
Seit 25 Jahren arbeitet Christopher Prinz für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er ist Experte für die Beziehungen zwischen den Themen Gesundheit und Arbeitsmarkt.
In einem Interview mit der Welt erklärt er, warum in Deutschland der Krankenstand sehr hoch ist. Tatsächlich war jeder erwerbstätige Versicherte bei der Techniker Krankenkasse, der größten deutschen Kasse, im ersten Halbjahr statistisch 9,5 Tage krankgeschrieben – Hauptursache Erkältungskrankheiten.
Christopher Prinz über ...
„In Deutschland ist die Krankenstandsquote traditionell im internationalen Vergleich sehr hoch. Während der Pandemie ist sie stark zurückgegangen und steigt seitdem wieder. Und der Trend geht tatsächlich dahin, dass die Zahl der Krankenstände eher zu- als abnimmt.“
„Vergleicht man alle OECD-Staaten, liegt Deutschland auf Rang sieben, weist also weltweit einen der höchsten Krankenstände aus. Besonders hoch ist die Anzahl der Krankenstände aber in den skandinavischen Ländern. Das hängt auch mit der Arbeitsmentalität zusammen. So gibt es in Skandinavien etwa weniger langjährige Teilzeitarbeit nach der Geburt eines Kindes, was auch mit den guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten zusammenhängt. Gleichzeitig gilt Krankenstand in diesen Ländern als unantastbar. Wochenlange Arbeitsausfälle werden oft unhinterfragt hingenommen und die Sozialversicherungen zahlen das Gehalt bei Krankheit bis zu einem Jahr fort. Genau dieses Modell führt aber in eine Spirale immer längerer Krankenstände.“
Husten, Fieber, Schüttelfrost: Bei diesen Symptomen sollte man das Büro meiden.
„Ich kenne keine Studie, die zeigen würde, dass die telefonische Krankschreibung ursächlich für vermehrten Krankenstand ist. Eine Abschaffung dieser Möglichkeit würde eher zu einer zusätzlichen Verstopfung der Praxen führen, Krankenstände aber kaum reduzieren. Wo wir ansetzen sollten, ist die Rolle des Arztes. Der Hausarzt ist der Gatekeeper. Er allein entscheidet im Moment, wie lange jemand krankgemeldet ist. In Österreich haben Arbeitnehmer etwa oft schon nach zwei Wochen einen Kontrolltermin bei einem Versicherungsarzt und damit den Blick eines zweiten Arztes.“
„Es geht nicht darum, kranken Arbeitnehmern zu misstrauen, sondern um ein besseres Verständnis der Krankheit und den Bedürfnissen des Kranken. Wenn ein Hausarzt einen Arbeitnehmer wohlmeinend krankschreibt, wenn der sich in seinem Beruf nicht wohlfühlt, ist das zwar menschlich nachvollziehbar. Aber es ist nicht unbedingt das geeignete Instrument für diesen Menschen. Besser wäre ein klärendes Gespräch darüber, ob der Job überhaupt passend ist oder ob es nicht mehr Sinn macht, einen neuen Job zu suchen, anstatt der Arbeit weiter nachzugehen, bis psychische Probleme auftreten. Wären Krankenkassen und Jobcenter verzahnt, könnte Menschen passgenau geholfen werden.“
Das wäre sicher ein Ansatz, um die Zahl der Krankschreibungen zu minimieren. Das Statistische Bundesamt meldet: Im Jahr 2023 war jeder Arbeitnehmer in Deutschland 15,1 Tage krankgeschrieben – so viel wie nie zuvor. Gegenüber 2021 ist das ein Anstieg von vier Krankheitstagen.