
Seit Beginn jenes Krieges, der den alten Traum der Mullahs befeuert – Israel zu vernichten und die Welt ins Chaos zu stürzen –, mehren sich Stimmen, die über die Zukunft Irans nach den Mullahs sprechen. Während die einen Israel verteufeln, applaudieren andere verstohlen. Inmitten dieses moralischen Trümmerfelds klammern sich westliche Politiker an das Mantra des „diplomatischen Dialogs“ – ein Ritual, das seit über vier Jahrzehnten keine Früchte trägt.
Zugleich fällt immer öfter das Wort „Regimewechsel“, ein Begriff, der Furcht auslöst: vor einem Machtvakuum, vor Verantwortung, vor der Wahrheit. Die zersplitterte iranische Opposition reagiert panisch und ruft verzweifelt nach Hilfe von außen. Doch dieser Krieg ist längst mehr als ein regionaler Konflikt: Er richtet sich gegen Menschlichkeit, Freiheit und globale Stabilität. Seit 46 Jahren führen die Mullahs ihren Krieg – mit Worten, mit Stellvertretern. Je länger er andauert, desto tiefer der Schaden. Für uns alle.
Medienwirksam demonstrieren einige Proxys (in diesem Fall die Hisbollah im Libanon) für den Ayatollah. Doch das iranische Volk denkt anders.
Im heutigen Iran regiert nicht das Volk, sondern ein faschistoides Regime, das im Namen eines Gottes herrscht, dem niemand widersprechen darf. Seit der Islamischen Revolution von 1979 dominiert ein System totaler Kontrolle, getragen von sogenannten „göttlichen Gesetzen“, interpretiert von Menschen ohne demokratische Legitimation. Meinungsfreiheit existiert nicht, Wahlen sind eine Farce, grundlegende Menschenrechte werden systematisch missachtet.
Iranische Frauen demonstrieren am 12. März 1979 in Teheran für Gleichberechtigung.
Frauen werden durch Zwangsverschleierung, Berufsverbote und rechtliche Entrechtung unterdrückt. Die Proteste gegen den Kopftuchzwang – spätestens seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Jahr 2022 – sind zum Symbol zivilen Ungehorsams geworden. Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen und massive Diskriminierung von Minderheiten wie Bahai, Kurden oder Belutschen gehören zum Alltag. Künstler, Journalisten, Lehrerinnen, Aktivistinnen verschwinden in Gefängnissen – ohne Anklage, ohne Verteidigung, oft ohne Wiederkehr. Der Iran ist kein Staat, sondern ein theokratisches Gefängnis.
Und doch: Unter dieser Decke der Gewalt hat sich ein Wille geformt, den keine Diktatur auf Dauer unterdrücken kann – gespeist aus Erinnerung, Bildung und politischer Reife.
Ein Mann hält ein Foto von Jina Mahsa Amini bei einer Kundgebung am 1. Mai 2025 in Hamburg hoch.
Im Jahr 1906 wurde die erste iranische Verfassung im Zuge der Konstitutionellen Revolution eingeführt – ein Wendepunkt in der modernen Geschichte des Landes. Getragen von Unzufriedenheit mit absolutistischer Herrschaft, wirtschaftlicher Not und ausländischem Einfluss forderten große Teile der Bevölkerung – Intellektuelle, Geistliche, Kaufleute – eine verfassungsgebundene Regierung. Der regierende Schah Mozaffar ad-Din Qadschar unterzeichnete die Verfassung am 30. Dezember 1906 und läutete damit den Übergang zur konstitutionellen Monarchie ein.
Frauen kaufen Kleidung auf einem Markt in Teheran,1978.
Die Verfassung orientierte sich an europäischen Vorbildern, insbesondere an der belgischen von 1831. Sie schuf ein Parlament (Majles), das Gesetze mitgestalten und die Regierung kontrollieren sollte. Die Macht des Monarchen wurde erstmals durch Gesetz und Repräsentation begrenzt. Sie garantierte Eigentumsrechte, eine eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit sowie rechtliche Gleichheit vor dem Gesetz.Trotz Rückschlägen – etwa durch den autoritären Kurs von Mohammad Ali Schah oder die Entmachtung durch Reza Schah Pahlavi – blieb das Dokument ein historisches Fundament für den Rechtsstaat. Bis heute gilt die Verfassung von 1906 als Ausdruck jener Kräfte, die auch jetzt wieder für Freiheit und nationale Selbstbestimmung kämpfen.
Um den heutigen Wunsch vieler Iraner nach einer konstitutionellen Monarchie zu verstehen, lohnt ein Blick zurück. Die Ära Mohammad Reza Pahlavis war nicht vollkommen demokratisch, aber sie war geprägt von Modernisierung, internationaler Öffnung und gesellschaftlichem Aufbruch.
1963 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, Universitäten wurden für Frauen geöffnet, Familienrechte reformiert. Alphabetisierungskampagnen, Schulen in ländlichen Gebieten sowie ein modernes Gesundheits- und Verkehrswesen wurden aufgebaut. Der Iran verfügte über eine stabile Währung, einen wachsenden Mittelstand, kulturelle Vielfalt und – im Vergleich zu heute – eine gewisse Pressefreiheit. Er war eines der ersten Länder, das Israel nach dessen Staatsgründung 1948 anerkannte.
Ja, es gab politische Einschränkungen, und der SAVAK bleibt ein dunkles Kapitel. Doch das Land war auf dem Weg in die Zukunft. Es gab Hoffnung, Entwicklung, ein Fenster zur Welt. All das hat das heutige Regime zerstört.
Warum sollte ausgerechnet eine konstitutionelle Monarchie ein tragfähiger Weg sein? Weil sie vereint, was dem Iran heute fehlt: Legitimation, Kontinuität und Überparteilichkeit. Europäische Beispiele wie Schweden, Norwegen, Dänemark, die Niederlande oder Spanien zeigen, wie stabil solche Systeme sein können. Der Monarch hat keine Macht, aber eine Rolle: Identität zu stiften, Übergänge zu moderieren, das Gemeinsame zu betonen.
Spanien ist besonders lehrreich: Nach der Franco-Diktatur leitete Juan Carlos einen demokratischen Transformationsprozess ein, der zu einem der stabilsten Parlamente Europas geführt hat. Der ehemalige Kronprinz wurde zum Vater der spanischen Demokratie.
Während die Führung in Teheran weiter an der Macht klammert, zeichnet sich unter der iranischen Bevölkerung ein klares Bild für die Zeit nach der Islamischen Republik ab. Eine viel beachtete Umfrage des renommierten GAMAAN-Instituts mit etwa 1800 Befragten, auf die sich auch exilpolitische Organisationen wie „National Union for Democracy in Iran“ stützen, offenbart deutliche Präferenzen – jenseits offizieller Propaganda und ideologischer Dogmen.
Reza Pahlavi
Der große Gewinner dieser Erhebung ist Reza Pahlavi. Mit rund 39 Prozent Zustimmung ist der Sohn des letzten Schahs die mit Abstand populärste politische Figur. Für viele Iranerinnen und Iraner steht er nicht nur für die Erinnerung an eine säkulare Ordnung, sondern auch für die Hoffnung auf Stabilität, nationale Würde und einen demokratischen Neuanfang.
Die Vision eines säkularen Rechtsstaats, sei es in monarchischer oder republikanischer Form, dominiert das Zukunftsbild. So sprechen sich 34 Prozent der Befragten ausdrücklich für eine säkular-konstitutionelle Republikaus – ein klares Signal gegen jede Form religiöser Herrschaft.
Kaum Rückhalt hingegen findet die Volksmudschahedin (MEK): Nur 0,5 Prozent wollen dieser exilpolitischen Gruppierung, die im Westen teils als oppositionell hofiert wird, politische Verantwortung übertragen. Ebenso marginalisiert sind die Reformisten innerhalb des bestehenden Systems – ihre Zeit scheint abgelaufen. Mit nur 3,6 Prozent Zustimmung zeigt sich, dass die Bevölkerung an eine Reform von innen längst nicht mehr glaubt.Stattdessen rückt eine neue Generation von Iranerinnen und Iranern nach, die auf einen tiefgreifenden, demokratischen Wandel setzt. Rund 30 Prozent befürworten strukturelle Veränderungen durch transparente, demokratische Verfahren – etwa Referenden oder verfassungsgebende Prozesse. Gewalt hingegen wird mehrheitlich abgelehnt: Während 65 Prozent landesweite Streiks und Protestformen unterstützen, sprechen sich nur etwa 19 Prozent für einen bewaffneten Aufstand aus.
Die Botschaft ist klar: Die Menschen im Iran haben genug – nicht nur von Unterdrückung und Korruption, sondern auch von ideologischer Vereinnahmung. Sie sind bereit für einen Neuanfang. Was fehlt, ist nicht der Wille, sondern internationale Anerkennung.
Die in Washington ansässige Organisation NUFDIra plant, was lange gefordert wurde: ein geordnetes Übergangsmodell. Der Plan „Dorān-e Gozar“ („Zeitraum des Übergangs“) ist detailliert, pragmatisch und mehrstufig angelegt:
Fünf Säulen sollen dabei den den Erfolg sichern: Diaspora-Engagement, westlicher Druck, Spaltung der Sicherheitsapparate, internationale Netzwerke und das Iran Prosperity Project. Reza Pahlavi bringt es auf den Punkt: „Dies ist ein Projekt, das nicht auf Schlagworten, sondern auf Lösungen basiert.“
Oft wird gewarnt: Nach dem Regime kommt das Chaos. Doch Iran ist nicht Irak, nicht Libyen, nicht Afghanistan. Es ist ein kulturell gefestigter Staat mit jahrtausendealter Zivilisation. Die Einheit des Landes wurzelt nicht in Blutbanden, sondern in einer gemeinsamen kulturellen Identität – getragen von Persern, Kurden, Belutschen, Aserbaidschanern.
Die Geschichte Irans – von den Achämeniden über die Sassaniden bis in die Neuzeit – belegt einen eigenständigen zivilisatorischen Weg, verwoben mit jüdischer, griechischer und später westlicher Kultur. Trotz der gesellschaftlichen Verheerungen durch das Mullah-Regime lebt der alte Geist weiter: in Form von Pluralismus, Intelligenz und Freiheitsstreben.
Europa also? Sollten wir zittern angesichts des iranischen Frühlingserwachens? Im Gegenteil. Iran ist nicht Libyen, nicht Irak. Es ist ein Staat, dessen Identität sich nicht in Stammesverwerfungen auflöst, sondern in einer selbstbewussten Zivilgesellschaft Verankerung findet. Ein Land mit demokratischen Wurzeln, das sich organisiert, strukturiert und vorbereitet – mit einem Plan, einem juristischen Fundament und einem klaren gesellschaftlichen Mandat.
Nach dem Sturz der Mullahs erwartet Europa kein Vakuum, sondern ein Signal: Aus der historischen Erinnerung, aus der kulturellen Tiefe, aus dem demokratischen Anspruch Irans wird ein neuer Partner entstehen – nicht feindselig, sondern konstruktiv; nicht fragmentiert, sondern geeint; nicht gewalttätig, sondern entschlossen wählend.
Am Ende ist es das Land, das wir kennen – mit seiner stolzen Geschichte, seinem zivilisatorischen Erbe und seiner demokratischen Sehnsucht. Nicht fremd, nicht jäh, nicht gefährlich – sondern lebendig und hoffnungsvoll. Nach dem Diktat der Mullahs wird kein Abgrund auf uns zukommen, sondern der neue Iran. Ein Iran, der uns zeigt, dass man auch nach dunklen Jahrzehnten wieder zu Charakterstärke und demokratischer Lebendigkeit zurückfinden kann.
Europa darf sich also entspannt zurücklehnen – und sollte Irans Stimme hören: Die Zukunft ist geplant, und sie ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Es ist an der Zeit, das Gespenst des Irak-Szenarios abzulegen. Iran ist kein tribalistisch fragmentierter Staat, sondern eine Nation mit klarem politischem Willen, historischer Tiefe und organisatorischer Intelligenz. Was fehlt, ist die Anerkennung durch Europa. Wir sollten nicht zaudern, sondern hinhören. Und erkennen: Der Tag nach den Mullahs ist kein schwarzes Loch, sondern der Beginn einer neuen Partnerschaft zwischen Ost und West – auf Augenhöhe, in Freiheit und mit gegenseitigem Respekt.
Die Autorin Nasrin Amirsedghi ist Deutsch-Iranerin und Sprachdozentin in Berlin. Sie lebt seit 42 Jahren im Exil in Deutschland.