Integrationsprogramm kostet jährlich 1,8 Millionen Euro: Wurden erfolgreiche Arbeitsvermittlungen nur erfunden?

vor etwa 8 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Ein jährlich 1,8 Millionen Euro teures Förderprogramm in Baden-Württemberg soll Flüchtlinge in Ausbildungen vermitteln. Ein Insider spricht von Betrug und falschen Erfolgsmeldungen. NIUS hakte beim verantwortlichen Ministerium nach.

Seit 2016 versucht das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg, junge Asylbewerber vermehrt in Ausbildungen zu vermitteln. Dafür setzte die Behörde ein eigenes Programm mit dem Namen „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Zugewanderte“ auf. Von 2016 bis 2025 seien durchschnittlich „1,77 Millionen Euro pro Jahr“ an Fördermitteln bereitgestellt worden, teilt das Ministerium auf Anfrage von NIUS mit.

Damit wurde und wird die Arbeit von rund 50 „Kümmerern“ finanziert. „Diese vermitteln geeignete Zugewanderte passgenau in Praktikum, Einstiegsqualifizierung und Ausbildung und begleiten sie während der ersten sechs Monate in Ausbildung“, heißt es in der Vorstellung des Programms. „Unsere Kümmerer helfen, den Fachkräftenachwuchs zu sichern und junge zugewanderte Menschen gesellschaftlich zu integrieren“, erklärt die verantwortliche Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg, Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). „Sie haben dazu beigetragen, dass es Baden-Württemberg gelungen ist, viele der seit 2015 zu uns Geflüchteten in Ausbildung zu vermitteln.“

Eingeplant sind Personalkosten für einen „Kümmerer“ bis „max. 62.000 Euro pro Vollzeitstelle / Jahr mit einem Anteil von 70 Prozent“. Die „Kümmerer“ benötigen für eine Anstellung „pädagogische Qualifikationen“ oder berufliche Erfahrung, zum Beispiel in der Arbeitsvermittlung. Meist geht es um Sozialarbeiter, die etwa bei Bildungsträgern oder kommunalen Trägern tätig sind.

NIUS konnte mit einer Person sprechen, die jahrelang als „Kümmerer“ in Baden-Württemberg gearbeitet hat, aufgrund ihrer Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung jedoch anonym bleiben will. Die Quelle spricht von „Halbwahrheiten, Lügen und gnadenlosem Betrug“, was die Erfolgsmeldungen des Programms angeht. Tatsächlich beginnt das Problem schon bei der Frage, wie lange die Migranten betreut werden.

Denn die Asylbewerber werden nur die ersten sechs Monate nach Beginn der Ausbildung begleitet. Niemand weiß also, ob sie ihre Ausbildung überhaupt abgeschlossen haben, in die sie vermittelt werden. Auf eine entsprechende Nachfrage reagiert das Ministerium ausweichend: „Das Programm bietet eine intensive Begleitung und Unterstützung während der ersten sechs Monate nach Beginn der Ausbildung. Bei weiterem Betreuungsbedarf sorgen die Kümmerinnen und Kümmerer dafür, dass anderweitig eine weitergehende Betreuung des Auszubildenden sichergestellt werden kann.“ Man schiebt das Problem also auf die „Kümmerer“ ab.

Laut offiziellem Monitoring haben von 2016 bis September 2024 insgesamt 4.602 Asylbewerber (47 Prozent aller Teilnehmer des Programms) erfolgreich eine Ausbildung begonnen. Doch das Ministerium kann auf Nachfrage nicht beantworten, wie viele dieser Personen ihre Ausbildung auch abgeschlossen haben.

Noch brisanter aber: Aufgrund von Datenschutzbestimmungen darf im Monitoring weder der Name des Klienten auftauchen noch die Firma angegeben werden, an die die Person vermittelt wurde. „Ich als ‚Kümmerer‘ konnte einfach irgendwelche Fälle (Geflüchtete und Ausbildungsfirmen) erfinden und dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg diese erfundenen Fälle über das Monitoring als meinen Erfolg durchgeben“, erzählt unsere Quelle. „Dies wurde von niemandem geprüft. Nicht mal von meinem direkten Vorgesetzten, denn mein ‚Erfolg‘ war ja auch sein Erfolg.“

Der syrische Auszubildende Mohammed Shaine A. (li.) schwenkt am 14. Oktober 2016 in der Küche des Restaurants „Scharfes Eck“ in Mühlacker (Baden-Württemberg) Bratkartoffeln in einer Pfanne, während Küchenchefin Karin Frommherz (2.v.li.), „Kümmerer“ Jürgen Fix (3.v.li.) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (r.) das Geschehen beobachten.

Der ehemalige „Kümmerer“ spricht gegenüber NIUS von drei Vorgehensweisen, die ihm bekannt sind:

1. Die Vermittlungen waren real

Der Klient sei in diesen Fällen maximal sechs Monate nach Antritt der Ausbildung noch betreut worden. Ob er die Zwischenprüfung oder gar die Abschlussprüfung bestand, habe niemanden interessiert. „Da wurden zum Teil Klienten mit niedrigen Sprachniveaus (A2, B1) in Ausbildungen vermittelt, wo von vornherein klar war, dass er weder die Zwischenprüfung und erst recht nicht die Abschlussprüfung bestehen wird.“

2. Die Vermittlungen wurden geteilt

Jede Institution in Baden-Württemberg habe ein Stück vom Integrationskuchen gewollt. „Auf einmal hatten mehrere Institutionen einen Integrationsbeauftragten, zum Beispiel die Stadt, das Landratsamt, das Jobcenter, die AWO, die IHK, die HWK usw.“ Die Akteure seien bestens untereinander vernetzt. Der ehemalige „Kümmerer“ berichtet: „Es wurden nicht nur die Getränke geteilt, sondern auch die Fälle. So tauchte Flüchtling X in den Erfolgsbilanzen in den jeweiligen Statistiken der verschiedenen Institutionen auf.“ Durch den Datenschutz habe niemand die Meldungen verifizieren können, selbst wenn man Verdacht geschöpft hätte.

3. Die Vermittlungen wurden erfunden

Personen und Ausbildungsfirmen seien sich ausgedacht worden. „Es wurde einfach ein gefakter Fall angelegt und ins Monitoring eingetragen“, berichtet der „Kümmerer“. Aufgrund des Datenschutzes hätte das nicht ausreichend geprüft werden können.

Doch geht das tatsächlich so einfach? Auf die Nachfrage beim Ministerium, ob im Monitoring des Programms aufgrund des Datenschutzes tatsächlich weder der Name des Klienten noch die Anschrift oder die Firma, an die die Person vermittelt wurde, verzeichnet werden, lautet die klare Aussage der Pressestelle: „Die Einschätzung ist zutreffend.“ Was der „Kümmerer“ gegenüber NIUS berichtet, trifft also zu.

NIUS wollte deshalb wissen, ob man ausschließen kann, dass „Kümmerer“ Fälle erfunden haben. Und ob dem Ministerium Fälle bekannt geworden sind, in denen „Kümmerer“ falsche Daten eingetragen haben? Gänzlich ausschließen will man dies im Ministerium offenbar nicht: „Uns sind keine derartigen Fälle bekannt“, teilt eine Sprecherin mit. Eine Betrugsmöglichkeit will man jedoch nicht erkennen: „Hinter den aus Datenschutzgründen verschlüsselten persönlichen IDs der Teilnehmenden, die wir im Rahmen des Verwendungsnachweises und Monitorings erhalten, sind persönliche Daten hinterlegt, die sich auch vor Ort nachprüfen lassen.“

Der Insider hält die Antwort für vorgeschoben: „Das Wirtschaftsministerium müsste sich von den Ausbildungsfirmen bestätigen lassen, dass der Flüchtling (mit Name, Geburtsdatum und Meldeadresse) dort wirklich eine Ausbildung angetreten hat. Und dann wäre es natürlich sehr interessant, ob er überhaupt die Probezeit, Zwischen- und vor allem die Abschlussprüfung bestanden hat. Das tun sie aber eben aus Datenschutzgründen nicht. Und somit ist dem Betrug locker Tür und Tor geöffnet.“

Das Wirtschaftsministerium geht dennoch von einem vollen Erfolg aus. Deshalb soll das Programm bis mindestens 2026 fortgeführt werden. Gefördert werden in diesem und nächstem Jahr „43,5 Kümmerer-Vollzeitstellen bei 23 Kammern, Bildungsträgern und Landkreisen“ mit rund vier Millionen Euro. „Damit ermöglichen wir, dass auch künftig zugewanderte Menschen auf dem Weg in eine Berufsausbildung sehr gut unterstützt werden“, freut sich CDU-Ministerin Hoffmeister-Kraut.

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