
Ihr könnt wählen, was ihr wollt, und uns abstrafen, aber wir machen einfach weiter so. So könnte die Botschaft nach der Kommunalwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen für die Altparteien lauten. Dabei hat sich die Alternative für Deutschland fast verdreifacht, und die im Bund regierenden Parteien CDU und SPD haben in NRW ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit 1946 vom Wähler serviert bekommen. Auch die FDP sank so tief wie noch nie in der Wählergunst. Wenn Sie Nachrichten hören, sehen oder lesen hat jedoch die CDU die Wahl gewonnen und eine blaue Welle nicht stattgefunden. Obendrein schrumpft das Zentralorgan der SPD in seiner Herzkammer NRW.
Doch die etablierten oder sogenannten demokratischen Parteien wollen nach der nächsten Wahlschlappe erneut einfach weiterwursteln, als sei nichts passiert. Hauptsache die undemokratische Brandmauer bleibt selbst im 35. Jahr der deutschen Einheit bestehen, egal wie groß die Probleme bei Wirtschaft, Energie, Migration und innerer Sicherheit sind.
Die anhaltende Spaltung der deutschen Gesellschaft wird aufrechterhalten. Auch diese Botschaft geht nach der Wahl von Deutschlands größtem Bundesland aus, indem einst das sozialdemokratische Motto galt: „Versöhnen statt Spalten!“
Anlass genug, dass Tichys Einblick den erfahrenen früheren FDP-Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag, Gerhard Papke, zu den Zuständen in seinem Heimatland, im Bund und in der FDP exklusiv befragte. Der promovierte Politikwissenschaftler gehörte von 2000 bis 2017 dem nordrhein-westfälischen Landtag als Abgeordneter, Fraktionschef und Landtagsvizepräsident für die Liberalen an.
Tichys Einblick: Die Union habe die Kommunalwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen gewonnen, verbreiten die Medien. Dagegen hatten CDU und SPD schon 2020 zusammen 10,3 Prozent verloren und 2025 etwas mehr als minus drei Prozent. Wie nehmen Sie das Wahlergebnis wahr?
Gerhard Papke: CDU und SPD haben ihr jeweils schlechtestes Ergebnis aller Kommunalwahlen in NRW seit der ersten Wahl 1946 erzielt, übrigens auch die FDP. Die Wahrheit ist: Die Dominanz der etablierten Parteien in Deutschland schwindet weiter. Selbst bei Kommunalwahlen schlägt der bundespolitische Trend voll durch. Der Unmut vieler Bürger über die linksgrüne Politik in Berlin unter Führung eines CDU-Bundeskanzlers ist auch in Nordrhein-Westfalen mit Händen zu greifen. Und die Menschen spüren natürlich die Folgen der unkontrollierten Massenmigration in ihren eigenen Städten und Gemeinden. Wenn sich die Frau und ihre Tochter im Dunkeln nicht mehr auf die Straße trauen und die eigene Stadt immer mehr verkommt, hat auch der treueste SPD-Wähler in Gelsenkirchen irgendwann die Schnauze voll.
WDR-Experten und auch Politiker behaupten am Wahlabend, in NRW habe es „keine blaue Welle“ gegeben. Dabei hat sich die Alternative für Deutschland fast verdreifacht. Leiden Politik und Medien an einer akuten Wahrnehmungsstörung?
Solange die etablierten Parteien die offensichtlichen Probleme nicht lösen, sondern selbst immer weiter verschlimmern, wird der Aufstieg der AfD unaufhaltsam weitergehen, von Wahl zu Wahl. Dazu gehört, dass weite Teile von Politik und Medien durch eine ideologische Brille schauen und meinen, wenn sie die Probleme wie Massenmigration, innere Sicherheit, hohe Energiekosten, immer höhere Steuern und Sozialabgaben, um ausländische Bürgergeld-Empfänger zu finanzieren, verschweigen oder schönreden, können sie die Leute einlullen. Die Mainstream-Medien versuchen, die Menschen zu manipulieren. Aber das funktioniert nicht mehr.
Die FDP ist in einer ihrer Hochburgen unterm Fünf-Prozent-Hürden-Radar verschwunden. Es ist, wie Sie sagen, das historisch schlechteste Ergebnis in NRW bei Kommunalwahlen …
… das Wahlergebnis ist tatsächlich für die FDP noch viel verheerender, als es die kümmerlichen 3,7 Prozent im bevölkerungsreichsten Bundesland vermitteln. Denn die Partei verliert nicht nur viele Ratsmandate, sondern häufig auch den wichtigen Fraktions- oder Gruppenstatus, der für eine wahrnehmbare Rolle in den Kommunen unverzichtbar ist.
In der früheren Bundeshauptstadt Bonn, der Heimat von Guido Westerwelle, hat es jetzt nur noch zu zwei kümmerlichen Ratsmandaten gereicht. In meiner eigenen Heimatstadt Königswinter, ebenfalls eine traditionelle Hochburg der FDP im Rheinland, sitzt künftig für die FDP nur noch ein Einzelkämpfer im Stadtrat.
Können die Freidemokraten einfach als linksliberales Beiboot von SPD, Grünen und CDU weitermachen, so wie sie Ex-FDP-Chef Christian Lindner und sein früherer Chefideologe Marco Buschmann ausgerichtet hat?
Ohne radikalen Kurswechsel zurück zu ihren bürgerlich-freiheitlichen Wurzeln ist der endgültige Untergang der FDP zwangsläufig. Auch die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, dass die Partei auf allen Ebenen im Todeskampf liegt. Die Wähler haben es ihr nicht verziehen, der verheerenden Politik der Grünen in der Ampel-Regierung zur Mehrheit verholfen zu haben. Wie kann eine liberale Partei auch den Menschen vorschreiben, welche Heizung sie einbauen sollen? Und das schreckliche „Selbstbestimmungsgesetz“, das Buschmann als Justizminister verantwortet hat, war ein ideologischer Anschlag auf die menschliche Vernunft und eine wissensbasierte Politik. Ein Mann wird nicht dadurch zur Frau, dass er behauptet, eine zu sein. Eine FDP, die die Bürger mit Strafandrohung zwingen will, Männer als Frauen anzureden, bewegt sich auf dem Niveau einer Sekte.
Jetzt hat noch ein streitbarer Liberal-Konservativer wie Thüringens Landeschef Thomas Kemmerich die Partei frustriert verlassen. Löst sich die FDP jetzt auf?
Dass die linken Seilschaften in der FDP nach der verlorenen Bundestagswahl Thomas Kemmerich sogar einen Platz im FDP-Bundesvorstand verwehrt haben, war der Gipfel der Unverschämtheit. Ich kann seinen Schritt verstehen. Auch ich ringe seit langem mit mir, ob eine solche linksgrüne FDP wirklich noch meine Partei sein kann. Irgendwann muss man sich dann entscheiden, so schwer es auch fallen mag.
Beim Bau einer Brandmauer gegen den politischen Konkurrenten AfD ist auch die FDP dabei. Eine philosophische Erkenntnis sagt hingegen: In Zeiten der Krise bauen die Weisen Brücken, während die Narren Mauern errichten. Will die FDP als Leichtmatrose auf einem Narrenschiff untergehen?
Offenbar hat die aktuelle FDP-Führung das vor. Der NRW-Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende Henning Höne hat nach der Kommunalwahl empfohlen, einfach weniger über die AfD zu reden und Kooperationen mit der AfD weiterhin ausgeschlossen. Dabei wäre es eine strategische Chance der FDP, die undemokratische „Brandmauer“ zur AfD endlich einzureißen, gerade weil die Union daran festhält. Das machtpolitische Manöver der linken Parteien, die AfD vom Wettbewerb auszuschließen, um die eigene Macht zu sichern, hätte die FDP eigentlich längst auf den Plan rufen müssen, wenn sie sich noch als Freiheitspartei sieht. Falls nicht, wird sie nicht gebraucht.
Auch die CDU hält nach der Kommunalwahl weiter an der undemokratischen Brandmauer fest und schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD weiter aus. Wird die Kommunalpolitik diesen Unsinn vor Ort beenden?
Angesichts der erstarkten AfD werden wir künftig in vielen Kommunen in NRW eine de facto-Zusammenarbeit der CDU mit der AfD erleben, schon deshalb, weil durch die Zersplitterung der Räte in viele Kleingruppen die Mehrheitsbildung enorm schwierig wird. Aber man wird das dann herunterspielen und behaupten, dass es keine Kooperation mit der AfD gibt. Auf Bundesebene hat sich die Union auf Gedeih und Verderb auf einen Pakt mit SPD, Grünen und Linkspartei eingelassen. Solange Merz Kanzler bleibt, wird sich daran nichts ändern. Auch wenn es Deutschland erkennbar schadet.
Droht ohne Kurswechsel bei der FDP für Perspektiven rechts der Mitte im kommenden Jahr das große Aus bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern?
Selbstverständlich. Die Zeit für den nötigen Richtungswechsel der FDP läuft gnadenlos ab. Nur in Baden-Württemberg könnten die treuen FDP-Stammwähler der FDP noch einmal über die Fünfprozenthürde helfen. In allen anderen Bundesländern wird sie definitiv als Splittergruppe unter „Sonstige“ enden, wenn sie die „Brandmauer“ nicht abräumt und sich klipp und klar von ihren Verirrungen in der Ampel distanziert. Ich würde nicht darauf wetten, dass sie noch die Kraft dazu findet. Aber schon in einigen Monaten werde wir es wissen.