Israel als Menetekel und Modell für den Westen

vor etwa 8 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Europäer sind mit ihrer Teilhabe am Krieg in der Ukraine nach Osten überdehnt und nach Süden gegenüber der Massenmigration aus der islamischen Welt schutzlos. Nach innen sind die Staaten der Europäische Union und die Gesellschaften des Westens über die Wahrnehmungen dieser Gefahren zerstritten. Seit der Wiederwahl von Donald Trump ist die EU darüber auch noch mit den USA zerstritten. Dem amerikanischen Präsidenten werfen sie zugleich mangelndes Engagement in der Ukraine und Überengagement für Israel vor.

Und schließlich ist auch noch die politische Rechte darüber zerstritten, ob sie mit Israel einen Frontstaat der westlichen Werteordnung unterstützen, oder wie die AfD-Führung „beide Kriegsparteien“ zur Mäßigung aufrufen sollen. Die Bekämpfung des aggressivsten politischen Islam, dessen Atomraketen mit ballistischen Raketen auch Europa erreichen könnten, ist demnach nicht im Interesse Deutschlands.

Dabei sollte spätestens der islamistisch motivierte Terrorismus in Europa ein Warnzeichen sein, dass die Mullahs auch über Bande die Destabilisierung des Westens anstreben. In Schweden haben die Machthaber in Teheran bereits versucht, Kriminelle zu Anschlägen auf israelische Einrichtungen und auf oppositionelle Exil-Iraner zu bewegen. Es wäre an der Zeit, den Zusammenhang zwischen der Bedrohung Israels und Europas zu erkennen. Dabei werden mit der Finanzierung und der Raketenbestückung der sunnitischen Hamas sogar die konfessionellen Unterschiede im Islam übergangen, was diesen Islamismus doppelt gefährlich macht. Christen und Juden werden in ihrem Weltbild allenfalls die Rolle von zahlungspflichtigen Schutzbefohlenen zugestanden.

Nach den failed states Afrikas bietet ein ideologisch weltoffenes und daher auch in der Außenpolitik relativistisches Europa die größten Schwachstellen für ein Vordringen des Islamismus, umso mehr die Europäer nicht begreifen, dass Israel ein Frontstaat im Ringen zwischen der zivilisierten Welt und dem religiösen Totalitarismus ist. Sollte es dem Druck der islamistischen Barbarei nicht mehr standhalten, würde Europa, wie nach dem Fall von Konstantinopel, eine Staumauer wegbrechen.

Der falschen Feindschaft gegenüber Russland liegt ein Mangel an begrifflicher Unterscheidung zugrunde. Dem russische Autoritarismus, dem es zuerst um die eigene Stabilität geht, gilt demnach als gefährlicher als ein Totalitarismus, dessen Absolutheitsanspruch wesensgemäß mit der Feindschaft gegen alle „Ungläubigen“ verbunden ist. Der defensive Imperialismus ist um die Bewahrung seiner Einflusssphären besorgt. Dem herbeifantasierten Vordringen Russlands bis an den Atlantik fehlt wiederum der Sinn für die kulturellen Grenzen der russischen Hemisphäre und ihrer Haltung, das Eigene vor westlichem Vordringen zu schützen.

Die Verkennung des Unterschieds von Autoritarismus und Totalitarismus liegt den strategischen Irrtümern des Westens zugrunde. Die autoritäre Oligarchie Russland erhebt heute im Gegensatz zur kommunistischen Zeit und im Gegensatz zum Islam keine universalistischen Ansprüche, die aus der Inanspruchnahme absoluter Wahrheit zwangsläufig hervorgeht.

Die nach Süden offenen Grenzen Europas gegenüber einer erklärten Feindkultur sind nur aus dieser Realitätsverweigerung erklärbar. Im Zusammenprall mit dem Islam gewähren sie jene Toleranz gegen Intoleranz, die ihnen gegenüber dem politischen Totalitarismus schon zweimal zum Verhängnis geworden ist. Selbst wenn von den etwa 50 Millionen Muslimen in Europa nur jeder Zehnte Islamist ist, erwächst daraus ein Sicherheitsproblem – nicht zuerst und vor allem für die jüdischen Mitbürger in Europa. Die schleichende Eroberung Europas erfolgt noch friedlich durch Inanspruchnahme der sozialen Infrastruktur. Der Judenhass ist nach Europa übergeschwappt.

Je robuster Israel sich gegen seine verzweifelte Lage weht, desto mehr verliert es nicht nur im Globalen Süden, der sich von jeher auf die Seite der „antikolonialistischen Palästinenser“ stellt, sondern auch in der westlichen Welt an Sympathien. Durch die Migrationsbewegungen sind arabischstämmige Wähler in den USA und vielen Staaten Europas längst ein wahlpolitischer Faktor. Und die Wirtschaft, die sich mit den Sanktionen gegenüber Russland fast nach Belieben schädigen lässt, will sich diesen Markt nicht entgehen lassen.

Für die seltsame politische Freundschaft der postmodern-relativistischen Linken mit dem Islam erkennen wir jenseits der Naivität die gemeinsame Feindschaft zum sozial unvollkommenen und religiös unreinen Westen, der weder den totalitären Ansprüchen diesseitiger noch jenseitiger Heilslehren gerecht wird.

Die permanente Dekonstruktion des Westens durch die Linke nutzt jedes Spielfeld, von Kernenergie und Weltklima, um den wissenschaftlichem und wirtschaftlichen Erfolg in sein Gegenteil einer schuldhaften Belastung zu kehren. In ihrer Begeisterung für den armen globalen Süden sind sie nicht in der Lage, dessen dunkle Seiten wahrzunehmen.

In der Regel geht Ablehnung oder gar Feindschaft gegenüber dem Judentum von einem neuen Wokismus und Globalismus aus, denn das sesshaft gewordene, mehr noch mit religiöser Identität und das eigene Volk wehrhafte verteidigen, wiederspricht allen Buntheits- Teilhabe- und Diversity-Vorstellungen auf einmal. Nicht Integration der Kulturen strebt Israel an, sondern setzt in seiner Gesellschaft auf realistische Koexistenz. Israel ist ein Antiwokistan und auch deshalb ein Modell für die künftige Selbstbehauptung Europas.

Der große Unterschied beginnt allerdings schon beim Verhältnis zur Religiosität. Bis in angeblich christdemokratische Parteien hinein sind die Eliten Europas profaniert und schon die religiöse Leitkultur Israels ist ihnen fremd oder sogar bei denjenigen, die sich selbst als Schöpfer der Erde wahrnehmen, verhasst. Ohne die jüdische Leitkultur gäbe es den Staat Israel nicht.

Die Feindschaft gegenüber dem Westen, den sie von der Familie bis zur Kultur vor allem dekonstruieren wollen, ist noch größer als ihre Ablehnung von Regimen, die wie sie, aus ganz anderen Gründen, die Werteordnung des Westen ablehnen. Ihre Untaten werden aus der Ablehnung des westlichen Kolonialismus heraus erklärt, der alle Muslime offenkundig dauerhaft zu Opfern ohne eigene Verantwortlichkeit macht.

Mit dieser einseitigen Epochenauswahl werden nicht weniger als die seit dreizehnhundert Jahren vorangetriebene Eroberungen des Islams auch nach Europa hinein übersehen. Sie wurden oft nur im letztem Moment – wie die Osmanen 1592 und 1683 vor Wien – abgewehrt. Durch die neue europäische Machtfülle in der Kolonialzeit unterbrochen.

Die Mainstreammedien haben sich dem linken Marsch durch die Definitionen angeschlossen. Warnungen vor dem Islam gelten als „islamophob“. Deren mangelnde Integrationsbereitschaft wird zu unserer Schuld umgedeutet. Je schlechter sich Muslime integrieren, desto größer wird unsere Schuld, die nur durch eine fortdauernde Offenheit der Grenzen und eine Erhöhung von sozialen Leistungen abgebüßt werden kann. Ein Teufelskreis, denn desto mehr Geld Migranten erhalten, desto weniger brauchen sie sich zu integrieren.

Es herrscht Kulturkrieg, aber niemand geht in Europa hin. So kommt er also zu uns. Die Bereitschaft zum Kampf delegieren die Europäer nach Gutmenschenart – wie ich meine, an den falschen Ort – auf die Ukraine, deren ausweglosen Krieg die Europäer gewissermaßen als Ablass für ihre eigenen Versäumnisse im anstehenden Kulturkampf zu finanzieren bereit sind.

Aus dem Ringen des Westens mit Russland könnte der Islam als der lachende Dritte hervorgehen. Der religiöse Totalitarismus hat sich heute durch die Ausbreitung des politischen Islam – ob der Ayatollahs, von Taliban, Islamischem Staat, Boko Haram oder Muslimbruderschaften – globalisiert und intensiviert. Er konzentriert sich heute deshalb auf Israel, weil dessen Herrschaft in ehemals islamisch beherrschten Gebieten den Koran in Frage stellt. Israels dauerhafte Existenz wäre mit vielen Suren des Korans nicht kompatibel.

Die westlichen Interventionen im Orient mussten schon aufgrund der Inkompatibilität der Werteordnungen scheitern. Der Zusammenprall zwischen dem liberalen und dem islamischen Universalismus kann nur durch Koexistenz verhindert werden. Wird dieser Weltkonflikt nur nach deutschen Interessen beurteilt, treffen wir auf einen Provinzialismus als Gegenextrem zum Universalismus.

Im Aufruf der AfD-Vorsitzenden an „die Kriegsparteien“, sich zu mäßigen, werden Israel und der Iran auf eine Stufe gestellt. Vor allem aber wird damit der Bedrohungszusammenhang zwischen dem Nahen Osten und Europa ausgeblendet. Die Beschießung von Schiffen im Roten Meer durch die Huthis beleuchtet den Zusammenhang. Wer mit Recht einer fortschreitenden Islamisierung Europas entgegentritt, macht sich unglaubwürdig, wenn er den Abwehrkampf Israels nicht moralisch unterstützt.

Auch auf die neue Freundschaft mit den arabischen Staaten kann Israel nur zählen, solange er diese mit technologischer Stärke beeindrucken kann. Als neuer Feind steht die von einem Muslimbruder geführte Türkei sprungbereit im Hintergrund bereit. Selbst die Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten, wurden nur mit den jeweiligen Herrschern geschlossen, die Mehrheiten in beiden Ländern stehen als Gläubige Israel in unversöhnbarem Hass gegenüber.

Peter Scholl-Latour hat die Lage Israels schon vor Jahrzehnten mit dem Bild vom „Daniel in der Löwengrube“ umschrieben. Langfristig arbeitet die Demografie gegen Israel. Den 7,2 Millionen Juden Israels (bei 9,2 Millionen Einwohnern und 16,7 Millionen Juden weltweit) stehen fast zwei Milliarden Muslime gegenüber, die vom Koran gehalten sind, „Ungläubige“ zu töten.

In Sure 9 ihrer heiligen Schrift findet sich näheres hierzu. Aber kein Islamversteher scheint diesen gelesen zu haben. Es ist in der Tat kein Vergnügen. Statt einer historisierenden Relativierung des Korans, auf den die Interkulturalisten im Westen setzen, ist in weiten Teilen der islamischen Welt eine buchstabengetreue Fundamentalisierung vorangeschritten. Der Regenbogen als Symbol einer sich freundlich ergänzenden „Vielfalt in der Gleichheit“ hat sich als Fata Morgana erwiesen.

Die ersatzreligiöse Grundhaltung der Linken, die „Weltgeschichte als Heilsgeschehen“ (Karl Löwith) zu begreifen, lässt sie nach jedem Strohhalm greifen. Sie werden den Juden nie verzeihen, dass sie maßgeblich zur Entstehung des Kapitalismus beigetragen haben. Ihre Hoffnung auf Gemeinsamkeiten mit den Islamisten im Kampf gegen den Westen ist im Grunde nicht nur gefährlich für sie, sondern zugleich auch lächerlich. Erfahrungsgemäß vergeht die Lust am Lachen aber mit wachsender Not und der Sinn für das Notwendige könnte darüber geschärft werden.

Bei der Mehrheit jener Demonstranten im Westen, die „Tod Israel“ schreien, handelt es sich um Muslime aus den unterschiedlichsten Regionen, in Großbritannien pakistanischer oder indischer, in Frankreich nordafrikanischer Herkunft. Ihre Vorherrschaft an amerikanischen Eliteuniversitäten signalisiert ein planmäßiges Vorgehen aus dem Hintergrund.

Selbst in Israel mussten woke Illusionen zerstört werden. Auch an dortigen Universitäten wehten vor dem 7.Oktober Regenbogenfahnen. Für die Linke in Israel war der Angriff ein tiefer Schock, denn – so Chaim Noll – gerade diejenigen, die immer Versöhnung mit den Palästinensern, Pazifismus und eine Zweistaatenlösung gepredigt haben, wurden als erste angegriffen und ob ihrer Wehrlosigkeit am schlimmsten misshandelt. Heute gäbe es in Israel praktisch keine Proteste gegen den Feldzug im Gazastreifen. Die Linke in Israel sei absolut desillusioniert und fühlt sich auch von den Linken im Westen verraten, die fast alle auf Seiten der Hamas stehen.

Die Unterentwicklung des Gaza-Streifens hätte nach dem Abzug der Israeli 2005 mit Hilfe der Entwicklungshilfe des Westens und auch der Golfstaaten gewendet werden können. Sie entschieden sich gegen die Zivilisation und für kulturalistisch-identitäre Konstrukte, gegen Entwicklung und für den Heiligen Krieg. Der Hamas geht es nicht um das Wohl der Palästinenser. Sie sind keine Befreiungsbewegung für das eigene Volk, sondern ein Teil der dschihadistischen Bewegung, die für die Umma kämpft.

Das Völkerrecht muss wie alles Recht ausgelegt werden. Der Iran erklärt den Israeli seit 1979 fortlaufend den Krieg und hat ihn mit Hilfe seiner Satrapen immer wieder geführt. Im Konflikt zwischen „Recht und Leben“ (Michael Wolfssohn) ist es verständlich, wenn Israel sich für das Leben entscheidet. Das Völkerrecht ist mit seiner einfachen Unterscheidung nach Angriffs- und Verteidigungskriegen dem Gemengelage des Nahen Osten nicht gewachsen.

Die Einwanderung von Israel-Hassern macht das Leben in Europa für Juden immer gefährlicher. Die jüdischen Auswanderer aus Europa machen Israel zum letzten Rückzugsort, welches sich umso militanter verteidigen wird. Im gleichen Maße wie sich Europa islamisieren lässt, wird sich Israel gegen diese zur Wehr setzen.

Über den Ukrainekrieg ist das geopolitische Denken im Westen wieder in Mode gekommen. Zuvor hatte es man finsteren Kräften in amerikanischen Think Tanks überlassen, die bar jeder Weltkenntnisse ihre imperialen Überdehnungsprojekte anleiteten. Angesichts des Ringens zwischen dem Islam und Europa werden wir geopolitische um geokulturelle Kategorien ergänzen müssen.

Hier und da gibt es helle Momente. Während sich Biden, Merkel und Scholz eher als Makler zwischen den Kulturen und Mächten aufspielten, hat Bundeskanzler Merz zumindest den Ton geändert, wonach Israel „die Drecksarbeit“ für uns alle mache. Damit hat immerhin der Kanzler der größten Macht Europas anerkannt, dass Israels Vorgehen gegen den Iran notwendig und sicherheitspolitisch geboten ist. Diplomatie und Handel in einer multilateralen Weltordnung – solche Naivitäten sind gegenüber einem vorsätzlich den ganzen Nahen Osten destabilisierenden Aggressor nicht mehr erlaubt. Letztlich verleugnen eifernde Verhandler das Böse im Menschen, dem Lüge und Betrug in diesem Fall der Verhandlung mit Ungläubigen sogar noch als religiöses Gebot zur Verfügung stehen.

In Israels Lage ist jede Form von Naivität tödlich. Selbst der naive Glaube an die technische Beherrschbarkeit des Grenzschutzes zum Gazastreifen. Um sich in der gefährlichen Weltunordnung neu zu positionieren, bedarf es vor allem eines Realismus, der um die Existenz des Bösen, um die potentielle Feindschaft und Inkompatibilität der Mächte und Kulturen weiß.

Eine neue Realpolitik der Kulturen lässt die Phantasien des Regenbogens hinter sich und widmet sich der Suche nach dem kleineren Übel. Wie Israel in seiner Region muss der Westen weltweit zwischen autoritären und totalitären Mächten unterscheiden. Das alte Prinzip des „Teile und Herrsche“ bedeutet in der Übertragung auf den Nahen Osten: politische Koexistenz mit autoritären, aber säkularen arabischen Regimen und Eindämmung des totalitären Islamismus.

Der religiöse Totalitarismus ist aufgrund seiner auf das Absolute und damit auch ins Grenzenlose zielenden Eigendynamik wesensmäßig nicht zu beschwichtigen, er kann nur immer von neuem eingedämmt werden. Die multilaterale Weltvision von den guten Absichten aller Akteure entspringt auch dem dekadenten Wunsch, nicht mehr kämpfen zu wollen. Macht – so das Credo der Realpolitik – kann nicht abgeschafft und überwunden, sondern nur eingehegt werden, am besten durch eine Balance of Power, zumindest aber durch die Bereitschaft zur Gegenwehr.

Hierbei könnten die Unterschiede zwischen Europa und Israel nicht größer sein. Diese Wehrhaftigkeit erfordert wiederum die Bejahung und Behauptung einer Leitkultur. Ohne eine jüdische Leitkultur würde es den Staat Israel nicht mehr geben und ohne eine christlich-aufklärerische und bürgerliche Leitkultur gibt es keinen tieferen Grund zur Verteidigung unserer Kultur.

Schließlich bleibt immer noch die Hoffnung, wonach mit der Gefahr auch das Rettende wachsen soll. Rettung winkt vor allem aus neuen Einsichten in die Gefahr. Die inneren politischen Querelen in Israel erwiesen sich im Lichte der Gesamtbedrohung als nebensächlich. Ähnlich könnte es auch den Europäern gehen, wenn die islamistischen Bedrohungen in Europa immer dramatischere Ausmaße annehmen.

Gegenüber den bloß autoritären Regimen im Nahen Osten ist Koexistenz möglich, aber nicht gegenüber dem Islamischen Staat, den Ayatollahs, Hamas, Huthis und Hisbollahs. Für diese ist auch auf die Freundschaft mit dem autoritären Russland kein Verlass, dem es selbst vor einer islamistischen Bedrohung innerhalb Russlands und an den Grenzen nach Süden graut.

Mit seinem bündnisstrategischen Vorrücken in die Ukraine hat der Westen Russland auch in deren Arme getrieben. Eine Beendigung des Ukraine-Krieges könnte zumindest die zivilisatorischen Kräfte Russlands, insbesondere seine Energieressourcen, wieder in die westliche Richtung zu lenken helfen. Die Frage, welche Oligarchenfahne einst über dem Donbass weht, ist gegenüber dem nahöstlichen Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei von geringerer Bedeutung.

Während die amerikanische Regierung in dieser Richtung zu arbeiten scheint, fehlt es den Europäern beinahe an allem – an geopolitischen und geostrategischen Einsichten in die Inkompatibilitäten der Kulturen, an Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse und dementsprechend an Wehrbereitschaft. In jeder Hinsicht müssten sie aus der Lage im Nahen Osten und vor allem von Israel Lehren ziehen.

Die Notwendigkeit einer Epochenwende vom Kampf der Kulturen zum Kampf für die Zivilisation hat das Bedürfnis der meisten Menschen nach einem guten Leben im Diesseits auf seiner Seite. Aus seiner im Rahmen der bisherigen Kultur- und Machtkategorien fast hoffnungslosen Lage könnte Israel durch ein Wunder, modern gesprochen, durch einen Paradigmenwechsel gerettet werden.

Aus der deutschen Geistestradition kennen wir die begriffliche Unterscheidung zwischen den ideellen Motiven einer Kultur und den strukturellen und materiellen Kräften der Zivilisation. In Israel ist die Rekultivierung von Steppe und Wüste in einer Weise gelungen, die dem Staat Israel gegenüber den Clankulturen und Machtherrschern seiner Umgebung neben der Demokratie noch eine zusätzliche Legitimation verleiht. Der Hauptzweck des Staates liegt in der Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Bewohner. In Israel profitieren zwei Millionen Muslime des Landes so sehr von der zivilisatorischen Entwicklung des Landes, dass sie keine Minute über einen Umzug in die Nachbarschaft nachdenken.

Über die Friedensverträge Israels mit Jordanien und Ägypten hatten die Feinde von einst zu technisch-ökonomischen Projekten zusammengefunden. Indem sich immer mehr arabische Staaten dem Abraham-Abkommen einer zivilisierten Zusammenarbeit mit Israel annäherten, stellten sie Meerwasserentsalzung, Begrünung von Wüsten, Handel und Tourismus über Heilige Kriege.

Kein Staat und auch kein Kulturkreis ist bloß ein Selbstzweck. Sie dienen nach zivilisiertem Verständnis letztlich der Selbstbehauptung und Entwicklung der Menschen. Gemessen an diesem Kriterium sind weder religiöse Visionen noch korrupte Selbstbereicherungen überzeugende Argumente gegen den Staat Israel.

Das Ende des Mullah-Regimes muss allerdings von innen, von den Iranern selbst herbeigeführt werden. Die israelischen Angriffe sind gegen die Infrastruktur des Terrorregimes und – anders als die iranischen Angriffe auf Israel – nicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Der Westen kann ihnen wenig helfen. Ihrem Mut, immer wieder ihr Leben gegen das Terrorregime in die Waagschale zu werfen, darf aber auch nicht mit Gleichgültigkeit der westlichen Relativisten begegnet werden.

Für eine aufgeklärte Form der Selbstbehauptung des Eigenen wird schließlich die Unterscheidung und Trennung zwischen den ideellen Werteordnungen der Kulturen und den Funktionslogiken der Zivilisation erfordern. Eine Zivilisation als dem geordneten und funktionierenden Zusammenleben der Kulturen und Mächte erfordert vor allem Kooperation in den wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Funktionssystemen, die jenseits von religiösen und ideologischen Konflikten steht.

Nach dem Sieg über den Totalitarismus könnten die Sachzwänge einer funktionalen Kooperation kulturelle und politische Unterschiede auf einer höheren Stufe aufzuheben helfen.

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