
Die Zeit fließt unablässig weiter, und doch sind Weihnachten und der Jahreswechsel immer wieder Endpunkte des Jahres, Ziellinien, über die man sich mehr oder weniger ausgelaugt von Alltag und Beruf schleppt und mitunter eben auch einen Blick zurück wirft auf die zurückliegenden Monate. 94 Interviews habe ich inzwischen für „Schuler! Fragen, was ist“ geführt. Gespräche mit Vertretern von CDU und CSU, der FDP, AfD und WerteUnion, mit Wirtschaftsleuten, Künstlern, Journalisten und anderen interessanten Zeitgenossen. Von der SPD habe ich mit dem Außenpolitiker Ralf Stegner gesprochen, Sahra Wagenknecht war da, niemand von Grünen, niemand vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
An mangelnden Anfragen hat es nicht gelegen. Immer wieder habe ich Grüne, SPD-Politiker und vor allem auch Kritiker von NIUS aus den Reihen von ARD und ZDF angefragt. Knappe Absagen sind die höfliche Variante, Nicht-Reagieren die inzwischen offenbar am meisten verbreitete. Nun, niemand muss mit mir oder NIUS sprechen. Wir sind ein freies Land. Und doch wirft es ein bezeichnendes Licht auf das Diskursklima im Land: Immer wieder haben linke Medien Politiker dafür kritisiert, mit uns gesprochen zu haben. Selbst in Wahlkampfzeiten, waren Grüne und Sozialdemokraten nicht geneigt, ihre Politik im Interview zu erklären. Und wenn man die Besetzung der wichtigsten Talkshows im öffentlichen Rundfunk anschaut, wird auch dort darauf geachtet, dass ein etabliertes Lager aus Journalisten und Politikern unter sich bleibt und nicht (allzu oft) durch Vertreter sogenannter alternativer Medien oder sogenannte Populisten in ihrer Weltsicht gestört wird.
Sahre Wagenknecht (BSW) zu Gast bei „Schuler! Fragen, was ist“
Diese Art des Umgangs betrifft viele Politikfelder. Wenn dieser Tage die großen Parteien einen Pakt für Fairness im Wahlkampf schließen, ist es schon ein wenig verwunderlich, dass Selbstverständliches noch einmal ausdrücklich beschlossen werden muss und die AfD, gegen die sich der Pakt ausdrücklich richtet, nicht einmal gefragt wurde, ob sie sich beteiligen wolle. Wenn es tatsächlich um fairen Wahlkampf ginge, hätte der vermeintliche Missetäter schließlich eingebunden werden müssen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht beteiligte sich trotz Einladung nicht an dem Übereinkommen, weil die Paktierer Unwahrheiten über das BSW verbreiteten, hieß es. Und dass die SPD auf persönliche Herabwürdigung von Mitbewerbern verzichten will, kann allenfalls als eine Art Sinneswandel betrachtet werden, angesichts der Tatsache, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) gleich mehrfach FDP-Chef Christian Lindner die „sittliche Reife“ für Regierungsämter abgesprochen hatte.
Weitgehend sprachlos ist auch die deutsche Außenpolitik mit einer grünen Bundesaußenministerin, die in jedem zweiten Satz etwas „deutlich macht“ und völlig macht- und folgenlos durch die Welt reist, um in Peking oder Konfliktregionen „deutlich zu machen“, wie sie die Dinge sieht. Da aber Einfluss immer auch auf militärischer oder zumindest auf Wirtschaftskraft beruht, interessieren ihre „Ansagen“ (Annalena Baerbock im Deutschlandfunk) längst niemanden mehr, weil Deutschland weder über das eine noch über das andere verfügt. Und in China, wo sie die Regierung vorab öffentlich beleidigt hatte, erreicht sie gleich gar nichts mehr.
Christian Lindner (FDP) zu Gast bei Ralf Schuler
In der Klimapolitik wäre ebenfalls längst eine tiefgreifende Debatte über Grenzen und Ziel des deutschen Sonderwegs dringend nötig, wenn die Energiepreise die deutsche Wirtschaft nicht endgültig ruinieren sollen. Doch auch hier verschanzen sich die meisten Parteien hinter wolkigen Formulierungen, wollen an den Klimazielen festhalten und allenfalls am Weg dorthin etwas ändern. Die Wahrheit ist: Politik in einer freiheitlichen und demokratischen Marktwirtschaft kann weder die Technologien dafür vorschreiben noch den zeitlichen Zieleinlauf garantieren, wenn man keine Anleihen bei Staats- und Planwirtschaft nehmen will.
Gänzlich sprachlos ist Deutschland schließlich beim Thema Migration, wo bei jedem neuen Terrorakt, jedem brutalen Übergriff oder aus dem Ruder laufenden Massenereignis immer wildere rhetorische politische Purzelbäume geschlagen werden, um nur nicht die Migrationspolitik als Ursache zu benennen, weil das angeblich nur den „Falschen“ nützt. Um es mal ganz klar zu sagen: Wenn die Realität die „Falschen“ bestätigt, liegen die „Falschen“ richtig. Sonst würde ihnen das Ereignis nichts nützen.
Wenn all jene, die immer vom „Zusammenhalt der Gesellschaft“ reden, damit nicht nur meinen, dass man ihre Weltsicht übernehmen soll, dann gibt es nur ein wirklich taugliches Mittel: das Gespräch suchen gerade mit jenen, die man bisher ausgeschlossen hat. Diskurs statt Brandmauer. Erklären statt Belehren. Zuhören statt Canceln. Motto: Deutschland – wir müssen reden.