlich wie bei einem Polterabend inmitten der Scherben zu stehen und die Umstehenden anzubrüllen: „Das habt Ihr nun davon.“
Da aber die deutschen Bürger inzwischen von einer 11%-Partei unter Kumpanei einer 13%-Partei dazu verpflichtet worden sind, die Scherben zusammenzukehren und zu entsorgen und sie für diese Dienste, die sie den Roten und Grünen leisten, auch noch bezahlen müssen, ficht dass unsern grünen Jongleur nicht im Mindesten an. Seit einiger Zeit stechen die Grünen und Roten immer öfter wie im Rausch auf Voodoo-Puppen ein, auf denen „Kulturkampf“ oder „rechter Kulturkampf“ steht.
Ein User, der sich selbst „Erster Soziologe mit wissenschaftl. Turnschuh-Diplom“ nennt, was die Frage provozieren könnte, ob Soziologie nicht inzwischen ohnehin auf dem „Turnschuh-Diplom“ beruht, beschimpft – gejagt von den Gespenstern der Verschwörungstheorie – die Union auf X.: „Die Rechtsextremisten freuen sich, dass ihr deren Kulturkampf führt, das Parlament sowie unsere Demokratie beschädigt und öffentlich das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht untergrabt.“
Eine Lilly Blaudszun, von der man nicht recht weiß, ob sie noch studiert oder inzwischen einen Berufs- oder Studienabschluss erwarb, von der man nur weiß, dass die SPD sie in die Bundesversammlung schickte, um Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten zu wählen. Der Mann, der „Patriotinnen und Patrioten neuen Typs finden“ wollte und dabei übersah, dass der Begriff „neuen Typs“ eindeutig historisch definiert und auch belastet ist, nämlich als Lenins straff organisierte Kaderpartei neuen Typs, deren Wirken unter Stalin 20 Millionen Menschen in der Sowjetunion das Leben gekostet hat: Frauen, Männer, Kinder.
Aber Steinmeier, den die damalige Schwesig-Vertraute Blaudszun zu wählen in die Bundesversammlung geschickt wurde, wirkt ohnehin als Widergänger von Otto Grotewohl, wenn er schreibt: „Walter Ulbricht hatte den stalinistischen Albtraum aus Verdächtigungen und Säuberungen unter den Emigrierten im Moskauer Hotel Lux überstanden und erhielt nun den Auftrag der KPdSU, Partei und Staat im Osten Deutschlands zu errichten. Der erste Versuch, in Deutschland eine sozialistische Republik zu schaffen, war für viele, die vom Nationalsozialismus verfolgt worden und im Widerstand gewesen waren, die aus den Lagern kamen oder aus dem Exil, zuerst einmal faszinierend. Endlich kehrten die Ideen von Karl Marx, der nach dem Scheitern der 1848er-Revolution zuerst nach Paris floh, dann nach London übersiedelte, in die Heimat zurück.“
Ulbricht war nicht nur in Moskau Stalins treuester Handlanger, er brachte „den stalinistischen Albtraum aus Verdächtigungen und Säuberungen“ nach Ostdeutschland. Die Steinmeier-Wählerin aus Ostdeutschland blies natürlich auch ins Horn des „Kulturkampfes“: „Die Union verliert sich so sehr im rechten Kulturkampf, dass sie inzwischen sogar Schaden für das Bundesverfassungsgericht in Kauf nimmt. Die Abgeordneten sollten sich schämen.“
Wenn Lilly Blaudszun sich einmal mit dem Leidensweg von Arno Esch und Herbert Belter, den Ulbricht mit verursacht hatte, beschäftigen würde, würde sie sich schämen, einen Relativierer und Verharmloser wie Steinmeier gewählt zu haben.
Auch ZEIT-Autor Christian Bangel meldet sich zu Wort. Der schrieb, ganz in der Tradition von Stalins Nationalitätenpolitik, die noch heute die baltischen Republiken und die Ukraine gefährdet: „Wer den Osten dauerhaft stabilisieren will, der muss vor allem für eines kämpfen: Zuwanderung. Massiv und am besten ab sofort. Zuwanderung aus dem Westen, Binnenzuwanderung aus den großen Städten in die ländlichen Räume, und ja auch gezielte Migration aus dem Ausland.“ Dieser Christian Bangel kämpft nun also wieder einmal mit Fremdworten wie Kultur: „Dass jetzt die Wahl neuer Verfassungsrichterinnen blockiert ist, ist ein guter Anlass, mal wieder festzuhalten: Kulturkampf schadet allen außer den Rechtsextremen.“
Das Pathos und die Ahnungslosigkeit, mit denen die Grünen und Roten das Wort „Kulturkampf“ verwenden, zeigt nur, dass eine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihnen mangels Intellektualität leider nicht mehr möglich ist. Wenn man das gegenwärtige Personal der Grünen und der Linken in den Parteien, NGOs, sogenannten Think Tanks, an Universitäten und Hochschulen betrachtet, dann vermisst man, ohne mit ihm übereinzustimmen, die intellektuelle Eleganz und Brillanz linken Denkens, Stil und Analyse von Karl Marx, Siegfried Krakauer, Walter Benjamin, Karl Korsch, Rudolf Hilferding, Georg Lukács, um nur einige zu nennen.
Die linken Denker und Theoretiker des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts würden mit Blick auf das aktuelle grüne und linke Denken sich entsetzt abwenden und sofort zu den sogenannten Rechten desertieren, „rechte“ Denker und Theoretiker werden. Denn der Geist steht längst nicht mehr links, links steht nur noch die leere Behauptung und die verfassungsschutzmäßig gesicherte Anmaßung.
Grüne und linke Aktivisten repetieren in ihrem subjektiven Idealismus, der inzwischen die Grenze zum pathologischen Solipsismus tangiert, einer fast autistischen Selbstverliebtheit, nur noch die zu Schlagzeilen gefrorenen Absurditäten von Judith Butler.
Der ganze Kern von Butlers „Theorie“ genannten Bemühen um Unverständlichkeit besteht in der radikalesoterischen Vorstellung, dass wir das sind, als was wir angesprochen werden. Das ist der Kern der ganzen Genderideologie, die krude Grundlage des noch kruderen Gesetzes zur sexuellen Selbstbestimmung, das eher Gesetz zur sexuellen Phantasmagorik heißen sollte. Für Butler wird der Mensch durch die Sprache, durch die Anrufung. Die Idee, die sie dann weiterverquast, findet sie bei dem französischen Marxisten Louis Althusser: „In der berühmten Anrufungsszene … ruft ein Polizist einem Passanten ‚Hallo, Sie da!‘ zu. Der Passant, der sich wiedererkennt und sich umwendet, um auf den Ruf zu antworten … existiert im strengen Sinne nicht vor diesem Ruf … Indem der Passant sich umwendet, erhält er eine bestimmte Identität, die sozusagen um den Preis der Schuld erkauft ist.“
Für Butler existieren deshalb Geschlecht und Geschlechteridentität nur durch Anrufung. Menschen werden zwangsheterosexualisiert, weil sie als Heterosexuelle angerufen werden. Davon ausgehend werden Sex und Gender zu einer Kategorie synthetisiert, grammatikalisches und biologisches Geschlecht gleichgesetzt und das generische Maskulinum als Mittel der Unterdrückung und der Zwangsheterosexualisierung verleumdet.
Weil aber für Butler und ihren Epigonen Sprache ein Diskurs der Macht ist, wie sie bei Foucault oder Derrida in schlechter amerikanischer Übersetzung irgendwie gelernt haben muss, muss aus Butlers Sicht Sprache „enteignet“, sprich verändert werden. Man kann sich natürlich Butlers Sätze memorierend psychedelisch einen inzwischen legalisierten Joint nach dem anderen rauchend in die Welt der 99 Geschlechter verlieren, doch in der nüchterneren Realität existieren biologisch nur Mann und Frau.
In der nüchternen Realität wird, wenn man analog Althussers Beispiel den Menschen vor sich auf der Straße „anruft“: „Hallo, Sie Frosch da“, dieser Mensch wirklich nicht zu dem kleinen sprunggewaltigen grünen Tier werden, dessen Schenkel die Franzosen so gern essen, sondern der Angesprochene würde weiterhin sich auf zwei Beinen fortbewegen, sich aber möglicherweis umdrehen und fragen, ob man noch alle Latten am Zaun oder alle Tassen im Schrank hätte. Was Butlers Gewährsmann Louis Althusser amtlich nicht hatte, als er 1980 in der Nacht seine Ehefrau Hélène Rytmann nicht in einen Frosch verwandelte, sondern sie ganz real erwürgte, ganz ohne Anrufung.
Seine linken Freunde, u.a. Derrida, retteten ihn vor Verhaftung und Gerichtsprozess, indem sie ihn in eine Nervenheilanstalt schafften, denn erstens war er ein prominenter linker Intellektueller, für die Sonderrechte gelten, und zweitens waren ja fast alle irgendwie vom Fach, hatten sich ja fast alle von ihnen irgendwie auch mit Freuds Psychoanalyse und Freuds Aufsatz „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ befasst. Und ein Witz ist die ganze Gender- und Identitätspolitik, der etwa so geht: „Kommt ein Mann zum Arzt mit einem Frosch auf den Kopf. Sagt der Frosch: Können Sie mir helfen, Herr Doktor, ich bin da in etwas hineingetreten.“ Butlers Mensch ist das Etwas, in das der Frosch hineingetreten ist, weil er als Frosch angerufen wurde.
Wenn die Linken und Grünen jetzt sich über den „Kulturkampf“ erregen, ist das nur ein anderes Wort für das linke Ideologem von Klassenkampf. Auf der einen Seite stehen die Guten, auf der anderen die Bösen, die Bösen haben sich entweder zu ergeben und sich taufen zu lassen oder sie sind erbarmungslos zu vernichten. Diese Lehre wird auch von allen Medien und Vorfeldorganisationen der Grünen und Linken geteilt, wie vor einiger Zeit schon ein intellektuell vorzeitig in die Jahre gekommener Funktionär der EKD in einer Art linker Hunnenrede proklamierte: „Der Feind aber ist mehr und etwas anderes als ein Gegner: Er hasst uns und unsere politische Kultur, teilt unsere Grundvorstellungen nicht, will ein anderes System … Deshalb muss man mit ihm anders streiten als mit dem Gegner: Er darf keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern, Kompromisse sind mit ihm nicht erlaubt. Es darf kein Appeasement geben.“
Pardon wird nicht gegeben. Bei Marx und Engels hieß es noch: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen…Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ Oder eben: Britta Haßelmann: „Frauen dieser Republik wehrt euch!“ Gegen Islamisten? Wohl kaum. Gegen die Freiheit, die sie noch besitzen, wohl eher.
Es geht nicht um einen Kulturkampf, das verschleiert die wahre Dimension und betrachtet die Kultur als etwas Statisches, die doch aber selbst höchst veränderlich ist. Es geht schlicht und ergreifend um einen Machtkampf. Die Grünen und Roten können ihre Vorstellung einer klimaneutralen durchgegenderten Gesellschaft nur als Tugenddiktatur durchsetzen gegen die Freiheit, gegen die pluralistische Demokratie. Ihr Idealbild einer Volksvertretung findet sich in der Volkskammer der DDR vor 1989, in der nur die Parteien der demokratischen Mitte saßen, in einer politisierten Justiz, einem Verfassungsgericht, das immer stärker die Züge des Obersten Gerichts der DDR annimmt.
Die erste und letzte Frage der Roten und Grünen ist die Machtfrage, alles andere ist nur Taktik, einziges Ziel besteht in der Eroberung der Macht auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft. Und die Macht erringt man, wie man bei Marx, Gramsci, Mao nachlesen kann, wenn man die Institutionen mit seinen Leuten besetzt. Das Erste, was Grüne und Rote an der Macht unternehmen, besteht darin, die Institutionen vom Hausmeister bis zur Chefin mit ihren Leuten zu besetzen. Das ist der Hintergrund des Kampfes um das Verfassungsgericht. Deshalb wird er mit dieser Härte geführt, denn Rotgrün will diese Institution erobern. Die deutsche Gesellschaft befindet sich nicht in einem Kulturkampf, sondern in einem Machtkampf, der nach der eisernen leninistischen Formel „wer wen“ geführt wird. Verkennen wir das nicht.