
Am heutigen Montag erscheint ein Buch, das im Vorfeld für Nervosität bei der ARD sorgte: In inside Tagesschau: Zwischen Nachrichten und Meinungsmache berichtet der frühere Tagesschau-Redakteur Alexander Teske aus der Herzkammer seiner ehemaligen Redaktion. Die Tagesschau gilt noch immer als Deutschlands mächtigstes Nachrichtenformat, dessen politische Linie Einfluss auf die gesamte Bundesrepublik hat. Teske beschreibt in seinem Buch, wie der Apparat funktioniert und mit welchen Verrücktheiten er in seiner mehrjährigen Arbeit konfrontiert war.
Fast zehn Millionen Deutsche sitzen täglich um 20 Uhr vor dem Fernseher. Der Gong erklingt und dann beginnt sie: die Tagesschau. Deutschlands älteste und nach wie vor führende Nachrichtensendung. In den Jahren 2020 und 2021 waren es sogar unglaubliche 11,5 Millionen Zuschauer. Was die Tagesschau sendet, das sickert in die Köpfe von über einem Zehntel der deutschen Bevölkerung. Damit gehören die Journalisten, die über ihre Inhalte entscheiden, zu den mächtigsten Menschen in Deutschland. Sie bestimmen, was in Deutschland als Faktenlage gilt. Über das redaktionelle Innenleben des ARD-Formats weiß man bislang jedoch kaum etwas. Das ändert sich nun.
Früherer Tagesschau-Redakteur und Buchautor Alexander Teske
Der ehemalige Tagesschau-Redakteur Alexander Teske erzählt aus dem Nähkästchen, was im Hintergrund der Sendung – mitunter ließe sich auch sagen: hinter der Fassade – vor sich geht. In den Reihen der ARD war die Aufregung vor der Buchveröffentlichung dementsprechend groß: Der Journalist Patrick Gensing, der jahrelang als „Faktenfinder“ für die Tagesschau arbeitete, versuchte im Vorfeld auf X die Veröffentlichung in ein schlechtes Licht zu rücken, indem er seinem ehemaligen Kollegen „unkollegiales“ Verhalten und niedere Motive vorwarf. Wovon Gensing versuchte abzulenken: Es besteht ein immenses öffentliches Interesse daran, Licht ins Dunkel der politisch einflussreichsten deutschen Nachrichtensendung zu bringen, die die Bürger zudem finanzieren müssen, ob sie wollen oder nicht.
Die womöglich wichtigste Neuigkeit: Über die täglichen Inhalte der Tagesschau entscheiden Journalisten, deren Namen unbekannt sind und von der ARD nicht prominent veröffentlicht werden. Es handelt sich demnach nicht um die Chefredakteure, die sich nur „in Einzelfällen“ bestimmte „Themen oder eine andere Reihenfolge der Themen in der Sendung“ wünschen, so Teske. „Auf die Inhalte der Tagesschau haben sie aber weniger Einfluss als die Chefs vom Dienst“, die sogenannten CvDs. Im Journalismus bezeichnet man damit jene Redakteure, die im Hintergrund die redaktionellen Abläufe organisieren, in ihren Dienstschichten etwa auf plötzliche Nachrichtenlagen reagieren oder Überschriften anpassen und bestimmen.
Im Gegensatz zu diesen sogenannten CvDs, so Teske, vertiefen sich die Chefredakteure gerade „nicht in die Feinheiten der Formulierungen und Überschriften oder wählen einzelne Interviewpartner aus – also die Dinge, die oft in der Öffentlichkeit kritisiert werden.“ Vielmehr haben hier „die Chefs vom Dienst das Sagen – und zu 90 Prozent auch bei der Themenauswahl.“ Teske charakterisiert diese anonym bleibenden Leitredakteure folgendermaßen: „Die Chefs vom Dienst eint: Sie sind meinungsstark und haben ihre persönlichen Vorlieben. Dies widerspricht dem Selbstbild der Tagesschau vom neutralen, objektiven Beobachter der Nachrichtenwelt. Sehe ich die Sendung abends als Zuschauer auf dem Sofa, kann ich oft sehen, wer gerade den Hut aufhat.“
Tagesschau blickt aktivistisch auf die vermeintliche Correctiv-Enthüllung zurück, die man laut einem Berliner Gericht sogar eine „dreckige Lüge“ nennen darf. Der gesamten Rechtsstreit und die damit verbundenen Niederlagen für den ARD&ZDF sowie Correctiv werden verschwiegen.
Über den „typischen Chef vom Dienst“ heißt es weiter, er sei unbefristet angestellt, in der höchsten Vergütungsgruppe 1, Stufe 6, mit einem Bruttogehalt von 11.434 Euro, wobei außertariflich höhere Gehälter möglich seien: „Ein Einser zu sein, bedeutet nicht nur, gut entlohnt zu werden und eine Machtposition zu bekleiden, es verleiht Unabhängigkeit. Denn de facto sind sie unkündbar.“ Das mache sie so selbstbewusst, dass sie sich bisweilen selbst inhaltlichen Wünschen aus der Chefredaktion widersetzen. „Aber der Chefredakteur hat es sich doch gewünscht?“, schildert Teske eine entsprechende Situation: „Das ist mir scheißegal“, erinnert er sich an die Antwort des CvD.
Ein Vorwurf, den sich die Tagesschau immer wieder anhören muss, ist jener der linksgrünen Einseitigkeit und Voreingenommenheit. Dass Entscheider der Tagesschau-Inhalte allerdings auf linksextreme Demonstrationen gehen, dürften wohl selbst hartgesottene ARD-Kritiker nicht erwartet haben. Was Teske zur politischen Ausrichtung der Chefs vom Dienst, übertrifft linke Klischees – wobei routinemäßige Taz-Lektüre wiederum nicht überraschend sind:
„Die Chefs vom Dienst verorten sich wie viele Journalisten politisch eher links der Mitte. Im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung. Ein Chef vom Dienst studiert täglich in der 14-Uhr-Konferenz ausführlich die taz. Ein anderer hat früher Artikel für die taz geschrieben. Sein Hintergrundbild in Onlinebesprechungen: Ein Plakat, auf dem groß ‚Seid bereit!‘ steht. Drei gemalte chinesische Kommunisten sind zu sehen. Einer hält ein Buch hoch: ‚Blockadefibel, Band 2. Beton, Stahl, Holz‘. Unterzeile: ‚Vorwärts zum VI. Castor-Transport nach Gorleben.‘ Wer bei Demonstrationen der autonomen Szene auf der Hamburger Schanze unterwegs ist, trifft dort auch Redakteure der Tagesschau – als Teilnehmer.“
Demo vor dem Autonomen-Treffpunkt der „Roten Flora“ im Schanzenviertel, 30.04.2024.
Pikant wird es bei einem Thema, das die ARD in der Vergangenheit selbst lautstark bespielte – als Ankläger: Machtmissbrauch. Teske berichtete nun, dass auch in der Tagesschau vorkommt. Es geht hierbei um Frauen, die von jüngeren männlichen Kollegen die Finger nicht lassen können, wie Teske anhand folgender Begebenheit schildert.
„Wir sind auf dem Rückweg von der Kantine. L. ist wieder mal gut drauf. ‚Wir haben ja einen neuen Kollegen im Hauptstadtstudio, von dem sich niemand so richtig den Namen merken kann. Ich habe jetzt eine Idee, wie wir uns den ein für alle Mal merken können.‘ ‚Wie denn?‘ ‚Na so: Po-Krake!‘. Dabei fasst L. dem Kollegen N. ans Hinterteil und greift zu. Dann lacht sie. N. ist in Schockstarre. Dann lacht er höflich mit. Weil L. den Witz so gut findet, wiederholt sie ihn noch einmal in der Redaktion. Ich bin schockiert und denke: Was, wenn ein Mann das bei einer Frau getan hätte?“
In einer Mitarbeiterbefragung des NDR, der als Klimabericht NDR im März 2023 erschien, werden diese Vorkommnisse thematisiert. Darin wird aus anonymen Gesprächen zitiert: „Es gibt Machtmissbrauch von älteren Kolleg*innen. Hier passieren leider schlimme Dinge, bis hin zum Mobbing. Wir haben Kolleg*innen, die deshalb den Sender verlassen haben, über die immer noch schlecht geredet wird.“ Offen bleibt, ob sich damit der Autor möglicherweise selbst zitiert, schließlich berichtete er kurz zuvor, dass er der NDR-Befragung seinerzeit den Po-Kniff als Übergriff berichtete. Die dafür verantwortliche Dame habe sich so verteidigt: „Also, wenn ich nicht mal mehr das machen darf, ist das hier nicht mehr meine Redaktion.“
Was manche Menschen möglicherweise als relativ harmlos einstufen würden, geschehe dem Autor zufolge in einer Atmosphäre, die er als „Klima der Angst im Großraumbüro“ beschreibt. Ein anonymer Mitarbeiter beklagt: „Wir haben tatsächlich ein Klima der Angst bei der Tagesschau, der Angst vor Fehlern. Das ist der große weiße Elefant, der während jeder Sendung in der Mitte unseres schönen Newsrooms steht.“
Die Redaktion, so Teske, sei „zweigeteilt – in Alt-Redakteure, die bereits 20 oder 30 Jahre bei der Tagesschau auf dem Buckel haben, und in die Neuen. ... Die alten Hasen halten sich für etwas Besseres und grüßen kaum, die jungen Hüpfer sind schüchtern und unsicher.“ Der Autor resümiert: „Die Tagesschau berichtet gern über Missstände in anderen Unternehmen und Organisationen. Eine Recherche der investigativen Redaktionen in eigener Sache würde sich lohnen.“
Die Nervosität im Umfeld der Tagesschau ist verständlich: Alexander Teskes Buch dürfte von Kritikern des öffentlichen Rundfunks als schwere Anklage aufgefasst werden, die die Hauptvorwürfe gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestätigt. Linke Ideologen haben die Tagesschau gekapert und zwingen ihren aktivistischen Blick auf die Welt der gesamten Republik als objektive Nachrichtenlage auf.
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