„In Rumänien haben die Eliten versagt”

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Rumänien steht im Rampenlicht der internationalen Medien. Eine historische Wahl stehe bevor, heißt es, eine Wahl, die entscheiden wird, ob Rumänien im westlichen Lager verbleibt, oder den Konflikt mit der EU sucht und die Nähe zu Putin.

Das dürfte so nicht stimmen, aber wie auch immer, gemessen an der Aufregung ist es im Land selbst ziemlich ruhig. Die beiden Kandidaten der Stichwahl am Sonntag, AUR-Chef George Simoin und der unabhängige, liberale Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan versuchen nicht, mit Wahlkampfveranstaltungen wirkungsmächtige Bilder zu erzeugen. Simion war im Endspurt nicht einmal im Land, sondern in Polen, Brüssel, Italien. Nicusor Dan setzte ganz aufs Fernsehen, mit zahlreichen Auftritten, in denen er sagen konnte, er hätte vor der Kamera ja lieber mit Simion debattiert, aber der wolle nicht. Immerhin, am 8. Mai lieferten sie sich einen dreistündigen Debatten-Marathon auf Euronews, den beide Seiten als Sieg für sich werteten. Simion, der im Westen als Putin-Versteher gilt, sagte dass „Putin selbstverständlich für seine Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden muss”. Dan, der in westlichen Medien als „gemäßigt” beschrieben wird, sagte, dass Netanjahu nicht besser wäre als Putin, er gehöre genau so verhaftet und vor Gericht gestellt. Simion widersprach vehement.

Es ist eine Analyse, die auch Sándor Tamás, der Vorsitzende des mehrheitlich ungarisch bevölkerten Komitats Covasna teilt. Und es ist das, was Simion den Wählern und in den Medien sagt.

Er sagt Dinge wie „Ich will Wohlstand für mein Land”. Rumänien, so sagt er, sei rein vom GDP her reicher als Griechenland oder Ungarn, aber „die Menschen hier merken nichts davon, sie spüren nicht, dass die EU-Mitgliedschaft ihnen genützt hat”. Er wolle nicht, dass „die Arbeit der Rumänen andere Länder reich macht”.

Geopolitisch will er „keine Nato-Soldaten in der Ukraine”. Er sei, wie die meisten Rumänen, „sozial konservativ und Christ”. Bloss weil man in die Kirche geht, für Heimat und Familie lebt, „ist man kein schlechter Mensch”, sagt er. Einheimische Journalisten geht er schon mal wütend an, nennt sie „mediale Killer”, die sich mit ihrer feindseligen Berichterstattung gegen ihn „klar gegen den Willen des Volkes stellen”. Das klingt – offen gesagt – ein wenig drohend.

Der Chef der national gesinnten Allianz für die Union der Rumänen (AUR) hat gute Chancen, am Sonntag zum Staatspräsidenten seines Landes gewählt zu werden. Sein Rivale Nicusor Dan, ein stockend und leise, aber wohlformuliert sprechender Mathematiker, erhielt in der Vorrunde 21 Prozent der Stimmen. 41 Prozent waren es für Simion.

Zur Begründung wurde angegeben, der „Einfluss einer ausländischen Macht” (gemeint war Russland) habe dazu geführt, dass das Wahlergebnis „nicht den wahren Wählerwillen” spiegele. Zwar wurde als Beleg auf Geheimdiensterkenntnisse verwiesen, die veröffentlichten Dokumente enthielten jedoch kaum belastbare Beweise. Der Bukarester Russlandforscher und Hochschullehrer Armand Gosu sagt dazu, er sehe „bis jetzt” keine Beweise für eine russische Einmischung, schon gar nicht Hinweise, die es rechtfertigt hätten, die Wahl zu stornieren.

Das scheint viele Rumänen erbost zu haben. Sie hatten den rechten Kandidaten Calin Georgescu mit 23 Prozent zum Sieger der dann stornierten Vorrunde gemacht. Als Georgescu wieder kandidieren wollte, wurde er vom Verfassungsgericht daran gehindert. Er stehe nicht auf dem Boden der Verfassungswerte. Warum, das wurde nur recht nebulös dargelegt. Nun will Simion, wenn er gewinnt, Georgescu zum Regierungschef machen.

Simion positioniert sich als euroskeptisch, aber als Reformer, er will keinen Ruxit, sondern eine weniger zentralisierte EU. Nicusor Dan sieht sich als Verfechter der aktuellen EU und pro-westlich. Beide verstehen sich als Rebellen wider das politische System Rumäniens, das bisher von den klassischen Volksparteien PDS (Sozialdemokraten) und PNL (Christdemokraten) dominiert wurde. Deren Kandidat, Crin Antonescu, schaffte es mit 20 Prozent der Stimmen in der ersten Runde jedoch nicht einmal in die Stichwahl.

Dan begann seine politische Karriere als Gründer der liberalen Anti-Korruptionspartei USR, aus der er jedoch ausgeschlossen wurde, als er er eine Politik der Öffnung gegenüber den etablierten Parteien empfahl. Neu an ihm ist, für rumänische Verhältnisse, seine Kompromisslosigkeit in Sachen Korruption – das unterscheidet ihn von den PNL und PSD, die historisch immer wieder in Korruptionsskandale verwickelt waren.

Es schadet seinen Aussichten auf einen Wahlerfolg. Die PDS unterstützt ihn ausdrücklich nicht. Die PNL hat sich hinter ihn gestellt, aber ihr unterlegener Präsidentschaftskandidat Antonescu tut das nicht. „Die Altparteien hassen Dan mehr als sie Simion fürchten”, meint Gombos. „Dan gefährdet ihr Geschäftsmodell. Simion, so denken sie, ist vielleicht korrumpierbar”.

Dan bezeichnet sich ansonsten als „wirtschaftlich konservativ” und tritt für eine aktive Unterstützung der Ukraine ein.

Die Wirtschaft scheint eine Simion-Präsidentschaft nicht zu schätzen: Auf seinen Sieg in der ersten Runde am 4. Mai rutschte der Wechselkurs des rumänischen Leu zum Euro von 4,9 auf 5,2. Nicht katastrophal, aber kein gutes Zeichen. Simion hat angedeutet, „strategische” Unternehmen unter staatliche Kontrolle bringen zu wollen. Experten gehen davon aus, dass auch die EU allergisch auf einen Simion-Sieg reagieren würde. Auch das kann wirtschaftliche Folgen haben, etwa wenn – wie einst im Falle Polens und immer noch im Falle Ungarns – EU-Mittel für das Land blockiert werden.

Mit der ungarischen Minderheit hat Simion Probleme: Die Ungarn werfen ihm unter anderem vor, ihre muttersprachlichen Schulen schließen zu wollen. Das sei eine Lüge, postete er am 14. Mai auf X, es gebe keine solchen Pläne.

Sollte er siegen, sind turbulente Zeiten zu erwarten. Sollte er verlieren, dann auch. Er behauptete bereits am Freitag, „massiver Wahlbetrug” sei geplant – wie er auch schon in der Vorrunde so etwas behauptet hatte.

Auf jeden Fall aber wird sich Rumänien durch diese Wahl ändern. Dan würde als Sieger versuchen, das korrupte Geschäftsmodell der Altparteien auslaufen lassen, aber außenpolitisch alles beim Alten belassen. Problem: Institutionell hat er vor allem in der Außenpolitik Machtbegugnisse, innenpolitisch kaum. Simion hingegen würde das Land außenpolitisch neu justieren, unabhängigere Positionen beziehen gegenüber EU und Nato. Das muss zu Konflikten führen, und darauf baut Dan: Auf die Angst, dass ein Sieg Simions das Land in eine Katastrophe führen könnte.

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