Innovationen retten Soldatenleben. Gilt auch für die Bundeswehr?

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Bildquelle: Tichys Einblick

Den Satz „Not macht erfinderisch“ gibt es seit Menschengedenken. Der Ukraine blieb gar keine andere Wahl als entweder die weiße Flagge zu hissen, oder alle verfügbaren Kräfte im Abwehrkampf zu bündeln. Reichhaltiges Wissen von Ingenieuren und Kenntnisse von ausgebildeten Facharbeitern war und ist in deren Luftfahrtindustrie, einst von Weltrang (Antonow), vorhanden.

Zeit und Ressourcen für die Entwicklung aufwendiger Waffensysteme gab es aber nicht, es mussten rasche und aufwandsarme Lösungen her. Unter dem gewaltigen Druck der russischen Invasion stellten sich in erstaunlich kurzer Zeit Fortschritte ein. Billige Baumarktdrohnen wurden in einem ersten Schritt mit Kameras für Aufklärungszwecke ausgerüstet. Der zweite Schritt mit abwerfbaren Handgranaten und Sprengstoffpaketen ließ nicht lange auf sich warten. Der Drohnenkrieg nahm eine stürmische Entwicklung. Inzwischen ist es auch für Fachleute schwierig geworden, nicht den Überblick zu verlieren.

Insgesamt ist festzustellen, dass sich der Ukrainekrieg zu einem Motor für Innovationen im Bereich der Waffentechnik wie auch verwandten Gebieten entwickelt hat. Um Elite-Kampfverbände der ukrainischen Armee (z. B. 3. Angriffsbrigade) haben sich mit staatlichen Mitteln geförderte Entwicklungsbiotope herausgebildet. Auch Startups kooperieren eng mit Industrie und Militär: Entwickler sind vor Ort, Neuerungen werden in der oft brutalen Wirklichkeit um die Ecke getestet, Rückmeldeschleifen funktionieren ohne Militärbürokratie. Ergebnisse inspirieren zur raschen Umsetzung von Innovationen in die Praxis auf dem Gefechtsfeld. Diese Entwicklungslabore mit quasi angeschlossenem Kampfeinsatz sorgen für Tempo und rasanten Fortschritt.

Aus einem unübersichtlichen Feld mit großen Entwicklungssprüngen einige prägnante Beispiele:

Die Bundeswehr befindet sich nicht im Krieg, Entwicklungsbiotope wie sie für die Ukraine beschrieben werden, sind nach Lage der Dinge nicht möglich. Immerhin hat Verteidigungsminister Pistorius eine „Task Force Drohne“ etabliert, die Mitte 2024 einen Maßnahmenkatalog mit rund 200 Vorschlägen vorgelegt hat. Dieser reicht von der Beschaffung von Kleinstdrohnen für Ausbildungs- und Übungszwecke bis zum Kauf kommerzieller Drohnen und moderner Abwehrsysteme. „Die derzeit konkret in Beschaffung gebrachten Klein- und Kleinstdrohnen werden nicht mit Wirkmitteln versehen“, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Da war sie gleich wieder, die politische Bremse der SPD hinsichtlich des Einsatzes bewaffneter Drohnen, die die Bundeswehr seit einer ganzen Dekade der weltweiten Entwicklung hinterher hinken lässt. Seit dem Frühjahr soll es nun endlich einen Kurswechsel im Verteidigungsministerium geben: Es sei geplant, noch in diesem Jahr Angriffsdrohnen zu beschaffen. Mal sehen, was daraus wird.

Ein kürzlich beschlossenes Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) soll grundlegende Erleichterungen im Beschaffungsprozess bringen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Zungenbrecher dazu führt, dass künftig zügige Entscheidungen getroffen und auch umgesetzt werden. Die findigen Bürokraten werden schon wieder Mittel und Wege finden, über ewig lange Mitzeichnungsgänge zu verwässern und die lange Bank noch länger werden zu lassen. Zudem hilft kein Beschleunigungsgesetz, wenn Themen wie bewaffnete Drohnen jahrelang tabuisiert werden.

Immerhin wurden auch in der Bundeswehr Initiativen ergriffen, um auf einen aktuellen Stand hinsichtlich der Gefahr durch moderne Drohnen wie auch deren Abwehr zu kommen. Die Prozesse sind langwierig und zäh, es ist aber einiges unterwegs. Seit 2017 gibt es ein „Cyber Innovation Hub der Bundeswehr“, eine Art Schnittstelle mit der Start-up-Szene. Auf dem früheren Fliegerhorst Erding wird seit einiger Zeit an einem Innovationszentrum der Bundeswehr gearbeitet. Rund um München existieren Stellen, die hier mitwirken sollen, wie die Bundeswehr-Universität, das Planungsamt und eben auch Drohnenhersteller wie die Firma Arx Robotics. Diese stellt selbstfahrende Kampfroboter her. Der Schwerpunkt soll dabei auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz, von Quantentechnologie und Drohnen liegen.

An industriellen Kenntnissen und Fertigkeiten mangelt es in Deutschland jedenfalls nicht: Die deutsche Wehrtechnik hat inzwischen einiges zu bieten. Im Windschatten des Ukraine-Konfliktes wurde beispielsweise Quantum Systems aufgebaut. Dieser Drohnenhersteller aus Gilching bei München hat nach eigenen Angaben von der Aufklärungsdrohne „Vector“ bereits mehrere hundert Exemplare – finanziert vom Bundesverteidigungsministerium – in die Ukraine geliefert. Seit Jahresbeginn 2025 laufen die ersten von 14 Aufklärungsdrohnen vom Typ „Falke“ der Bundeswehr zu. Es war höchste Zeit.

Das Münchner Unternehmen Helsing ist binnen vier Jahren zum ersten Unicorn (Start-up mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar) im Bereich Militär, Rüstung und Verteidigung aufgestiegen. Der KI-Verteidigungsspezialist gehört zu den Sternen am Drohnenhimmel. 10.000 seiner neu entwickelten Kampfdrohnen HX-2 erhält die Ukraine. Die Kosten übernimmt im Rahmen der sogenannten „Ertüchtigungsinitiative“ auch hier der deutsche Steuerzahler. Die Bundeswehr geht vorläufig leer aus. Einen Vertrag über die Lieferung von HX-2 an die deutschen Streitkräfte gibt es laut Auskunft des Unternehmens bislang nicht.

Dabei ändern Drohnen auf dem Schlachtfeld alles. Abgesehen von 600 unbemannten Fluggeräten unterschiedlichster Bauart zur Aufklärung gibt es in der Bundeswehr fünf flugzeuggroße Drohnen vom Typ Heron TP, die mit Raketen ausgerüstet werden können. Die Betonung liegt auf können. Die der NATO versprochenen drei Heeresdivisionen gibt es bisher nur in Ansätzen, eine nennenswerte Ausstattung mit Kampfdrohnen gleich gar nicht. Dabei werden nach Ansicht des Quantum-Geschäftsführers Sven Kruck bis 2030 unbemannte Systeme „mindestens 40 Prozent der Streitkräftestruktur Deutschlands, Europas und auch der NATO ausmachen“.

Hingegen plant Deutschland, Kampfpanzer, Schützenpanzer und Artilleriesysteme zu Tausenden zu beschaffen: wenn diese Absichten mal nicht Plänen von gestern gehorchen. Die herkömmlichen Systeme kennt man schließlich, den Mut zu hohen Investitionen in modernste Drohnentechnik gibt es so nicht. Wobei hier nicht leere Depots aufgefüllt werden dürfen, sondern kurzfristige Produktionsmöglichkeiten aus dem Stand gefordert sind, um nicht auf überholtes Zeugs im Fall des Falles zurückgreifen zu müssen.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Drohnen auch im zivilen Sektor unaufhaltsam unterwegs sind. Erkennbar ist das an den beinahe täglichen Meldungen, dass Kasernen wie auch Kritische Infrastruktur mit unbekannten Drohnen ausgespäht werden. Hier streitet sich das politische System darüber, wer für deren Abwehr im Frieden zuständig ist. Die Polizei kann es nicht, weil sie nicht dafür ausgestattet ist. Die Bundeswehr dürfte es nicht, auch wenn sie dafür ausgebildet und ausgerüstet wäre. Willkommen im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland.

Der Drohnenkrieg im Ukraine-Konflikt treibt eine explosive technologische und taktische Evolution mit Macht voran: Billige FPV-Systeme, Lungermunition, elektronische Kriegführung, Thermit- und Unterwasser-Drohnen – die Ukraine fungiert als Innovationsmotor.

Das BMVg wie auch die Bundeswehr reagieren – mit bürokratischer Gründlichkeit. Zwar existieren Arbeitsgruppen, Pilot- und Beschaffungsprojekte, doch fehlt es an Masse, schnellem Zugang und damit an operativen Erfahrungen. Industrieinitiativen zeigen Wege auf, die Lehren aus der Ukraine scheinen dort zu wirken.

Kernfragen bleiben, ob die politischen Entscheidungsträger sich der Brisanz der Lage bewusst sind? Nicht zuletzt, ob die Militärstrategen die Forderungen an unbemannte Systeme mit den notwendigen Stückzahlen fixieren und Einsatzmöglichkeiten aufzeigen können? Wurden die Lektionen aus dem Ukrainekrieg gelernt – bevor technologische Bedrohungen das militärische Gleichgewicht nachhaltig verschieben?

Unsere politischen Instanzen sollten sich dessen bewusst sein, dass Armenien den Kaukasuskrieg ob seiner technologischen Rückständigkeit verloren hat. Der ständigen Bedrohung aus der Luft durch Kleinstdrohnen und Lungermunition hatte die armenische Armee wenig entgegenzusetzen. Die ständige Angst der Soldaten um ihr Leben wurde zum kriegsentscheidenden Faktor. Es ist höchste Zeit für konsequente Entscheidungen. Einem Angriff mit Drohnenschwärmen hätten die Europäer wenig entgegenzusetzen. Mit viel Geld allein und falscher Rüstung ist nicht mal eine Schlacht zu gewinnen.

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