Interview mit dem Philosophen Rüdiger Safranski: „Kein Wunder, wenn es knirscht in der Gesellschaft“

vor etwa 8 Stunden

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Rüdiger Safranski ist ein erfolgreicher deutscher Schriftsteller und Philosoph. Seine Biographien über Goethe, Schiller und Nietzsche wurden Bestseller. In der Neuen Zürcher Zeitung spricht er über die Auswirkungen der Politik von Angela Merkel auf unsere heutige Gesellschaft und über die Frage, wie hoch der Anteil an Fremdkulturen sein kann.

NIUS dokumentiert wichtige Auszüge:

„Die Politik von damals (gemeint ist Angela Merkel, Anm. d. Red.) führte in Deutschland und in Europa zu epochalen politischen Verschiebungen. Überall legten die populistischen Parteien massiv zu, dass dies mit der Migration zusammenhängt, ist offensichtlich. Und nach wie vor stehen wir vor der Frage, wie hoch der Anteil von Fremdkulturen in einer Gesellschaft sein kann, ohne dass dies den Zusammenhalt gefährdet. Wenn der Anteil zu groß wird, entsteht das Problem des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die grundsätzliche Frage ‚Was hält den Laden eigentlich zusammen?‘ traut man sich immer noch nicht zu stellen. Man hält den Zusammenhalt offenbar für eine Naturtatsache, eine Selbstverständlichkeit, um die man sich nicht eigens kümmern muss, selbst wenn sie gefährdet ist. Mich jedenfalls wundert es, dass der Laden überhaupt noch zusammenhält.“

Safranski 2019 auf seinem Balkon

„Das weiß ich auch nicht. Aber zuerst einmal muss endlich offen über diese fundamentale Frage geredet werden. Dass das nicht getan wird, weil für manche schon die Frage als fremdenfeindlich gilt, halte ich für eine abgrundtiefe Verantwortungslosigkeit. Durch den Aufstieg der AfD ist das Land nun politisch so polarisiert wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die etablierten Parteien treiben ein bedenkliches politisches Spiel: Erst drückten sie gegen den Willen der Mehrheit ihre Migrationspolitik durch, dieses Defizit an Demokratie führt zum Aufstieg der Populisten, die man nun wiederum als verfassungsfeindlich hinstellt und zu verbieten versucht. Insgesamt ist der hohe Stimmenanteil nicht ein Ausdruck der Demokratiefeindlichkeit, sondern des Gefühls, dass nicht genügend Demokratie im Spiel ist, bei der Migrationspolitik oder der Energiewende oder bei der Symbolpolitik, Stichwort Gendern. Vor allem in der Migrationsfrage haben viele das Gefühl, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird. Deshalb wählen viele die AfD. Und dann kommt eine 15-Prozent-Partei wie die SPD und sagt, man kann sich dieses Konkurrenten entledigen, indem man ihn verbietet. Die wissen natürlich genau, dass sie mit diesem Verbot niemals durchkommen werden. Aber man kann damit den politischen Gegner unter Verdacht stellen, zum Aussätzigen machen. Und das ist Wirkung genug.“

„Wenn man realistisch ist, kann man schon sagen, dass in den letzten 15 bis 20 Jahren die Problemzonen gewachsen sind. Kein Wunder, wenn es knirscht in der Gesellschaft. Nehmen wir nur mal den Angriff Russlands auf die Ukraine. Dadurch besteht faktisch auch eine Bedrohung für das Nato-Gebiet. Plötzlich gibt es in Europa ein Erwachen: Hoppla, wir sind ja ohne die USA gar nicht verteidigungsfähig. Alle Länder des Westens haben jetzt Schwierigkeiten mit der Wehrhaftigkeit, bei uns in Deutschland verschärft sich das durch unsere nationale Neurose. Es gab ja einmal diese Losung der Grünen: ‚Liebe Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein.‘ Natürlich muss man wissen, was man verteidigen will. Es muss einem lohnend erscheinen.“

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