
Der Tag, an dem Annalena Baerbock im Jahr 2021 als Kanzlerkandidatin der Grünen nominiert wurde, war für Robert Habeck „der schmerzhafteste Tag in meiner politischen Laufbahn“, wie er kurz darauf der Zeit erzählte. Es mag in den darauffolgenden Jahren manch anderen harten Tag für den Wirtschaftsminister gegeben haben, und doch scheint es nicht abwegig, dass ihn seither nichts so sehr schmerzte wie der Verzicht auf die Macht. Im Interview hatte er damals erklärt: „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“
2021 war es Baerbock, die im Kampf um die Kanzlerkandidatur siegte.
Robert Habecks Verhältnis zur Macht ist deshalb so aufschlussreich, weil es viel über das Verhältnis der postmodernen Linken zur Macht an sich verrät – und damit über die Misere, in der sich unser Land befindet. Eine Schlüsselrolle nehmen in Habecks Kampf um die Macht die Frauen ein. Immer wieder lässt er sich mit ihnen ablichten. Gleich drei Posts widmete er auf Instagram einer Reise zu einer Start-Up-Konferenz in Lissabon, auf die er erstmals eine rein weibliche Delegation mitnahm, die nur aus Gründerinnen bestand. #StarkeFrauenStarkeWirtschaft, schrieb er unter die Bilder, als würde ihn die Stärke von Frauen selbst überraschen.
Habeck zwischen Gründerinnen.
Habeck im Gespräch.
Auch diese Gründerin durfte mit Habeck aufs Foto.
Habeck braucht die Frauen. Und das gleich auf doppelte Weise.
Einerseits braucht er sie als Wählerinnen: Bei Frauen holen die Grünen meist mehr Stimmen, etwa bei der Europawahl. Dort wurden sie von 11 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen gewählt. Der Unterschied erscheint auf den ersten Blick gering, doch er könnte bei der Bundestagswahl das Zünglein an der Waage im Ringen um Platz drei hinter CDU und AfD sein. Derzeit sehen Umfragen die Grünen mit der SPD etwa gleichauf.
Die zweite Bedeutung der Frauen für Robert Habeck greift tiefer: Die Weiblichkeit soll dazu dienen, seinen Machthunger zu kaschieren. Konnte der Satz über die verpasste Kanzlerschaft („Nichts wollte ich mehr...“) 2021 noch als charmant verstanden werden, weil er damit zugleich zum Ausdruck brachte, einer Frau gegen sein inneres Streben den Vortritt gelassen zu haben, so kann er heute nicht mehr so unumwunden nach der Macht greifen. Ein mittelalter, weißer Mann, der sagt, dass er regieren will? Das kann man sich als Linker im Zeitalter der Wokeness nicht leisten.
Weil der Macht als solcher heute der Anschein der Illegitimität anhaftet, weil man als Mächtiger unter Linken eigentlich nur bestehen kann, wenn man zuvor mehrfachdiskriminiert wurde, speist sich die Macht der Linken stets aus einer behaupteten Position der Schwäche.
Die Grünen würden nie sagen: „Uns reicht es mit der ewigen Kritik an unserer Partei im Netz, wir verbieten den Bürgern einfach, ihre Meinung zu sagen, und jagen ihnen die Polizei auf den Hals.“ Obwohl die Grünen genau dies tun, verkaufen sie der Öffentlichkeit ihren Feldzug gegen die Meinungsfreiheit als Abwehrgefecht: Habeck betont regelmäßig, dass er X regulieren will, um die Meinungsfreiheit jener zu wiederherzustellen, die sich angeblich durch die vielen Beleidigungen eingeschüchtert fühlen. Der größte Feind der freien Rede inszeniert sich so als ihr Hüter.
Ähnlich ist es bei der Wirtschaft. Die Grünen sprechen nicht offen darüber, dass sie Deutschland deindustrialisieren wollen. Wer das behauptet, gilt sogar als Verschwörungstheoretiker. Stattdessen inszeniert sich die Partei so, als würde sie mit ihrer Politik das Leben und die Heimat von Abermillionen von Menschen vor der Klima-Apokalypse schützen. Die Zerstörung, die sie anrichten, verkaufen sie als Rettung.
Auch ihre zerstörerische Migrationspolitik stellen die Grünen gerne als humanes Projekt dar; ihre Indoktrination in Bildungseinrichtungen gilt der Partei als Schutz der Demokratie. Dieses Selbstverständnis lässt sich für jedes politische Feld durchdeklinieren: Die grüne Partei versteckt ihren aggressiven Machtanspruch auf die Freiheiten der Bürger hinter einem Notwehr-Narrativ. Und ist gerade deshalb so erfolgreich darin, das Land herunterzuwirtschaften.
Und hier kommen die Frauen ins Spiel: Sie sind nützlich, um radikale Vorhaben hinter der Fassade des Harmlosen zu verstecken. Sie sollen der Aggressivität der Grünen den Anstrich des Lieblichen verleihen.
Habeck im Selfie-Modus beim Parteitag. Zwei Männer schafften es auch aufs Bild!
Am Sonntagabend wurde Habeck von Caren Miosga nach dem Ampel-Aus befragt. Angela Merkel, so zitierte Miosga, habe das Scheitern der Koalition mit nur einem Wort kommentiert: Männer! Ob Habeck diese Einschätzung teile?
Sogleich kam Habeck wieder auf seine Lissabon-Reise mit den Gründerinnen zu sprechen. Da sei ihm aufgefallen, dass das Kommunikations-Verhalten zwischen Männern und Frauen anders sei. Die Gründerinnen hätten im Flugzeug von selbst „konstruktiv miteinander gesprochen“, ohne dass er sie einander habe vorstellen müssen: „Die waren schon voll im Gespräch drin.“ Ihm sei bewusst, dass männliches Gesprächsverhalten, wenn man nicht dagegen anarbeitet, bedeutet: ‚Ich weiß, wie es geht, und die Ellbogen gerade!‘ Und das ist bei Frauen manchmal anders.“ Er sage das als Mann. „Und das sage ich etwas verschämt als Mann.“
Wenn Habeck über Frauen spricht, mischt sich Verklemmtheit mit Macho-Gehabe. Er braucht die Frauen – aber nicht als Gesprächspartner, auch nicht für Haus- und Care-Arbeit, sondern um sich im Glanze ihrer vermeintlichen Lieblichkeit zu sonnen und sich so den Weg an die Spitze zu bahnen.
Dass er dabei Stereotype wiederaufleben lässt, die aus dem Drehbuch von Mad Men stammen könnten, scheint ihm nicht einmal aufzufallen: Die Frauen sind bei ihm Quasselstrippen, die Männer fahren selbstbewusst die Ellenbogen aus. Wenn Frauen nicht schwach sind, erinnern sie ihn an Männer, wie er auf dem Parteitag Mitte November gestand: „Ich arbeite so selbstverständlich mit all den Frauen, die wir in der ersten und zweiten und dritten Führungsriege dieser Partei haben, zusammen, dass ich es gar nicht merke, dass es Frauen sind.“ Beim ersten seiner Küchentisch-Gespräche, bei denen ihm Menschen im ganzen Land von ihren Sorgen berichten können, versprach er Kindergärtnerin Isabell: „Wenn du mich das nächste Mal im Fernsehen über Bildung und Erziehung reden hörst, dann warst du das.“ Ein Satz wie ein schmieriges Augenzwinkern.
Habeck am Küchentisch von Isabell.
Bei dieser Bundestagswahl spricht Habeck nicht mehr davon, dass er um jeden Preis Kanzler werden will. Auf dem Parteitag ließ er sich zum „Kandidaten für die Menschen in Deutschland“ küren. Die Kandidatur stellt er in Interviews nicht als Ergebnis seines Willens zur Macht dar, sondern als logische Folge der Realität. Habeck, der Machtpolitiker par excellence, präsentiert seine gebräunten Unterarme, aber versteckt seine Ellbogen lieber vor der Öffentlichkeit.
Lesen Sie auch: Von „Frauen gegen Merz“ bis US-Demokraten: Warum sind Linke so frauenfeindlich?