Jens Spahns kleptokratische Maskendeals – und warum gerade jetzt „Haltet den Dieb“ gerufen wird

vor etwa 9 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die im ersten Corona-Jahr 2020 getätigten, milliardenschweren Maskeneinkäufe des damaligen Gesundheitsministers und heutigen Unionsfraktionschefs Jens Spahn (CDU) haben TE von Beginn an auf den Plan gerufen. Es geht um fast sieben Milliarden Euro, von denen offenbar rund zwei Drittel am Ende „für die Katz“ ausgegeben waren.

Hier können zahlreiche TE-Beiträge dazu seit 2021 nachgelesen werden:

Nun ist ein von Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) als Gesundheitsminister im Sommer 2024 bei Margaretha Sudhof (SPD, 66, vormals Staatssekretärin im Land Berlin und dann im Bund) in Auftrag gegebener Sachverständigen-Bericht zu den 2020er Masken-Deals auf verschlungenen Wegen bekannt geworden. Zunächst als Verschlusssache, dann mit geschwärzten Passagen, schließlich ohne Schwärzungen. Damit ist etwas Licht in die Sache gekommen. „Etwas“ – aber nicht das Licht, das angemessen wäre.

Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 kaufte das von Spahn geführte Bundesministerium für Gesundheit (BMG) spontan Mund-Nasenschutz-Gesichtsmasken. Der Bundesrechnungshof (BRH) kritisierte später diese Beschaffung. Ausgehend von einem laut BRH angemessenen Drei-Monats-Bedarf von 75 Millionen FFP2-Masken und 200 Millionen OP-Masken wurden von Spahns Ministerium insgesamt 5,8 Milliarden Masken beschafft.

Ab dem 25. März 2020 bot das von Spahn geführte BMG online über die Generalzolldirektion ohne Ausschreibung (jeder Anbieter erhält einen Vertrag) an, 4,50 Euro für FFP-2-Masken und 60 Cent für OP-Masken zu bezahlen. So kamen 733 Verträge mit einem Volumen von mehr als 6,4 Milliarden Euro zustande.

Ein Teil der Masken war mangelhaft, etwa 96 Millionen wurden später etwa an Pflegeheime verschickt, begleitet mit dem Hinweis, dass diese Masken nur im Notfall zu verwenden seien. Im Juni 2020 wurde zudem bekannt, dass das BMG einen großen Teil der nutzlosen Masken an Menschen mit Behinderung, Obdachlose und Hartz-IV-Empfänger verschenken wolle.

Eingefädelt haben die vier Verträge mit EMIX die Tochter des früheren CSU-Spitzenmanns Gerold Tandler, Andrea Tandler, und Monika Hohlmeier (CSU), Tochter des CSU-Urgesteins Franz Josef Strauß, mittlerweile Mitglied des Europäischen Parlaments. Andrea Tandler wurde im Zusammenhang mit Maskenkäufen Ende 2023 übrigens vom Landgericht München I zu 4 Jahren und 5 Monaten Gefängnis wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Sie hatte für ihre Maskengeschäfte 48,3 Millionen Euro Provision kassiert und 7,8 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Weil sie Revision eingelegt hat, behandelt der Bundesgerichtshof seither den Fall. Hohlmeier bekräftigte, dass sie nur vermittelnd tätig gewesen sei – ohne Gegenleistung. Mit dem “lieben Jens – Deine Monika“ hat sie aber immerhin in der Sache kommuniziert. (Siehe Bericht S. 44.) Sudhof nimmt hier Bezug auf den Abschlussbericht des von 2021 bis 2023 tätigen Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags zur Maskenaffäre. Dort erfährt man auf 723 Seiten viel über die Firma EMIX, die mit Masken vermutlich dreistellige Millionengewinne gemacht hat.

Nicht nur am Rande: Eingekauft – konkret 570.000 FFP2-Masken – wurde zudem qua Open-House-Verfahrens auch bei der Burda GmbH, dem Arbeitgeber von Daniel Funke, dem Ehemann von Spahn.

Anfang Juni 2025 nun wurde der 170-Seiten-Bericht der Sonderermittlerin Sudhof (SPD) in kleineren parlamentarischen und medialen Zirkeln immerhin in Auszügen bekannt. Die 170 Seiten belegen, dass durch Spahns Maskenbeschaffung ein Milliardenschaden entstanden ist. Aber nicht nur das: Unter anderem hatte Spahn dem Logistikunternehmen Fiege aus seinem NRW-Nachbarwahlkreis ohne Ausschreibung einen Auftrag zur Maskenbeschaffung erteilt. Gegen den Rat des für Logistik zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI). Vorbei auch am Beschaffungsamt des Verteidigungsministeriums (BMVg).

Die seit 7. Mai 2025 amtierende Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) weigerte sich zunächst, den Sudhof-Bericht dem Bundestag vorzulegen. Ministerin Warken legte den Bericht dem Haushaltsausschuss nur in teilweise geschwärzter Form vor. Am 25. Juni 2025 stand Spahn dem Haushaltsausschuss Rede und Antwort. Warken warf dem Sudhof-Bericht methodische Mängel vor. Politiker der Opposition forderten Spahns Rücktritt und erklärten, Spahn stehe im Verdacht des „Machtmissbrauchs im Amt“.

Bei dem auch TE vorliegenden ungeschwärzten 170-Seiten-Bericht kommt Spahn gar nicht gut weg. Spahns Behauptung, er sei 2020 nicht vor den Maskengeschäften gewarnt worden, stimmt offenbar nicht. Spahns Sprecher sagte BILD, Spahn selbst habe mehrfach öffentlich erklärt, dass es Bedenken aus seinem eigenen früheren Ministerium gegeben hatte. Auf Seite 40 des Berichts wird beschrieben, wie der Haushaltsbeauftragte des BMG versuchte, das Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) einzubinden. Spahn ignorierte es wohl. All dies wurde in Fußnoten auf Seite 40 belegt – und dann geschwärzt. Geschwärzt wurde im Sudhof-Bericht zunächst auf Seite 27 auch der Name des Logistik-Unternehmers Fliege aus Spahns Nachbarwahlkreis. Die Seiten 45 – 48 wurden gar komplett geschwärzt.

Geschwärzt wurden viele Wörter, Namen, auch Dutzende Fußnoten. Auf Seite 46 etwa die Fußnote: „Förmliche Verträge …. konnten bisher nicht aufgefunden werden, jedoch diesbezüglicher Emailaustausch ….“ Offizielle Begründung der Schwärzungen: Schutz von Persönlichkeitsrechten und laufenden Verfahren. Warken ließ also Spahn-Spuren schwärzen. Um ihren Vorvorgänger und Parteifreund Spahn zu schützen? Damit gerät nicht nur er, sondern auch sie als aktuelle Gesundheitsministerin unter Druck. Da fragt sich, ob mit dieser Geheimniskrämerei der Skandal nicht erst noch größer geworden war.

Die „Grünen“ meinen nun, in der Sache Oberwasser zu bekommen. Deren Gesundheitsexperte Janosch Dahmen: „Der ungeschwärzte Bericht zeigt schwarz auf weiß: Spahn hat systematisch gelogen.“ Er zeige außerdem, dass Ministerin Warken an mehreren Stellen gezielt geschwärzt hat – „mit dem offensichtlichen Ziel, die Verantwortung von Jens Spahn und weiteren Mitgliedern der Union zu verschleiern“. Die grüne Haushälterin Paula Piechotta ergänzt: „Wir müssen heute erkennen, dass uns Jens Spahn und Nina Warken mit hoher Wahrscheinlichkeit angelogen haben. (…) Es stinkt zum Himmel und niemand sollte Jens Spahn auch nur noch einen einzigen Satz glauben…“

Der investigativ recht aktive Abgeordnete Fabio de Masi (vormals „Linke“, jetzt BSW) schreibt dazu am 5. Juli richtigerweise: „Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Dass Spahn überteuert Masken von Emix und Co nachgeordert hat, als diese gar nicht mehr benötigt wurden, ist seit vier Jahren bekannt. Es ist gut wenn das jetzt auch jene Leute empört (z.B. die Grünen), die damals nicht einen Finger krümmten, weil sie von schwarz-grün träumten. Ich habe dies vor vier Jahren über Monate in parlamentarischen Anfragen thematisiert – inclusive der Fiege-Aufträge. Damals wurden Nachfragen von mir ua mit dem Verweis auf vermeintliche Gerichtsverfahren abgewiesen! Im Falle von EMIX vermutlich eine Lüge. Der Sudhof-Bericht hat ein paar neue Details ans Licht gebracht und da die Grünen nun nicht mit am Regierungstisch sitzen dürfen, haben auch die Leitmedien mehr Wumms in der Story. Man sollte allerdings nicht so tun als hätte man jetzt erst eine Weltneuheit entdeckt. Vor Jahren sprangen grüne Politiker Jens Spahn auch noch bei, man solle keine Nachfragen zu seinem Villen-Kauf stellen. Das sei Privatsache!“

Einen von ihnen geforderten Untersuchungsausschuss, so notwendig er wäre, werden Grüne und Linke wohl nicht zustandebringen. Dafür sind 25 Prozent der Abgeordneten notwendig, also 158 der 630. Die Grünen und die Linke zusammen bringen es auf 149 Abgeordnete. Weil für diese beiden Fraktionen aber Stimmen aus der AfD, die wohl mitspielen würde, nicht in Frage kommen, wird es also nichts mit einem Untersuchungsausschuss werden. Die AfD allein hat es mit 152 Abgeordneten allein auch nicht im Kreuz. Und die CDU/CSU/SPD wird ohnehin nicht mitspielen.

Klar, es ist eine Binsenweisheit, dass man fünf Jahre nach 2020 schlauer ist und dass das – auch von der Politik und der „Wissenschaft“ hysterisierte – Volk damals im Panikmodus war und politisches Zupacken erwartete. Das darf Sudhof sinngemäß ja schreiben.

Dass der „Bericht“ dennoch nicht ganz ausgegoren ist, zeigen zum Beispiel sprachliche Mängel: Die Syntax stimmt nicht immer, Reflexivpronomina fehlen, Wörter wie „kontrahieren“ und „kontaktieren“ werden verwechselt, Singular- und Pluralformen werden durcheinandergebracht. Was soll’s!

Hineinleuchten hätte Sudhof auch sollen, woran die Abstimmung zwischen BMG (Spahn), BMI (Seehofer) und BMVg (Kramp-Karrenbauer) scheiterte. War es das Zögern hochrangiger Ministerialer oder gar politischer Beamter, die zum größten Teil jetzt seit dem Regierungswechsel wieder in Amt und Würden sind? Waren es Spahns Ungeduld und sein Ego, den „Macher“ zu geben?

Wie auch immer: Spahn, seine Partei, ja die Merz-Koalition haben ein echtes Problem, auch wenn sich Spahn wohl in die Sommerpause hinüberretten wird. Als Sommerlochthema wird er angesichts der Themen Ukraine/Russland/Trump/Putin und Israel/Iran/Gaza kaum taugen. Zumal Merz kaum eine Alternative zu Spahn hat.

Vor allem aber wird die Union den Ball flachhalten wollen, weil sonst jemand auf die Idee kommen könnte, der nebulöse 35-Milliarden-Euro-Vakzine-Pfizer-Deal von EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen (CDU) bedürfte – zumal der Europäische Gerichtshof hier Transparenz verlangt – eigentlich auch eines durchleuchtenden Berichts eines/einer Sachverständigen. Und eines Untersuchungsausschusses des sog. Europäischen Parlaments.

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