
Die Zahlen sind erstmal verblüffend: Erst mit durchschnittlich 23,9 Jahren zogen in Deutschland junge Menschen im vergangenen Jahr aus dem elterlichen Haushalt aus, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Junge Menschen leben in Deutschland länger im Elternhaus als sie es, statistisch gesehen, je taten. Warum eigentlich?
Eine Antwort: Wer kann sich schon eine eigene Wohnung leisten, wenn er noch studiert oder in der Ausbildung ist (die Mietpreise – besonders in den Städten – sind geradezu explodiert). War von den 25-jährigen Männern 2024 gut ein Drittel noch nicht aus dem Elternhaus ausgezogen, war es bei den Frauen im selben Alter gut ein Fünftel (22,4 Prozent).
Es ist der Einschnitt in das neue Leben als Erwachsener – weg von zuhause. Und zwar für immer. Was schön und warm und bequem war, ist nicht mehr. Und für die Eltern ist es ähnlich. Das Zimmer des Kindes ist plötzlich leer, vielleicht bleibt die Couch stehen. „Wenn du mal kommst, kannst du natürlich bei uns schlafen“. Meistens passiert es nicht.
Auszug aus dem Elternhaus.
Nach der Pubertät als Ablösungsphase sei Anfang zwanzig ein guter Zeitpunkt, ein eigenes Leben zu führen, sagt die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf. „Die jungen Erwachsenen müssen ihren Weg suchen und finden. Und das geht viel besser, wenn sie nicht mehr zuhause wohnen.“
Den Berufsstand der Psychologen in allen Ehren – das Bedürfnis, sein Elternhaus verlassen zu wollen, ist bei jedem Kind anders. Auch wenn die Statistik alles irgendwie verschmelzt. Bei einem kommt die Sehnsucht, Freiheit ohne Eltern erleben zu wollen, früh, manchmal sehr früh. Das Leben lässt sich nicht durchplanen. Zuerst bringst du dein Kind in die Grundschulklasse, du gibst ihm einen Kuss. Dann darfst du es bis an die Schultür bringen – flüchtiger Kuss erlaubt. Nach kurzer Zeit ist Kuss-Verbot in der Öffentlichkeit. Die Endphase kommt ab der 8. Klasse, ungefähr. Ich fuhr meine Söhne im Auto zur Schule. Aber am Schluss musste ich sie 100 Meter vor der Schule rauslassen – mit Papa gesehen zu werden, war ihnen peinlich.
So oder so ähnlich ist es, wenn die Kinder ausziehen. Aus Liebe wurde Fürsorglichkeit, dann Routine. Manchmal gehen die Kinder, weil sie der Partner antreibt. Dieser Liebe können Eltern nichts entgegensetzen – so soll es sein, und die meisten Väter und Mütter wissen es.
Kann man also die Frage beantworten, warum Kinder heute länger bei ihren Eltern bleiben als früher? Mein gesunder Menschenverstand sagt mir: Auch wenn es statistisch gesehen vielleicht so aussieht - die Kinder sind nicht anders geworden, die Umstände sind es: Wohnen ist fast unbezahlbar, Ausbildung dauert länger, vielleicht sind auch die Ansprüche höher als früher.
Sei's drum. Gelassen bleiben, die Zeit mit den Kindern genießen, solange es geht. Denn früher oder später sind sie weg. Und dann ist das Zimmer leer.