Israels Meta-Strategie im Nahen Osten

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Als Ende 2024 das Assad-Regime in Syrien zusammenbrach, verschaffte sich Israel rasch Zugang zu zuvor unerreichbaren Flughäfen und Radarstationen. Innerhalb weniger Tage nahm die Luftwaffe mehr als 40 Stellungen unter Beschuss, von Flugabwehrbatterien bis zu Munitionsdepots, um eine Verteidigungs- oder Pufferzone südlich von Damaskus zu errichten – und offenbar auch, um künftige Operationen gegen Iran vorzubereiten.

Parallel baute der Mossad sein Netz in Teheran deutlich aus. Gezielt eingesetzte Drohnenangriffe und Cyber-Sabotagen beseitigten kritische Elemente der Luftabwehr, sodass israelische Jets fortan mit höherer Präzision über iranischem Territorium operieren konnten. Den bisherigen Höhepunkt dieser Abfolge bildet bisher die Operation „Rising Lion“. In einem koordinierten Schlag trafen IAF-Jets über 100 Ziele, darunter Urananreicherungsanlagen in Natanz und Fordow sowie zentrale Kommandoposten der Revolutionsgarde. Innerhalb weniger Stunden setzten sie hunderte Tonnen Präzisionsmunition frei und untergruben Irans nukleare Infrastruktur.

Doch selbst diese massive Luftschlagwelle stieß an technische Grenzen: Tiefe Bunkeranlagen blieben außerhalb der Reichweite. Deshalb intensivierte Tel Aviv seine Zusammenarbeit mit Washington und forderte US-Bunkerbrecher-Munition an, um verborgen liegende Kernanlagen erreichen zu können. Im Hintergrund lief ein ebenso entscheidender diplomatischer Prozess: Im Mai 2025 fanden in Amman und Kairo heimliche Verhandlungen zwischen israelischen Militär- und Geheimdienstvertretern und Syriens Interimspäsident Ahmad al‑Sharaa statt. Erstmals ging es um die formelle Öffnung des syrischen Luftraums für Einsätze gegen Iran – ein Schritt, der Israels Kampffähigkeit deutlich erweiterte.

Mit dem neuen Überflugkorridor gewinnen Israels Kampfjets nicht nur Zeit, sondern auch Spielraum. Anstatt lange Routen über den Irak oder den Persischen Golf zu fliegen, können sie direkt in Richtung Natanz und Fordow steuern und dabei volle Bombenlasten mitführen. Die Reichweitenbegrenzung fällt weg und erlaubt Einsätze, die zuvor logistisch kaum realisierbar waren. Zudem reduziert die direkte Route den Bedarf an Luftbetankung deutlich. Zwar bleibt die IAF auf Tankflugzeuge angewiesen, doch das enge Zeitfenster und die kürzeren Flugdistanzen bedeuten, dass weniger Tanker notwendig sind und Kräfte schneller umgeschlagen werden können. Die verkürzten Flugrouten reduzieren den Bedarf an Luftbetankung und ermöglichen eine höhere Zahl an Einsätzen.

Ein weiterer Vorteil liegt in der operativen Sicherheit: Über Syrien operieren Tankflugzeuge und F-35I „Adir“ in freundlichem Luftraum, geschützt durch vorherige Absprachen. Dieser Korridor minimiert Risiken und ermöglicht eine nachhaltige Angriffsserie, die Irans Luftabwehr kontinuierlich unter Druck setzt. Für Damaskus war das Zugeständnis ein kalkulierter Pragmatismus: Solange Israel keine Angriffe gegen syrisches Territorium plante, blieb der syrische Himmel für IAF-Flugzeuge offen. Ein solches Arrangement verdeutlicht, wie eng militärische Abschreckung und Diplomatie inzwischen verzahnt sind.

In der israelischen Bevölkerung herrscht unterdessen eine Mischung aus Erleichterung und Zynismus. Der überwiegende Teil der Israelis, die ihr Leben lang in Angst vor einem iranischen Atomschlag verbracht haben und nun seit Jahren immer wieder Zuflucht in Schutzräumen oder in U-Bahnen suchen müssen, sehen in der jüngsten Luftoffensive einen überaus notwendigen Akt der Selbstverteidigung. Doch einige Veteranen warnen vor Übermut und unterstreichen den schmalen Grat zwischen Abschreckung und Eskalation und hoffen immer noch auf ein friedliches Miteinander, irgendwie. Wie realtitätsfern dieser Wunsch ist, offenbart jeder Staatsobere oder Anführer der Region, die zu keinem Zeitpunkt verhehlen, dass sie Israelis „ins Meer treiben“, sprich: vernichten wollen.

Während Tel Aviv seine Operationen offensiv vorantreibt, wählt Peking eine distanzierte Haltung. China verurteilte die Luftschläge als Verletzung iranischer Souveränität und forderte im UN-Sicherheitsrat einen sofortigen Waffenstillstand. Gleichzeitig lancierte Beijing diplomatische Appelle zur Deeskalation und leitete Evakuierungen eigener Staatsbürger auf dem Landweg ein, ohne Soldaten zu entsenden. Pekings Zurückhaltung entspringt nüchternen Interessen: China bezieht einen erheblichen Teil seines Öls aus Iran und kann eine Destabilisierung der Lieferketten nicht riskieren. Anders als Israel, das seine Existenz absolut bedroht sieht, misst Peking seine Macht vor allem an wirtschaftlichem Einfluss und internationaler Vermittlerrolle.

Dieses Nebeneinander von offensiver Prävention und defensiver Diplomatie markiert einen Wandel in der Machtarchitektur des Nahen Ostens. Israel demonstriert seinen Anspruch auf Lufthoheit und Frühwarnfähigkeit, während China als Mahner und Mittler agiert.

Analysten bewerten Israels Vorgehen als Höhepunkt der präventiven Doktrin, weil die Kombination aus gezielten Luftschlägen, Geheimdienstoperationen und diplomatisch abgesicherten Lufträumen eine außergewöhnliche Flexibilität schafft und den Abschreckungserfolg deutlich steigert. So stellen Beobachter fest, dass Israel mit der Operation „Rising Lion“ nicht nur einen massiven Schlag gegen iranische Nuklearanlagen landete, sondern sich zugleich die Lufthoheit über zentrale iranische Militärziele gesichert hat; eine seltene Errungenschaft, die weit über übliche Luftkampftaktik hinausgeht.

Gleichzeitig wird analysiert, dass sich der israelische Luftangriff nicht als isolierte Tat, sondern als koordinierte Manöverstrategie präsentiert: Angriff, Aufklärung und Versorgung wurden in enger Folge orchestriert.

Die künftige Herausforderung besteht darin, den strategischen Vorteil zu bewahren, ohne in eine umfassende Eskalation abzugleiten. Israel wird seinen Fokus auf ständige Weiterentwicklung der Luftabwehr und präventive Cyber-Initiativen legen, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und punktgenau zu bekämpfen.

Gleichzeitig bleibt die politische Komponente entscheidend: Israel muss seine diplomatischen Partnerschaften aufrechterhalten und ausbauen, damit militärische Maßnahmen nicht isoliert stehen und stets von breiter internationaler Unterstützung getragen werden. Nur so lässt sich ein Gleichgewicht zwischen effektiver Abschreckung und langfristiger Stabilität in der Region erzielen.

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