
Im Zuge des Zwölf-Tage-Kriegs zwischen Teheran und Tel Aviv verharrte Peking tagelang in pro-iranischer Neutralität nach den israelischen Angriffen. Staatschef Xi Jinping rief die Kriegsparteien, „insbesondere Israel“, dazu auf, eine weitere Eskalation der Spannungen zu verhindern. Ansonsten hielt sich Peking mit israelkritischer Rhetorik zurück – ganz anders als nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Damals stellte sich China an die Seite der Palästinenser, um sich medialen Einfluss im Globalen Süden zu verschaffen.
Erst nach dem Luftangriff der USA auf iranische Atomanlagen verschärfte sich Pekings Rhetorik. Allerdings nicht zugunsten seines Partners Iran, dem China weiterhin nicht zu Hilfe kam, sondern gegen den US-Interventionismus. „Aufs Schärfste“ verurteilte das chinesische Außenministerium seinerzeit die amerikanischen Luftangriffe. Der chinesische UN-Botschafter Fu Cong bezeichnete die USA am Rande einer UN-Sicherheitsratssitzung als „destabilisierende Kraft“ in der Welt.
China hält sich bei Konflikten im Nahen Osten zurück. Es mangelt ihm auch an Einfluss. Peking will in erster Linie kein Chaos im Nahen Osten, aus dem es einen großen Teil seines Öls bezieht und in fast allen Ländern dort investiert hat. Der Großteil des iranischen Öls, nämlich rund 90 Prozent, wird nach China verkauft. So kann der Iran die westlichen Sanktionen überstehen. Peking pflegt zugleich gute Beziehungen zu den Golfstaaten Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort hat China weit größere Wirtschaftsinteressen und die Länder sind zudem eher Freunde Israels und Gegner Irans als umgekehrt.
Während das iranische Atomprogramm nicht zu den Kerninteressen der Volksrepublik China zählt, ist die Energieversorgung schon eher von Bedeutung. Schließlich fließt durch die Straße von Hormus am Persischen Golf rund die Hälfte aller chinesischen Ölimporte. Eine vom Iran angedrohte Blockade der Meerenge von Hormus wäre für Peking somit eine rote Linie. Und mit den westlichen Rivalen teilt Peking auch ein gemeinsames Interesse: Der Iran soll sich nicht nuklear bewaffnen. Die chinesische Regierung will die Weiterverbreitung von Atomwaffen um jeden Preis verhindern, vor allem in der westlich orientierten Region Ostasiens, in der längst auch in Seoul und Tokio über atomare Bewaffnung nachgedacht wird.
China möchte alle Seiten ausbalancieren. Allerdings wird die asiatische Weltmacht kein Interesse daran haben, dass der Iran nach dem Staatsstreich in Syrien fällt. Denn der Iran ist der einzige Rivale der USA und könnte US-Ressourcen in der Region binden und Washington von Konflikten im Pazifik ablenken.
Donald Trumps Intervention im Iran-Israel-Krieg hat weitreichende Folgen, die über den Nahen Osten hinausreichen. Die Entscheidung Trumps, den Iran anzugreifen, hat Chinas bisherige Ansicht, dass sich Trump in Krisen um Taiwan oder Pekings expansive Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zurückhalten würde, infrage gestellt. Trumps Intervention in Nahost hat China dazu bewegt, neu zu bewerten, wie der US-Präsident im Falle eines Kriegs in Asien die militärische Macht der USA einsetzen könnte.
Gegenüber der britischen Tageszeitung Financial Times sagten Experten sowie taiwanesische Regierungsvertreter, dass der Angriff auf den Iran die außenpolitischen Berater des chinesischen Präsidenten Xi Jinping dazu veranlasste, Trumps Handeln in Fragen, die Peking als entscheidend für seine nationalen Interessen ansieht – wie etwa Taiwan – grundlegend zu überdenken. „Sie dachten, Trump 2.0 würde transaktionaler und möglicherweise pragmatischer sein, was vielleicht zu einer stabileren Beziehung führen würde“, sagte Andrea Ghiselli, Experte für Chinas Nahostpolitik an der Universität Exeter. Ein taiwanesischer Sicherheitsbeamter erklärte, dass die schnelle Abfolge des US-Angriffs und des Waffenstillstands mit Iran die Entschlossenheit der Regierung unter Präsident Trump widerspiegele, die Krise im Nahen Osten „schnell zu beenden“, um sich voll und ganz auf den Indopazifik konzentrieren zu können.
Nun muss Peking neu bewerten, ob Trump während seiner zweiten Amtszeit einen stärker isolationistischen Ansatz verfolgen wird, bei dem sich die USA von regionalen Krisenherden abkoppeln, oder ob er im Falle einer gewaltsamen Durchsetzung des chinesischen Anspruchs auf Souveränität über Taiwan wahrscheinlich militärisch eingreifen würde.
Die US-Angriffe auf Atomanlagen im Iran sollen die Entschlossenheit des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un, sein Atomwaffenarsenal als Abschreckung gegen Angriffe auf Nordkorea beizubehalten und sogar auszubauen, gestärkt haben. Die Angriffe der USA und Israels haben Kim vermutlich verdeutlicht, wie sehr das Schicksal seines Landes mit dem seiner Atomwaffen verflochten ist.
Kim kann nun auf andere Länder wie den Irak, Libyen und Syrien verweisen, deren nukleare Ambitionen militärische Angriffe nach sich zogen und letztlich zu einem Regimewechsel und einem Bürgerkrieg führten. Angesichts des Angriffs der USA auf den Iran dürften künftige Gespräche mit Washington über eine Denuklearisierung Nordkoreas schwieriger werden – Gespräche, die Nordkorea seit Jahren ablehnt. „Nach den Angriffen auf den Iran ist Kim Jong-un froh, dass er über Atomwaffen verfügt”, sagte Go Myong-hyun vom Institut für Nationale Sicherheitsstrategie, einem staatlich finanzierten Thinktank in Seoul. Laut einer neuen Studie des Internationalen Friedensforschungsinstituts Stockholm (SIPRI) verfügt Nordkorea derzeit über bis zu 50 Atomsprengköpfe und genügend spaltbares Material, um bis zu 40 weitere herzustellen.