
Immer wieder muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Vorwurf gefallen lassen, er berichte einseitig und mit politischer Färbung. Und immer wieder liefert er seinen schärfsten Kritikern Beweise für diese Anschuldigungen. Der Rauswurf von Julia Ruhs als Moderatorin von „Klar“ zeigt jedoch eine neue Stufe der inhaltlichen Verweigerung. Die Moralinstanzen richten sich nicht mehr nur gegen äußere Bedrohungen, sondern auch gegen den kleinsten Widerstand von innen. NIUS protokolliert im Detail den Verlauf der Affäre.
Am neunten April startet im NDR die erste Folge der Klar-Serie. Das Thema: „Migration: Was falsch läuft“. Es geht um die Schattenseiten der Massenmigration, auch um die durch Zuwanderung ausgelösten Gewalttaten werden angesprochen.
Ruhs machte sich in der Medienwelt vor allem durch konservative Kommentare einen Namen.
Julia Ruhs, die 31-jähre Journalistin des Bayrischen Rundfunks, ist bis zu diesem Zeitpunkt vor allem dafür bekannt, dass sie im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Journalisten bei Themen wie Migration eine konservative, regierungskritische Position einnimmt.
„Für viele, gerade linke Redakteure im NDR, war ich von Anfang an ein Dorn im Auge“, sagt sie später im Interview mit dem Cicero. Doch nicht nur denen: Lange vor „Klar“, im Oktober 2023, beschwert sich der ehemalige Büroleiter von Ricarda Lang, René Engel beim Leserservice des NDR und BR. In seiner Nachricht an die Sender bezeichnete er die Art ihres Vortrages als „amateurhaft“.
Sein Hauptkritikpunkt aber: „Mit welcher Häme hier Gräben erschaffen werden, in welch lapidaren Ton und mit einem Zwinkersmiley hier über ein Thema, das auf fundamentale Weise das Leben vieler Menschen beeinflusst, kommuniziert wird, halte ich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für schier unwürdig und Frau Ruhs für offensichtlich charakterlich ungeeignet.“ Das gab er nun in der jüngsten Debatte um ihren Rauswurf zu.
Stenkerer der ersten Stunde: Ricarda Langs ehemaliger Büroleiter.
Zum Dämon wird Ruhs in der linken politmedialen Blase schon früh erklärt, doch wirklich gefährlich wird Ruhs erst nach der Ausstrahlung. Der ehemalige Tagesschau-Mitarbeiter Alexander Teske hat auf X nach der Ausstrahlung bereits eine böse Vorahnung: „Mal sehen wie lange sie Julia Ruhs ertragen.“
Spoiler: Nicht lange. In der Zentrale des NDR ist man nach bereits nach Ausstrahlung der ersten Sendung in Alarmbereitschaft.
Die letzte Folge der Klar-Serie ist gerade einmal eine Woche veröffentlicht, da rottet sich beim NDR bereits das Kollegium zusammen. An der internen Konferenz, die später als Gründonnerstags-Tribunal den Anfang vom Ende Julia Ruhs beim norddeutschen Sender setzt. Drei Stunden dauerte die Nachbesprechung, die als offene Manöverkritik geplant wurde und im Kritikhagel endete. Stolze 150 Teilnehmer nahmen an dem Verhör teil. Die Anklage: Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchaus vorhersehbar.
Weil Ruhs migrationskritisch berichtet, wird sie für ein absurden, aber nicht überraschenden Vorwurf angeklagt: Die Inhalte der Sendung seien nicht ausgewogen und zu stark emotionalisiert, außerdem liege der Fokus zu sehr auf konservativen Themen.
Ein gemeinsamer Protestbrief, unterzeichnet von 250 Mitarbeitern, wird gleich zu Beginn des Tribunals an die Chefredaktion übergeben. Die Aktion wird in einer geheimen Signal-Gruppe, ausgerechnet mit dem Namen „unklar“ organisiert, die Anklageschrift laut Informationen der Welt sogar während der Arbeitszeit verfasst. Darin werfen ihr die Kollegen vor, sie verletze „eine Reihe von Grundsätzen unserer journalistischen Arbeit und kommt unserem öffentlich-rechtlichen Auftrag gemäß NDR-Staatsvertrag nicht nach. Wir distanzieren uns daher von dieser Produktion und wünschen uns eine Aufarbeitung.“
Zu diesem Zeitpunkt weiß Ruhs bereits vom Widerstand gegen sie: „Ich habe natürlich von den Diskussionen gehört, auch wenn ich selbst nicht vor Ort war“, sagt sie später im Interview mit dem Cicero. Sie ist von den Angriffen der Kollegen enttäuscht: „Das ist für mich perfide, weil es nicht um fairen journalistischen Streit ging, sondern um gezielte Intrigen gegen die eigenen Kollegen“.
Als konservative Kommentatorin war Julia Ruhs Gegenwind gewohnt. Dass der nun auch so stark aus den eigenen Reihen kommt, ist aber neu.
Auch die linke Kampagnen-Organisation Campact startet zu diesem Zeitpunkt eine Petition zur Absetzung von Ruhs: Die Sendung wiederhole „rechtsextreme Talkingpoints und wirke daher wie Wahlwerbung für die AfD“, heißt es darin.
In den Wochen und Monaten darauf schalten sich die wichtigen Gesichter der öffentlich-rechtlichen Medienpolizei ein, allen voran Anja Reschke und Jan Böhmermann.
Ein paar Witze gegen die eigenen Kollegen? Für Jan Böhmermann ein echter Lachter.
Böhmermann sagt in seiner ZDF-Magazin-Ausgabe vom elften April in seiner gewohnt ironischen Art: „Wenn demnächst in ihrer Wehrsportgruppe oder beim AfD-Kinderturnen überraschend ein verzweifelter Redakteur vom NDR oder vom BR vorbeikommt und sie fragt, ob sie vielleicht Lust haben, ein eigenes journalistisches Klartext-Format im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu moderieren und sie sich dann unsicher sind, wie sie diesen ganzen rechtspopulistischen Quatsch in ihrer Birne als seriösen Journalismus verkaufen können, dann habe ich einen kleinen Tipp für sie.“
Es gebe einen Satz, mit dem man „jede noch so kleine Schweinerei, die einem durch die Rübe geht, jede Dummheit, jede Unmenschlichkeit, jeden Irrsinn als ernsthaft debattierbares Thema“ in den Medien verkaufen könne. Der Satz laute: „Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“ und wiederholte damit den ersten Satz der Klar-Folge.
Mal wieder in einem öffentlich-rechtlichen Skandal verwickelt: Moderator Georg Restle.
Am fünften Mai folgte eine Veranstaltung unter dem Titel „Die AfD im Programm. Eine Herausforderung für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk.“ Bei der Veranstaltung, an der auch Monitor-Chef Georg Restle und Sandra Goldschmidt, die im NDR-Rundfunkrat sitzt, teilnahmen, sei auch deutliche Kritik an Klar geäußert worden. Besonders brisant: „Die Veranstaltung wurde von Verdi in Zusammenarbeit mit Beschäftigten des NDR organisiert.“
Den größten Seitenhieb von Kollegenseite gab es jedoch von Anja Reschke. In einer Ausgabe von Reschke Fernsehen im Juli 2025 trat Anja Reschke gemeinsam mit einer Handpuppe auf, die mit satirischem Ton über Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprach. Die Puppe sagte: „Ihr sollt doch jetzt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk alle Meinungen zu Wort kommen lassen, auch wenn sie ein bisschen rechtsextrem sind“, woraufhin Reschke antwortet „klar“. Ein klarer Angriff auf Kollegen.
Reschke und Puppe in der Sendung vom 24. Juli.
Die NDR-Programmbereichsleiterin Carola Conze entschuldigte sich später: „Ich, bzw. wir bedauern, dass der Eindruck entstanden ist, die Redaktion von ‚Reschke Fernsehen‘ würde die Redaktion von ‚Klar‘ als rechtsextrem einschätzen“.
Dann ist es für kurze Zeit Still um Ruhs. Bis Welt am 17. September den inneren Widerstand des NDR gegen Ruhs öffentlich macht. Ausführlich berichtet der Sender über das Gründonnerstags-Tribunal sowie die Mitarbeiter-Absprachen im Vorhinein.
Kurze Zeit später folgt auch die Bestätigung des NDR: Der Norddeutsche Rundfunk und der Bayrische Rundfunk geben um 10 Uhr in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt, dass Julia Ruhs künftig nur noch die vom BR produzierten Aussagen von Klar moderieren wird.
Zunächst macht die Mitteilung den Eindruck, als gehe alles seinen bisherigen Gang: „Zukunft “KLAR” – Das NDR/BR-Format geht weiter“ titelt der NDR, nur um die Moderatorin ein paar Zeilen später vor die Tür zu setzen. Und zwar durch die Hintertür: „Die BR-Kollegin Julia Ruhs bleibt Teil des Moderationsteams für die Ausgaben des Bayerischen Rundfunks. Wer in Ergänzung zu Julia Ruhs die Ausgaben des NDR präsentiert, steht noch nicht fest.“
Ruhs selbst ist schockiert, als sie von der Entscheidung erfährt und rechnet noch am selben Tag im Interview mit dem Cicero ab: „Ehrlich gesagt war mein erster Gedanke: Das kann doch unmöglich wahr sein“. Sie fühlt sich von den Verantwortlichen des Norddeutschen Rundfunk im Stich gelassen. „Wirklich entscheidend wird es erst, wenn die höheren Hierarchien einknicken.“ Und genau das sei bei ihrem Rauswurf passiert: „Ich nehme an, dass die Senderführung schlicht keine Stärke gezeigt hat. Ich glaube, das Cancelling hängt letztlich daran, dass die Verantwortlichen oben einfach keine ‚Cojones‘ hatten, um das durchzustehen.“
Der Fall vereint sogar zwei Erzfeinde. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sagt einen Auftritt beim NDR am Mittwochabend ab und besucht stattdessen lieber eine Lesung von Ruhs. Laut dem Nachrichtenmagazin Politico erklärte Günther: „Der ÖRR erweist sich mit solchen Entscheidungen einen Bärendienst. Denn Menschen, die den demokratischen Parteien entgleiten, fühlen sich dadurch bestätigt.“ Auch sein Union-Widersacher Markus Söder deutete das Handeln als „kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit, Pluralität und Toleranz im öffentlich-rechtlichen NDR.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther nach der Veranstaltung mit Julia Ruhs.
Am Donnerstag legt eine der Strippenzieherinnen in der Affäre dennoch sogar noch einmal nach. Wie NIUS aus ARD-Kreisen erfuhr, habe es am Donnerstag noch einmal eine Telefonkonferenz zu dem Fall gegeben, in der Reschke sich laut einem Teilnehmer leicht amüsiert mit dem Satz zu Wort meldete: „Ist doch gut gelaufen!“
Der Hass der öffentlich-rechtlichen Blase bleibt auch nach der negativen Kritik ungebrochen: Hamado Dipama, Mitglied des Rundfunkrates des Bayrischen Rundfunks, schreibt auf Instagram über den Ruhs-Rausschmiss: „Die Unterwanderung durch Rechte und Neofaschisten in öffentlich-rechtlichen Medien muss gestoppt werden“. Sie ergänzt: „Julia Ruhs vertritt keinerlei journalistische Ethik“, sondern verfolge eine politische Agenda: „rassistisch, rechts und spaltend“.
Hamado Dipama schwingt bei Kritik an Migration scheinbar schnell mit der Rassismus-Keule.
Andere versuchen sich in Unschuld zu waschen. Restle sagt im Podcast mit Paul Ronzheimer: „Da wird behauptet, ich sei einer der Drahtzieher, was totaler Quatsch ist, weil ich damit überhaupt nichts zu tun habe und mich dazu weder intern noch extern geäußert habe“.
In der politischen Landschaft ruft der Rauswurf weitere Reaktionen hervor. Noch am selben Tag fordert CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann inne grundlegende Kurskorrektur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sagte bei Welt, die Debatte rund um Ruhs sei ein neuer „Tiefpunkt in Sachen Debattenkultur in Deutschland.“ In Deutschland dürfe man nicht mehr alles sagen, „ansonsten wird man in eine bestimmte Ecke gestellt“, so der Politiker.
Fordert eine Wende beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.
Einen Tag darauf findet FDP-Mann Wolfgang Kubicki noch einmal drastischere Worte: „Ich bin dafür und werde meine ganze Macht dafür einsetzen, dass die Staatsverträge über den NDR gekündigt werden, weil nur so eine Reform wirklich möglich ist“. Übersetzt wäre das das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Wie weit es der NDR getrieben hat, wurde deutlich, als sich in seinem Podcast sogar der ansonsten eher linksliberale Medienmann Micky Beisenherz kritisch äußerte: „Da kannst du 30 Sendungen mit Georg Restle vom Monitor senden, um die Demokratie zu stärken – den Schaden, den die da angerichtet haben, das ist wirklich der absolute Wahnsinn.“
ÖRR-Kritik von ungewohnter Seite: Micky Beisenherz nahm die Journalistin in Schutz.
Der Chefredakteur des WDR, Stefan Brandenburg, bezeichnete das Vorgehen gegen Ruhs als „ein Desaster mit Ansage“.
Während der Debatte kam irgendwann die Frage auf, wer denn nun eigentlich die Nachfolge von Die FAZ fragte beim NDR an, wer die Moderation nun weiterführen soll. Zwar antwortete der Sender, dass nicht feststehe, wer in die Fußstapfen von Julia Ruhs tritt, aber „dem Vernehmen nach soll die neue Sendung aus der Abteilung kommen, die auch das Magazin ‚Reschke Fernsehen‘ verantwortet“, schreibt die FAZ.
Bis zur Verkündung der neuen Moderation sollte es dann nicht mehr lange dauern. Wie am Freitag bekannt wurde, wird Tanit Koch in die Fußstapfen der jungen Konservativen treten. Der Sender freut sich: „Mit Tanit Koch haben wir eine versierte Journalistin und meinungsstarke Moderatorin für Klar gewonnen“, sagte die stellvertretende Programmdirektorin.
Wird bald noch stärker im medialen Blickfeld stehen: Ruhs Nachfolgerin Tanit Koch.
Hätten sie die mit Julia Ruhs nicht auch so schon gehabt? Der Fall wirft Fragen im Umgang der Öffentlich-Rechtlichen mit ihren Mitarbeitern auf. Nicht ausgeschlossen, dass die Zwangsgebühren-Sender an ihrer Beantwortung langfristig zerbröseln könnten. Denn dass die Feinde von Julia Ruhs so schnell die öffentlich-rechtlichen Redaktionsstuben verlassen, ist äußerst unwahrscheinlich.