
Wer als offen schwuler Mann heute im Gaza-Streifen mit einer Regenbogenfahne spazieren geht, hat mit größter Wahrscheinlichkeit entweder Selbstmordgedanken oder sonst eine Todessehnsucht.
Dasselbe gilt für einen gläubigen Juden, der heute zum Beispiel im Berliner Stadtteil Neukölln (aber keineswegs nur dort) mit der Kippa spazieren geht: mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung.
Es ist kein schöner Befund, und man schreibt es auch nicht gerne auf. Aber es hilft ja nichts, die Wahrheit ist zu offensichtlich: Für Juden ist das Leben in Deutschland nicht sicher.
Schon wieder nicht.
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„Aufmärsche eines judenfeindlichen Mobs verhindern die Eröffnung eines jüdischen Restaurants.“ Das liest sich wie eine Zeitungsmeldung von 1933. Passiert ist es allerdings gerade eben erst, im Juli 2025.
Dabei erfüllt das Lokal „Gila and Nancy“ ansonsten alle Anforderungen, um bei der links-woken Szene im Herzen der Hauptstadt gut anzukommen: Der Laden hat einen englischen Namen. Man bezeichnet sich selbst ausdrücklich als „queerfreundlich“. Und der Betreiber beherrscht den typischen Sound der Berliner Blase:
Das Restaurant sei „aus der Liebe für Menschen, für Kultur, für Essen und Wein geboren“. Seine Eröffnung sollte „eine fröhliche Feier sein, voller Spannung, Kreativität und Spaß“. Mit so etwas punktet man sonst in Berlin-Mitte.
Allerdings nicht, wenn der Wirt Sharar Segal heißt und Jude ist.
Im Internet haben die üblichen Verdächtigen dem Mann vorgeworfen, die „Gaza Humanitarian Foundation“ (GHF) zu unterstützen. Das ist die Organisation, die von den USA und Israel unterstützt wird und im Gaza-Streifen Lebensmittel und andere Hilfsgüter direkt an die Menschen verteilt – ohne Kontrolle durch die Terroristen der Hamas-Miliz.
Ob Segal die GHF tatsächlich unterstützt, ist noch nicht einmal sicher. Er selbst äußert sich dazu nicht. Aber dass der Mann Jude ist, genügt der Pro-Hamas-Bewegung als Vorwurf. Und so versammelten sich am Mittwochabend Aktivisten vor dem Restaurant und verbreiteten allerlei Parolen:
„Stop Feeding Genocide“ (etwa „Füttert nicht den Völkermord“) „Blut, Blut, Blut in eurem Essen“ „Nein zu Kriegsverbrechern, Völkermördern und jenen, die vom Holocaust in Gaza profitieren“ „Nein zu Mahlzeiten, die von Händen serviert werden, von denen das Blut tropft“.
Der „Stürmer“ hätte das damals wohl ähnlich formuliert.
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Der Vorgang wäre zwar beschämend, aber trotzdem nur ein lokales Ereignis – wenn es denn ein bedauerlicher Einzelfall wäre. Ist es aber nicht.
Man erinnert sich mit Schaudern an die Pro-Hamas-Demo im Mai 2024. Da durfte ein Hassprediger völlig unbehelligt von den entspannt mitlaufenden Polizisten vom Lautsprecherwagen aus seine Parolen unters Volk bringen:
„Vielleicht wird es Zeit für einen deutschen Führer, einen Krebsheiler, der dieses Land befreit.“
Aus dem Kontext ergibt sich eindeutig: Gemeint ist „von den Juden befreit“. Die werden also pauschal als „Krebs“ bezeichnet, von dem ein „deutscher Führer“ das Land „heilen“ müsse.
Als Journalist, der schon wegen zarter Regierungskritik jedes Mal mit einem Bein im Knast steht, würde ich das ja ganz naiv als klassische Volksverhetzung einordnen – und als Verherrlichung des Dritten Reiches obendrein.
Und alles die ganze Zeit lang unter den Augen und Ohren der Polizei, die völlig untätig bleibt – während sie wegen satirischer Fotomontagen von Robert Habeck sonst ja recht schnell zur Hausdurchsuchung anrückt.
Aber hey: Was weiß ich schon?
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Die Zahl antisemitischer Straftaten bei uns explodiert.
Nehmen wir aus naheliegenden Gründen die Entwicklung nach 2015: Damals gab es knapp 1.400 Fälle. Im vergangenen Jahr waren es über 6.000. Dazwischen ist die Zahl kontinuierlich gestiegen – mittlerweile um mehr als das Vierfache. Noch drastischer verhält es sich bei den antisemitischen Gewalttaten: Da beträgt der Anstieg sogar fast 500 Prozent (von 36 Fällen in 2015 zu 173 Fällen in 2024).
Für großes Stirnrunzeln bei professionellen Statistikern sorgt die Praxis des Bundeskriminalamts BKA, eine Tat einfach einer bestimmten politischen Richtung zuzuschreiben, wenn der Täter nicht ermittelt werden kann.
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen musste nach einer Anfrage der AfD einräumen, dass die Erfassung in einem sogenannten „Phänomenbereich“ seit dem Jahr 2001 „anhand der vorhandenen Hinweise“ erfolgt: „Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.“
Oder anders: Das BKA rät, aus welcher politischen Ecke der Täter kommt.
Ein Hakenkreuz an einer Hauswand wird automatisch als rechtsextremistische Straftat gezählt, wenn es keine anderen Hinweise gibt. Dasselbe gilt für Gewalt gegen Juden. Selbst Markus Lanz konnte darüber in seiner ZDF-Sendung nur öffentlich den Kopf schütteln:
Allein schon durch die Zählweise verschleiern unsere Behörden, wo die Gefahr für Juden in Deutschland heute tatsächlich liegt. Sie liegt im zugewanderten muslimischen Judenhass und seiner Koalition mit der deutschen Linken.
Es ist keine besonders gewagte These, dass man bei Grünen, „Linker“ und SPD heute jeweils mehr Antisemiten findet als bei der AfD.
Die Volksfront aus CDU und CSU und SPD und Grünen und der „Linken“ nennt sich „Demokratische Mitte“ und wittert hinter jeder Straßenlaterne mindestens einen Nazi. Dabei übersieht sie aber geflissentlich diejenigen in den eigenen Reihen, die sich tatsächlich wie Nazis aufführen.
„Free Palestine“ bedeutet inzwischen in Wahrheit nichts anderes als „Vernichtet Israel“. So wie die Corona-Impfung ein Verhaltens-Code für Systemkonformität war, und so wie das Gendern ein sprachlicher Erkennungs-Code für alle woken Linken ist, so ist „Free Palestine“ ein politischer Code für Judenhass.
Was, wenn nicht das, ist „Nazi“?
Wenn man den Nationalsozialismus auf einen einzigen Inhalt reduzieren müsste: Welcher wäre das? Natürlich wäre es der Holocaust. Es wäre der Judenhass. Und wer den heute fördert, hat nun wahrlich jedes Recht verloren, andere als „Nazis“ zu beschimpfen.
„Nie wieder“: Das ist zusammen mit „Meinungsfreiheit“ und „Zivilgesellschaft“ die schlimmste Hohlformel in unserem Polit-Betrieb. Die Floskel ist die blanke Verhöhnung aller Juden in Deutschland – angesichts dessen, was die selbsternannte „Demokratische Mitte“ an Antisemitismus in Deutschland nicht nur zulässt, sondern selbst veranstaltet.
Wenn Figuren wie der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner „Nie wieder“ sagen, möchte man sich schämen. Den Genannten selbst fehlt erkennbar das dafür nötige eigene Schamgefühl.
Sollte das „Gila and Nancy“ doch noch irgendwann aufmachen, dann werde ich dort essen gehen.