
Professor Dr. Claus Tully ist Soziologe und Jugendforscher. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie kommende Generationen ihr Leben gestalten sollten – und wo Gefahren lauern.
In der FAZ spricht er über die immer höher werdende Verschuldung bei Jugendlichen – und warum Onlinekauf gefährlich sein kann:
„Faktisch reicht die Jugend heutzutage oft bis zum 28. Lebensjahr, bis Menschen für sich und einen Partner oder eine Partnerin die finanzielle Verantwortung übernehmen können. Und diese Zeit ist geprägt von Konsum. Das beginnt bereits früh, wenn kleine Kinder sehen, was andere haben, und es dann auch haben wollen. Das verstärkt sich dann in der Jugend.“
„Jugendliche erleben Konsum als Mittel zur Selbstständigkeit. Hinzu kommt der hohe Stellenwert von Influencern und Influencerinnen. Viele bis zum 16. Lebensjahr nehmen Tipps aus den sozialen Medien als freundschaftlichen Rat auf. Ihnen ist nicht klar, dass es sich um Werbung handelt. Dreizehn- bis sechzehnjährige Mädchen kaufen beispielsweise in hohem Maße über Apps.“
„Die Entkoppelung von Kauf und Zahlung (viele Online-Shopping-Portale bieten an, Waren direkt zu bestellen, aber bis zu 30 Tagen später zu bezahlen) ist ein Anreiz, mehr zu kaufen, als der verfügbare Geldbeutel gerade hergibt. Das ist verlockend. Wenn man mal Frust hat, geht man ins Internet und kauft was. Das hat eine große Wirkung auf die Verschuldung.“
Kaufen und später bezahlen – Apps wie Paypal machen es möglich. Viele Jugendliche geraten so in die Schuldenfalle.
„Heute tragen Heranwachsende – anders als in Nachkriegsgenerationen bis in die Siebzigerjahre – nicht mehr mit ihrem Lehrgeld und eigenem Gehalt zum Haushaltseinkommen bei. Es ist üblich geworden, dass Eltern die nachwachsende Generation alimentieren. Die Ausbildung dauert heute länger, der Zeitpunkt, ab dem eigenes Geld verdient wird, ist aufgeschoben. Die Jugend dauert länger, und Jugendkultur stiftet den Rahmen dieser Lebensweise.“
„Heranwachsende wollen ihren eigenen Stil praktizieren und entziehen sich nach und nach dem Diktat der Eltern. Sie wollen zu einer Gruppe hinzugehören und gleichen sich auch durch Konsum an. Das allgegenwärtige Smartphone ist dabei das Einfallstor für Produktangebote, die die jungen Menschen zeitlich nahezu unbegrenzt erreichen.“
„Vor einigen Jahren war das Thema Geld in der Jugendforschung noch kaum ein Thema. Große Sensibilität für Geld ist vor allem in den letzten beiden Jahren gekommen. Bedingt durch Inflation, Pandemie und Krisen fragen sich Jugendliche, ob sie sich später noch alles genauso leisten können wie jetzt. Die Gesellschaft ist krisenhafter geworden. Und die Krise erreicht die Jugend.“
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