
Eine grundsätzliche Migrationswende, wie sie von Friedrich Merz nach dem Messermord von Aschaffenburg angekündigt wurde, wird es nicht geben. Das verhindert die Logik der „Brandmauer“, die die Union zu Kompromissen und Zugeständnissen gegenüber einer linken Partei, der SPD, zwingt, die sie mit der rechtskonservativen AfD nicht eingehen müsste. Statt die „illegale Migration zu beenden“, was eine lückenlose Kontrolle der Grenzen erfordern würde, schickt sich die links-schwarze Koalition folglich nur an, „die irreguläre Migration zu reduzieren“, wie es im am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag heißt.
Gleichwohl lohnt sich die Frage, ob unter einem CSU-geführten Innenministerium migrationspolitisch Dinge in Bewegung geraten könnten. NIUS zeigt die migrationspolitischen Spielräume, die mit dem Schlüsselressort des Innenministeriums einhergehen – das mit weitreichenden exekutiven Befugnissen einhergeht. Das Innenministerium ist Dienstherr der Bundespolizei, des Verfassungsschutzes und des Bundesamts für Migration (BAMF).
Nicht alles, was der Koalitionsvertrag zur Migrationspolitik vorsieht, ist weichgespült. Der Ton ist stellenweise schärfer, die Ansagen konkreter. Der Kampf gegen „Banden- und sogenannte Clankriminalität“ soll verschärft, Islamismus entschlossen bekämpft werden. Zurückweisungen an den Grenzen – auch bei Asylgesuchen – sollen künftig möglich sein. Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen sollen aufrechterhalten bleiben, und zwar so lange, „bis ein funktionierender Außengrenzschutz und eine vollständige Umsetzung der Dublin- und GEAS-Regelungen gewährleistet sind“. GEAS steht für „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“.
Ein altes Schild des Grenzschutzes erinnert, wofür die Bundesgrenzpolizei einst zuständig war.
Besonders deutlich wird der Text bei ausreisepflichtigen Straftätern und Gefährdern. Wer wegen schwerer Delikte verurteilt wird – insbesondere bei Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei Volksverhetzung, antisemitisch motivierten Taten oder Angriffen auf Vollstreckungsbeamte – soll künftig grundsätzlich ausgewiesen werden. Gleichzeitig wird der verpflichtende Rechtsbeistand vor Abschiebungen abgeschafft – ein Bruch mit der linken Ampel-Politik.
Auch beim Vollzug ist der Ton unmissverständlich: Die Bundespolizei soll künftig befugt sein, Ausreisegewahrsam oder vorübergehende Haft für ausreisepflichtige Personen zu beantragen. Die Kapazitäten für Abschiebehaft sollen „deutlich“ ausgebaut, ihre Anwendung „praxisnäher“ ausgestaltet werden. Die Zuständigkeit für Abschiebungen wird zentralisiert, eigene „Bundesausreisezentren“ sollen schnellere Verfahren ermöglichen. Auch Fluggesellschaften werden in die Pflicht genommen und zur Rückführung herangezogen. Bemerkenswert ist zudem die klare Ansage: Auch nach Afghanistan und Syrien will man wieder abschieben – zunächst Straftäter und Gefährder. Wird dieser Teil des Koalitionsvertrags tatsächlich umgesetzt, wäre das migrationspolitisch ein Einschnitt – und durchaus ein messbarer Fortschritt.
Warum ist das Innenministerium das Machtzentrum der Migrationspolitik? Kein Ressort in der Bundesregierung verfügt über vergleichbare Eingriffsmöglichkeiten in die Steuerung von Migration wie das Bundesinnenministerium, mit unmittelbarer Wirkung auf die tägliche Realität an Grenzen, in Behörden und Rückführungszentren. Gerade deshalb lohnt sich ein genauerer Blick darauf, was ein Innenminister, zumal unter CSU-Führung, faktisch bewegen kann – auch und gerade innerhalb einer Koalition, die in Migrationsfragen nicht einheitlich auftritt.
Das Innenministerium ist oberster Dienstherr der Bundespolizei. Es bestimmt, wo kontrolliert wird, mit welcher Intensität und auf welchen Strecken – etwa an Außengrenzen, Bahnhöfen oder Flughäfen. Das BMI ist befugt, befristete Grenzkontrollen anzuordnen oder zu verlängern, auch die entscheidend wichtigen Zurückweisungen an den Grenzen, etwa bei bereits in anderen EU-Staaten gestellten Asylanträgen, könnte es – der politische Wille dazu vorausgesetzt – durchsetzen. Ein CSU-Innenminister könnte dabei deutlich konsequenter auftreten als seine SPD-Vorgängerin. Innerhalb der Koalition mag das für Konflikte sorgen, doch rechtlich ist vieles machbar.
Wenig sichtbar, aber umso wirkungsvoller ist der Bereich der Rückführungen. Das Innenministerium verhandelt mit Herkunftsstaaten über Rücknahmeabkommen, organisiert Abschiebeflüge und plant Infrastruktur wie Abschiebezentren. Auch der Druck auf Länder, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen, läuft über dieses Haus. Das alles kann weitgehend ohne Zustimmung der Koalitionspartner geschehen. Die SPD mag sich daran stoßen – aber rechtlich blockieren kann sie diese Maßnahmen kaum.
Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist dem Ministerium unterstellt. Dort wird etwa die Linie für Asylentscheidungen festgelegt – inklusive der Frage, wie streng geprüft und wie konsequent abgelehnt oder abgeschoben wird. Dazu kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz, ebenfalls in der Verantwortung des BMI. Es kann – etwa bei bestimmten Vereinen oder Netzwerken – dem Inlandsgeheimdienst Beobachtungsschwerpunkte setzen und damit Einfluss auf die sicherheitspolitische Bewertung migrationsbezogener Problemgruppen nehmen. Hatte Nancy Faeser den Verfassungsschutz politisch instrumentalisiert und in den Dienst des linken „Kampf gegen Rechts“ gestellt, so könnte diesem Treiben unter der Schirmherrschaft der CSU ein Ende gesetzt werden.
Unter Faeser wurde der Verfassungsschutz vor allem ein politisches Instrument gegen „Rechtsextremismus“, das heißt: jegliche grundsätzliche Opposition in der Migration.
Wenig sichtbar, aber umso wirkungsvoller ist der Bereich der Rückführungen. Das Innenministerium verhandelt mit Herkunftsstaaten über Rücknahmeabkommen, organisiert Abschiebeflüge und plant Infrastruktur wie Abschiebezentren. Auch der Druck auf Länder, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen, läuft über dieses Ressort. Das alles kann weitgehend ohne Zustimmung der Koalitionspartner geschehen. Die SPD mag sich daran stoßen – aber rechtlich blockieren kann sie diese Maßnahmen kaum.
Dass das Innenministerium in CSU-Hand liegt, ist kein Novum. Bereits zwischen 2018 und 2021 führte Horst Seehofer das Ressort – mit großen Ankündigungen. 2016 sprach er von einer „Herrschaft des Unrechts“ an den deutschen Grenzen, ein Ausdruck, den er von Staatsrechtler Ulrich Vosgerau übernommen hatte – und der sich schnell zum Schlagwort konservativer Kritik an Angela Merkels Grenzpolitik entwickelte.
Doch die Wende blieb aus; Seehofer beugte sich dem Merkelismus, der politische Gestaltungswille wich dem Regierungsfrieden. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde er zur Karikatur seines Anspruchs, was ihm den Spitznamen „Drehhofer“ einbrachte. Das mit Seehofer verbundene Missverhältnis zwischen konservativer Ankündigung und tatsächlichem Handeln gemahnt zur Nüchternheit: Selbstverständlich garantiert ein CSU-Innenminister noch lange keine spürbare Verbesserung der Migrationspolitik – zu groß ist der Hang zum Koalitionsfrieden. Euphorischer Optimismus wäre also fehl am Platz. Und doch unterscheidet sich die heutige Konstellation grundlegend.
Merkel war das Zentrum einer Migrationsliberalität, die nach rechts hin kaum politischen Widerstand kannte, der ihr gefährlich werden konnte. Heute ist die AfD in Umfragen so stark wie die Union. Was innerhalb des Koalitionsvertrags migrationspolitisch möglich ist, muss die Union ohne Rücksicht auf linke Befindlichkeiten umsetzen, wenn sie gegenüber dem politischen Gegner nicht völlig ins Hintertreffen geraten will. Die rechtlichen Möglichkeiten hat sie in Form von entscheidender exekutiver Weisungsbefugnisse.
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