Ist in Deutschland möglich, was in Amerika möglich ist?

vor 3 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Ein Gastbeitrag von Ulrich Vosgerau

Die politischen Systeme in Deutschland und den USA unterscheiden sich grundlegend. Das amerikanische System ist in der Tat von der starken und manchmal entscheidenden Stellung des Präsidenten geprägt, der zwar – aus historischen Gründen, und die Amerikaner ändern ihre Verfassung nur ungern und selten und halten daher vielfach auch an alten Zöpfen fest – nicht direkt, sondern durch ein Wahlmännersystem, aber jedenfalls vom Volk gewählt wird.

In Deutschland steht trotz der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers – die jedoch nur innerhalb der Regierung besteht – der Deutsche Bundestag im Mittelpunkt des politischen Geschehens, sofern es um die Bundesebene geht. Grund dafür ist, dass bei uns der Bundestag das einzige Staatsorgan ist, das unmittelbar demokratisch legitimiert ist, eben durch die Bundestagswahl.

Einzig der Bundestag ist direkt demokratisch legitimiert.

Die übrigen Staatsorgane, zum Beispiel die Regierung, sind ebenfalls demokratisch legitimiert, aber nicht direkt, sondern durch „Legitimationsketten“, ein Begriff, der aus der Theologie ins Staatsrecht übernommen wurde. Also: Das Volk wählt den Bundestag, dieser wählt den Bundeskanzler, dieser läßt durch den Bundespräsidenten, der aber insofern kein Mitspracherecht hat, seine Minister ernennen. Auch Abgeordnete, die keinen Wahlkreis gewonnen haben, sondern nur über die Landesliste einer Partei in den Bundestag gekommen sind, sind im verfassungsrechtlichen Sinne „direkt“ gewählt.

Entscheidend ist insofern nur, dass keine Wahlmänner oder Delegierten zwischen dem Wählerwillen und der Wahl eines Abgeordneten eingeschaltet sind.

Der amerikanische Präsident wird, wie gesagt, durch Wahlmänner gewählt, jedoch haben diese keine eigene Entscheidung; ihre Einschaltung ist eine reine Formalie, sie müssen (in fast allen Bundesstaaten) so abstimmen, wie in ihrem Bundesstaat eben die Abstimmung ausgegangen ist. Insofern lässt sich sagen, dass der amerikanische Präsident quasi-direkt gewählt wird. In den meisten Bundesstaaten müssen die Wahlmänner alle für denjenigen Kandidaten stimmen, der in ihrem Staat eben die Mehrheit hat, in einigen Bundesstaaten ist hingegen vorgesehen, dass die Stimmabgabe der Wahlmänner die prozentualen Verhältnisse der Wahl widerspiegelt.

Die starke demokratische Legitimation des amerikanischen Präsidenten geht Hand in Hand mit seiner prägenden Stellung im politischen System, die USA sind (ähnlich wie Frankreich) eine Präsidialdemokratie.

Die Bundesrepublik Deutschland ist hingegen eine parlamentarische Demokratie.

So hat das Bundesverfassungsgericht seit 1994 in ständiger Rechtsprechung immer wieder entschieden, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr nur aufgrund eines entsprechenden, „konstitutiven“ Beschlusses des Bundestages möglich ist. Die Bundeswehr sei, meint das Gericht, eine „Parlamentsarmee“! In den USA ist hingegen der Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Schon am Abend seiner Ernennung hat Präsident Trump eine lange Reihe von Präsidialdekreten unterzeichnet. Diese Dekrete sind verbindliche Anordnung des Präsidenten für die Mitarbeiter der Exekutive; Sie dürfen natürlich Recht und Gesetz nicht widersprechen, präzisieren jedoch die Auslegung bestehender Gesetze und entwickeln sie nicht selten in der Sache auch weiter. Vergleichen wir diese Praxis mit der deutschen Verwaltungspraxis, so scheint ein Dekret irgendwo zwischen einer Weisung, einer Rechtsverordnung und einem behördeninternen Erlass (durch den Beamte zum Beispiel zu einem bestimmten Verständnis oder einer bestimmten Auslegung einer bestehenden Rechtsnorm verpflichtet werden).

Trump hat am ersten Tag seiner Amtszeit Dutzende „Executive Orders“ unterschrieben.

Vergleiche hinken allerdings; denn in Deutschland gilt, wie gesehen, die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nur gegenüber den Ministern seiner Regierung und betrifft die „großen Linien“, wohingegen die Ressortzuständigkeit stets beim Fachminister bleibt. Und da in Deutschland Regierungen erfahrungsgemäß immer Koalitionsregierung sind, versucht jeder Fachminister sein Ressort auch in Gemäßheit seiner eigenen Parteifarbe zu prägen, und bei Konflikten entscheidet in 99 Prozent der Fälle eben nicht der Bundeskanzler kraft Richtlinienkompetenz – denn dann würde jede Koalition sehr bald platzen – sondern vielmehr der „Koalitionsausschuß“, also ein gemeinsames Gremium der Spitzenleute der jeweiligen Koalitionsparteien.

Schauen wir uns nun einige der Maßnahmen des neuen US-Präsidenten unter dem Gesichtspunkt an, ob eine neue Bundesregierung mit einem neuen Kanzler an der Spitze ähnliches ins Werk setzen könnte:

Begnadigung von Straftätern. Das Begnadigungsrecht hat im Bund allein der Bundespräsident (wohingegen der amerikanische Präsident gewissermaßen Bundeskanzler und Bundespräsident in einer Person ist). Bereits im Grundgesetz steht, daß dieses nur „im Einzelfalle“ ausgeübt werden kann, eine vorher angekündigte „Massenbegnadigung“ einer nach hunderten zählenden Gruppe von Straftätern, zumal, um damit eine vermeintliche Fehlentscheidung der Justiz zu korrigieren, wäre in Deutschland verfassungswidrig.

Der Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ist im Falle der USA eigentlich gar nicht erforderlich gewesen, er war reine Symbolpolitik (die macht Trump aber gern). Denn: anders, als deutsche Medien es gern berichten (um die Leute von der vermeintlichen „Alternativlosigkeit“ der zügigen Deindustrialisierung Deutschlands zu überzeugen) enthält das Klimaschutzabkommen keine völkerrechtlich verpflichtenden CO2-Einsparungsziele der Nationen. Viele Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, haben jedoch in seinem Nachgang politische Selbstverpflichtungen zu Protokoll gegeben. Diese haben jedoch nicht der Charakter bindenden Völkervertragsrechts, d.h. sie könnten morgen auch wieder einseitig widerrufen werden, ohne dass ein anderer Staat hiergegen klagen oder gar der UN-Sicherheitsrat dagegen einschreiten könnte. Ganz anders stellt sich die Lage jedoch in Deutschland dar, und zwar aufgrund des berüchtigten Klimaschutz-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Das Wort „Klimaschutz“ kommt im Grundgesetz nicht vor, Art. 20a erhebt den „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ jedoch in den Rang eines Staatsziels, das eben im Rahmen von Recht und Verfassung von der Bundesregierung zu verfolgen ist, ohne aber deswegen z.B. Grundrechtseingriffe zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auf die Verfassungsbeschwerde von Umweltorganisationen hin die politischen Selbstverpflichtungen Deutschlands in das „Staatziel Umweltschutz“ hineingelesen und geurteilt, die Erreichung der entsprechenden Klimaschutzziele sei geltendes Verfassungsrecht, wodurch praktisch alle Grundrechte (denn fast jede Grundrechtsauübung von Bürgern und Produzenten führt letztlich auch zum Ausstoß von CO2) empfindlich eingeschränkt werden können.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Klimaschutz in Deutschland zum „Staatsziel“ erhoben.

Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von keiner anderen Instanz (auch nicht vom EuGH oder dem Europäischen Gerichthof für Menschenrechte) korrigiert werden kann, könnte man ihren fatalen Auswirkungen auf den freiheitlichen Staat und seine Exportwirtschaft auf den ersten Blick nur durch eine Verfassungsänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat entkommen. Eigentlich müsste der Entscheidung jedoch auch durch einen Austritt Deutschlands aus dem Pariser Klimaschutzabkommen sachlich der Boden entzogen werden können, und das ginge einfacher. Denn nach herrschender Meinung könnte eine neue Bundesregierung aus dem Klimaschutzvertrag auch wieder austreten (und nichts anders gilt entsprechend vom WHO-Vertrag). Der Umstand, dass der Bundestag den völkerrechtlichen Vertrag seinerzeit ratifiziert hat, soll zu keinem neuen Mitspracherecht des Bundestages beim Austritt aus dem Vertrag führen. Diese herrschende Meinung wird freilich von einer Mindermeinung im Staatsrecht in Abrede gestellt. Und dieser muss man zugeben, dass in diesem Einzelfall manches für sie spricht: Denn immerhin hat das Bundesverfassungsgericht – war es auch von allen guten Geistern verlassen! – den fraglichen völkerrechtlichen Vertrag zu einer grundlegenden Neudeutung des deutschen Verfassungsrechts überhaupt herangezogen. Und unter diesem Gesichtspunkt müsste man dann vielleicht auch den Bundestag fragen. Vom WHO-Vertrag gilt das allerdings nicht.

Was die Ausrufung eines nationale Notstandes an der Grenze zu Mexiko angeht, so könnte in der Tat auch die Bundesregierung (als Kollegialorgan unter Führung des Bundeskanzlers) den Einsatz der Bundeswehr im Innern beschließen – sofern eine Naturkatastrophe oder ein Unglücksfall (dieser kann auch in vorsätzlichem menschlichen Handeln bestehen) das Gebiet mehr als eines Bundeslandes bedroht. Dem könnte dann der Bundesrat – wenn er andere Ansicht ist – allerdings wirksam entgegentreten. Im übrigen gilt, dass es zur Bekämpfung des Einwanderungsnotstandes in Deutschland schon genügen würde, Recht und Gesetz einfach nur wieder anzuwenden. In Art. 16a Grundgesetz und Art. 18 Asylgesetz steht deutlich, dass niemand, der auf dem Landweg nach Deutschland einzureisen versucht, um hier einen Asylantrag zu stellen, überhaupt ins Land gelassen werden dürfte; diese Regelung ist das Ergebnis des „Asylkompromisses“ von 1992/93. Da es allerdings personalmäßig kaum zu leisten wäre, auch die „grüne Grenze“ Deutschlands Tag und Nacht zu bewachen, wäre über bauliche und technische Grenzsicherungsmaßnahmen nachzudenken, wie sie der Politologe und Geheimdienstausbilder Martin Wagener bereits vor Jahren gefordert hatte und wie es sie an der Grenze zwischen den USA und Mexiko bereits gibt. Dafür wäre dann allerdings wohl wieder eine gesetzliche Grundlage erforderlich, also durch eine Mehrheit im Bundestag.

Die Bundespolizei allein wird die „grüne Grenze“ nicht gänzlich überwachen können.

Fracking ist in Deutschland gesetzlich verboten; hieran könnte ein neuer Bundeskanzler unmittelbar nichts ändern, sondern der Bundestag müsste – wohl mit Zustimmung des Bundesrates – die Rechtslage ändern. Da in Deutschland ein Bundeskanzler (anders als ein US-Präsident) denknotwendig die Mehrheit im Bundestag hinter sich haben muss, denn dieser muss ihn ja gewählt haben, würde ein neuer Bundeskanzler mit entsprechendem Programm wohl entsprechende Gesetzesänderungen ins Werk setzen können. Dies würde dann im Ergebnis natürlich einige Monate in Anspruch nehmen und könnte nicht am Abend der Amtseinführung bewältigt werden. Nichts anderes gilt für die Wiedereinführung der Kernenergie in Deutschland, deren Nutzung jedenfalls zur Stromerzeugung derzeit gesetzlich verboten ist. Auch über das Staatsbürgerschaftsrecht und das Recht der Einbürgerung entscheidet in Deutschland der Bundestag (erst gerade gab es hier eine unsägliche Reform).

Im Mittelpunkt des Interesses des neuen US-Präsidenten scheint allerdings derzeit das Recht der Zölle und der internationalen Handelsabkommen zu stehen, Dekrete sehen hier noch keine unmittelbaren Maßnahmen vor, aber eine umfassende Neubewertung der Situation durch die Fachverwaltungen und die Vorbereitung sogar der Aufkündigung wichtiger Handelsabkommen vor. Insofern gibt es keine Parallele zu Deutschland; denn was Zölle und Außenhandel sowie speziell internationale Handelsabkommen angeht, hat Deutschland seine staatliche Souveränität nicht etwa an die Brüsseler EU-Zentrale abgetreten, sie jedoch dieser bis auf weiteres, zuletzt durch den Vertrag von Lissabon (2008), „zur Ausübung überlassen“. Das heißt, die deutsche Zoll- und Handelsabkommenpolitik beschränkt sich auf die Mitwirkung der Bundesregierung an der Entscheidungsfindung der EU in Brüssel, wo allerdings Deutschland – als hauptsächlicher Nettozahler der EU! – gewiss eine gewichtige Rolle spielt, die in Zukunft auch noch beträchtlich ausgebaut werden könnte. So zum Beispiel durch die Ankündigung, im Falle einer für Deutschland ungünstigen EU-Politik eben kaum mehr Gelder nach Brüssel überweisen zu können.

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