Japans Schulden-Katastrophe könnte auch Deutschland in Zukunft drohen

vor etwa 6 Stunden

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Am Freitag meldete das japanische Wirtschaftsministerium einen überraschenden Einbruch der Konjunktur der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt. Nach Angaben des Ministeriums schrumpfte die Wirtschaft allein im ersten Quartal des laufenden Jahres um 0,7 Prozent. Bereits im vergangenen Jahr stagnierte der einstige Industriemotor Asiens.

Doch kommt dieser Konjunktureinbruch tatsächlich überraschend? Nichts scheint sich so recht bewegen zu wollen im Land des Lächelns, in dem einem mit dem Blick auf ökonomische Makrodaten eher traurig zumute wird.

Tauchen wir etwas tiefer ein in das Zahlenwerk Japans, so wird deutlich, dass es sich bei dem Land um eine Art Blaupause für die Ökonomien alternder Gesellschaften handelt. Japan blickt zurück auf eine Dekade sinkender Bevölkerungszahlen. Bis 2065 wird die Bevölkerung aller Voraussicht nach von derzeit 126 auf dann nur noch 88 Millionen schrumpfen – ein demografischer Kollaps, der sich in wachsender Staatsverschuldung sowie stagnierender Produktivität entlädt und in zunehmendem Maße die Renten- und Krankenversicherungen unter Stress setzt. Japan hat heute bereits die älteste Bevölkerung der Welt mit einem Anteil der über 65-Jährigen von 29 Prozent. Das Durchschnittsalter liegt derzeit bei 46,3 Jahren.

Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil der Hochbetagten bei etwa 25 Prozent und das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei 44,6 Jahren. Japan ist uns, so schätzen Demografieforscher, etwa 10 bis 15 Jahre in der demografischen Entwicklung voraus. Beide Populationen sind auf absehbare Zeit mit Fertilitätsraten von deutlich unter 2,1, der stabilisierenden Zahl von Kindern pro Frau, in diesem demografischen Gefängnis verhaftet, blenden wir Zuwanderung an dieser Stelle einmal aus. Sie ändert selbstverständlich quantitative und qualitative Parameter.

Japan bietet uns Deutschen folglich interessantes Anschauungsmaterial, gleichsam einen Blick in die Zukunft unseres Landes. Was einem im Parkourritt über das makroökonomische Feld Japans unmittelbar ins Auge fällt, ist die gigantische Staatsverschuldung, die mit über 250 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung im globalen Vergleich unerreicht ist. Keine andere Industrienation steht vor einem auch nur vergleichbaren Schuldenberg. In der Eurozone beispielsweise liegt die durchschnittliche Verschuldung der Staaten bei 95 Prozent. Das ist auch kein Ruhmesblatt, scheint aber im Vergleich zu Japan immer noch in kontrollierbaren Höhen zu pendeln.

Dass der japanische Staat zum größten Teil bei seiner eigenen Bevölkerung verschuldet ist, dass Banken und Zentralbank, Staatsfonds und Pensionskassen traditionell treu zur japanischen Anleihe stehen, hilft dabei, diesen Schulden-Mount Everest liquide zu halten. Es ist der japanischen Notenbank bis vor wenigen Monaten auch gelungen, die Zinslast des Staates niedrig zu halten. Allerdings waren massive Interventionen am Anleihenmarkt nötig, die seit 2013 deutlich akzelerierten.

Etwa die Hälfte der gesamten Staatsschulden ruhen inzwischen auf der Bilanz der Bank of Japan – sie hat damit einen Präzedenzfall für Staaten geschaffen, die sich weigern, den demografischen Wandel entsprechend in Kürzungen der Sozialbudgets abzubilden. Auch in Deutschland zeichnet sich dieser Tage eine ähnliche Reaktion der Politik auf das stagflatorische Umfeld ab, das kennzeichnend für langsam kollabierende Populationen ist: Bundeskanzler Friedrich Merz‘ politischer Fluchtpunkt in der prekären ökonomischen Lage Deutschlands ist das groß angekündigte Schuldenprogramm von einer Billion Euro.

Deutschland soll von derzeit 63 auf dann etwa 95 Prozent Staatsverschuldung katapultiert werden, um mit zentral geplanten Infrastrukturinvestitionen und einem höheren Wehretat aus der Wachstumsfalle zu klettern. Dass große Teile dieses neuen Kredits genutzt werden, um die aufreißenden Löcher in den Sozialkassen zu stopfen und das höchst defizitäre Gesundheitswesen zu finanzieren, verschwieg der Kanzler wohlweislich bei der Vorstellung seines Budgetplans.

Zurück nach Japan. Im Windschatten seines großen demografischen Strukturbruchs rutschte Japan über Jahre hinweg in eine deflatorische Ökonomie: Eine sinkende Anzahl von Konsumenten setzt die Produzentenseite unter Anpassungsdruck, Kapazitäten zurückzufahren. Die Sparquote sinkt, es wird weniger investiert. Gleichzeitig steigen aber die Sozialkosten immer weiter an. Das kennen wir aus Deutschland, das seine Sozialkostendynamik längst durch hohe Bundeszuschüsse oder, wie im Falle der Krankenversicherung, durch Zwangsabgaben aus der privaten Versicherung, notdürftig übertüncht. Auch Japan entschloss sich, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, verteidigte sein Wohlfahrtsniveau und rutschte so immer tiefer in die Verschuldung ab

Im Kampf gegen die anhaltende Deflation der vergangenen Dekade, initiierten Staat und Notenbank Japans außergewöhnliche Konjunkturimpulse. Schuldenfinanzierte Stimulus-Programme sollten den Bann der geradezu eingefrorenen japanischen Ökonomie brechen – doch nichts half. Zurück blieb besagter Schuldenberg, der bis vor wenigen Monaten auch auf den internationalen Kapitalmärkten wenig Beachtung fand. Doch wie es in der Ökonomie so häufig der Fall ist, kann ein vermeintliches Gleichgewicht unvermittelt in eine Situation des Kontrollverlusts umschlagen.

Jahrelang funktionierte der eingespielte Mechanismus: Die Wirtschaft stagnierte oder wuchs marginal, die Menschen akzeptierten längere Arbeitszeiten, Preise fielen leicht und das Zinsniveau pendelte um die Nullmarke. Der stabile japanische Yen hielt auch eine mögliche Inflation über den Importsektor in Schach – Japan galt als „Safe Haven“ Asiens, auch im Bereich der Finanzmärkte, die einen jahrelangen Boom und Kapitalzustrom erlebten.

Doch mit dem Ende der Corona-Krise setzte eine starke Abwärtsbewegung des Yen ein. Die drastischen Zinserhöhungen der amerikanischen Notenbank wirkten wie ein Katalysator auf den Anleihenmarkt, der eine Kapitalbewegung angestoßen hat, die bis heute anhält und Politik und Notenbank in Tokio vor einen scheinbar unlösbaren Problemkomplex stellt. Diese Kapitalflucht schwächte zunächst die heimische Währung, Importpreise stiegen massiv und erstmals nach zwei Jahrzehnten erlebt Japan seit 2022 wieder eine allgemeine Inflation.

Die Gemengelage aus steigenden Preisen, sinkenden realen Anleiherenditen und stagnierender Ökonomie befeuert seit einigen Monaten den Abverkauf japanischer Schuldtitel. Zinsen steigen in der Folge. Die 10-jährigen Staatsanleihen notieren inzwischen nahe an der Marke von 1,5 Prozent – muss der Staat seinen Schuldenberg in die Zukunft rollen, wird es teuer und der Staatshaushalt geht tiefer in die Knie. Wer bislang auf ein Comeback der japanischen Wirtschaft und ein steigendes Steueraufkommen gehofft hatte, erlebte am Freitag bei der Präsentation der Rezessionszahlen eine kalte Dusche. Japan rutscht in die Rezession.

Die Notenbank sitzt in diesem Moment in der Falle. Erhöht sie die Zinsen, um die weiter steigende Inflation zu bekämpfen und den Yen zu stützen, droht der Wirtschaft der Kreditkollaps durch steigende Refinanzierungskosten. Gleiches gilt für den Schuldenberg des Staats und seiner Sozialkassen. Verharrt sie im expansiven Modus, trocknen die japanischen Kapitalmärkte mit der Zeit aus aufgrund zu geringer Renditeerwartung und steigender Inflationsgefahr. Der Markt hat derweil den Daumen gesenkt und weist die immer neuen Ankündigungen von Zinserhöhungen durch die japanische Notenbank mit massiven Abverkäufen von Staatsanleihen zurück.

Der Fall Japans macht deutlich, dass Geldpolitik Zeit kaufen kann, aber keine strukturellen Probleme zu lösen vermag. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Monaten, sollte sich die globale Wirtschaft weiter abschwächen und auch der japanische Export einen Dämpfer erleiden, ein weiteres trauriges Kapitel Finanzmarktgeschichte erleben werden. In dieser Situation bleibt der Notenbank im Grunde nur die Option, durch massive Interventionen und Anleihenkäufe, einen Kollaps des Schuldenbergs und damit der Staatskasse zu verhindern. Sie bannt auf diese Weise die Volatilität des Kreditmarkts in den Inflationsmechanismus und bürdet der Bevölkerung die Kosten verschleppter Reformen nachträglich auf. Könnte es einen Schuldenschnitt geben? Der würde implizieren, dass man die eigene Bevölkerung offen enteignet und Pensionskassen ins Chaos stürzt.

Blickt man durch die deutsche Brille auf diese vertrackte Lage, müsste man einen unmittelbaren Reformprozess erwarten. Soziale Härten, der Rückbau des Wohlfahrtsstaats für alle, der Aufbau kapitalgedeckter Eigenvorsorge und Abgabenentlastungen sollten zügig angegangen werden, um einen japanischen Klimax zu vermeiden. Doch glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass diese Koalition, in einer scheinbar stabilen Situation, zu einem solchen Richtungswechsel bereit wäre? Merz, Klingbeil und Co. arbeiten derweil am Ausbau der Wohlfahrtsleistungen, feilen an der Klimatransformation und befassen sich mit Fragen des Mindestlohns und des Mietendeckels. Es wird alles dafür getan, eine wirtschaftspolitische Wende zu Wachstum und Wohlstand zu verhindern. Deutschland bewegt sich mit Ansage in Richtung japanischer Verhältnisse.

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